27.04.2022: Emmanuel Macron hat die Präsidentschaftswahl gewonnen, mit dem zweitschlechtesten Ergebnis eines gewählten Präsidenten der 5. Republik ++ France insoumise und die Union populaire hoffen, die Parlamentswahlen im Juni zu gewinnen und Jean-Luc Mélenchon zum Premierminister zu machen ++ Debatte um linke Wahlbündnisse ist eröffnet
Die Wiederwahl von Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron am letzten Sonntag wurde von vielen Französinnen und Franzosen, aber auch in anderen Ländern mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen. Immerhin war damit "das Schlimmste" verhindert worden. Nämlich dass seine Gegenkandidatin, die Rechtsextremistin Marine Le Pen, die Staatsspitze in Frankreich übernimmt. Was im Bereich des Möglichen lag, wie Umfrageergebnisse signalisierten.
Aber Macrons Erfolg ist ein Wahlerfolg mit bitterem Beigeschmack. Denn obwohl Frau Le Pen mit 41,46 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen im zweiten Wahlgang am 24. April hinter Macrons 58,54 % zurückblieb, ist dies das beste Ergebnis, das die Rechtsextremisten jemals seit der Befreiung 1945 in Frankreich erreicht haben. Eine Zunahme gegenüber der letzten Präsidentenwahl 2017 um 7,56 %. Hinzu kommt, dass vermutlich mehr als die Hälfte von Macrons Wählern ihn nicht gewählt haben, weil sie seinem Programm für die nächsten fünf Jahre zustimmen, sondern, wie viele, vor allem Wähler aus dem linken Lager, ausdrücklich bekannt gaben, nur um den Wahlsieg der Rechtsextremistin zu verhindern. Macrons Ergebnis war also ein Ergebnis des Mangels an Besserem, eine Wahl des "kleineren Übels". Im ersten Wahlgang am 10. April hatte Macron nur 27,85 Prozent erreicht, also mehr als 30 Prozent weniger als am letzten Sonntag.
Chancen für die Linken
In dem mit dieser Präsidentenwahl geschaffenen Umfeld scheint sich die reale Möglichkeit abzuzeichnen, dass die damit eingeleitete zweite Amtszeit von Macron weniger stark von seinem autoritären, oft als "monarchistisch" bezeichneten Kurs bestimmt sein wird. Dieser schmückt sich bei Bedarf zwar manchmal mit einem "sozialen" Anstrich, aber im Wesentlichen praktiziert er eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf die Förderung der "Wirtschaft", das heißt der Kapitalprofite ausgerichtet ist.
Eine wichtige Rolle spielt in dieser Hinsicht die nach der Präsidentenwahl nun anstehende Parlamentswahl (Wahl der französischen "Nationalversammlung" - Assemblée National"), die für den 12. und 19. Juni angesetzt ist.
Unter den französischen Linkskräften ist mit Blick auf die sich damit ergebenden Perspektiven eine intensive Debatte in Gang gekommen, ob und wie linke Wahlbündnisse vereinbart werden können, um nach dem Sieg der Rechten bei der Präsidentenwahl die anstehende Parlamentswahl nun zu einem Erfolg der Linken zu machen. Das würde eine wirkungsvolle parlamentarische Barriere gegen das Machtstreben von Emmanuel Macron, dem "Präsidenten der Reichen", in seiner zweiten Amtsperiode errichten.
Eine Schlüsselrolle fällt dabei dem früheren Linkssozialisten Jean-Luc Mélenchon zu, dem Anführer der Linksformation "La France Insoumise" (LFI – "Das rebellische Frankreich"). Mélenchon kam beim ersten Wahlgang der Präsidentenwahl mit 21,95 Prozent auf den dritten Platz, nur um rd. 400.000 Stimmen hinter der Rechtsextremistin Le Pen, die 23,15 % erreichte.
Nach einer aktuellen Umfrage wollen 39 Prozent der Französ*innen La France insoumise (LFI) nach den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni gestärkt sehen. Damit ist sie die politische Kraft mit der größten Zustimmung für den 3. Wahlgang. Sie liegt vor dem Rassemblement National (38 %) von Marine Le Pen und Macrons LREM (26 %). [1]
"Die Schlacht um die Renten beginnt am Sonntag, dem 1. Mai, auf der Straße. Und wird am 12. und 19. Juni an den Wahlurnen fortgesetzt. Resignieren Sie nicht! Im 3. Wahlgang am 12. und 19. Juni ist eine andere Welt möglich!" Jean-Luc Mélenchon |
Inzwischen kamen Wahlexperten zu dem Schluss, dass die Linksparteien unter Zugrundelegung der bei der Präsidentenwahl erreichten Stimmenanteile bei entsprechenden Vereinbarungen in den Wahlkreisen zur Vermeidung von konkurrierendem Gegeneinander mehr als 150 Wahlkreise für sich gewinnen könnten (statt der 63, die sie derzeit haben: 30 die PS [Parti Socialiste], 17 LFI, 16 Kommunisten [PCF] und Nahestehende). Das wäre mit mehr als doppelt soviel Sitzen wie bisher bereits eine starke Stütze für die in Zukunft zu erwartenden außerparlamentarischen Aktionen gegen Macrons unsoziale Projekte wie beispielsweise die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre (statt derzeit 62). Aber auch eine weitere Stärkung der Linkskräfte durch das Zustandekommen einer Einheitsfront, die bei der Präsidentenwahl nicht zustande gebracht worden war, bis zum Erreichen einer regierungsfähigen linken Mehrheit in der Nationalversammlung erscheint nicht mehr außerhalb des Möglichen.
"Ich möchte gern, dass erreicht wird, eine Volksfront aufzubauen"
Jean-Luc Mélenchon
LFI-Chef Mélenchon hat an die Grünen, die PCF, die NPA und andere Linksformationen (einstweilen noch mit Ausnahme der PS) bereits schriftliche Einladungen zu entsprechenden Gesprächen verschickt, die in den nächsten Tagen wohl stattfinden werden. PCF und Grüne haben positiv darauf reagiert. Allerdings geht es noch um die Form, in der eine solche "Linksfront" zu den Parlamentswahlen antreten könnte.
Mélenchon erklärte in verschiedenen Äußerungen dazu: "Ich bitte die Franzosen, mich zum Premierminister zu wählen", indem sie "für eine Abgeordnetenmehrheit der 'Insoumis' und der 'Volkseinheit' stimmen (Volksunion oder Volkseinheit ist der aktuelle Name von Mélenchons Formation). … Ich möchte gern, dass erreicht wird, eine Volksfront aufzubauen, in der es Gewerkschaften und Vereinigungen gibt. … Alle diejenigen, die sich am Sieg des Programms 'L’avenir en commun' ('Die Zukunft in Gemeinsamkeit', offizielles Programm der LFI) beteiligen wollen, sind willkommen".
Obwohl in den LFI-Schreiben an die anderen Linksparteien auch erklärt wurde, dass es um ein Vorgehen "ohne Willen zur Hegemonie und Forderung nach Unterordnung" gehen müsse, dürfte genau hier bei den kommenden Gesprächen noch Klärungsbedarf besteht. Denn in früheren Erklärungen hatte die LFI mehrfach deutlich gemacht, dass sie eigentlich ein Aufgehen aller anderen "alten" Linksformationen in der von ihr geschaffenen "Volkseinheit" anstrebt. Das kann bei den Grünen und auch bei der PCF nur auf Ablehnung treffen. Letztlich geht es also um die Bewahrung der Eigenständigkeit und eigenen Identität aller an einem entsprechenden linken Wahlbündnis beteiligten Parteien - bei gleichzeitiger Betonung der Gemeinsamkeiten, die von allen Beteiligten verfochten werden, und zwar in Form konkreter sozialer und politischer Forderungen wie Rente mit 60, Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und Erhöhung der Kaufkraft der Bevölkerung durch Lohnerhöhungen und höhere Renten, Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels usw.
"Wir wollen alles tun, um so vereint wie möglich mit einem Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode präsent zu sein"
Fabien Roussel, Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei PCF
Schon Wochen vor der Präsidentenwahl hat der Nationalsekretär und Präsidentschaftskandidat der französischen Kommunisten, Fabien Roussel, ein Wahlbündnis aller Linksparteien für die nachfolgenden Parlamentswahl in die Debatte gebracht. Im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl konnte er mit 802.433 gewonnenen Stimmen und 2,26 Prozent trotz einer massiven Gegenkampagne wegen angeblich bei der PCF "verlorener Stimmen" einen auch in den bürgerlichen Medien beachteten Achtungserfolg erreichen.
Fabien Roussel verficht bei seinem Vorschlag das Prinzip der Gleichheit und des gegenseitigen Respekts aller Beteiligten. Seinem Vorschlag nach sollten die bereits jetzt in der Nationalversammlung gewählten Abgeordneten aller Linkspartei jeweils ohne linke Konkurrenz zur Wiederwahl aufgestellt werden. Für die übrigen Wahlkreise sollte das Stimmenergebnis des 1. Durchgangs der Präsidentenwahl zugrunde gelegt werden. Die PCF tritt dafür ein, diese Methode des Vorgehens für alle Wahlkreise in einer Vereinbarung auf zentraler Ebene festzulegen, um unterschiedliche und spalterische Verhaltensweisen in einzelnen Wahlkreisen zu verhindern.
"Wir haben das Schlimmste verhindert, bauen wir jetzt das Beste auf", sagte Roussel in einer öffentliche Erklärung. "Die Französinnen und Franzosen, die Welt der Arbeit, die Jugend brauchen eine Perspektive der Hoffnung. Wir wollen alles tun, um so vereint wie möglich mit einem Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode präsent zu sein"
Anmerkungen:
[1] Législatives: LFI, force politique la plus plébiscitée pour le 3ème tour, 26 avril 2022
https://linsoumission.fr/2022/04/26/legislatives-lfi-plebiscitee-3eme-tour/