01.12.2016: „Eines ist klar: Es gibt kein Entrinnen mehr. Peking packt VW, Daimler & Co. am Schlafittchen und schreibt so Industriegeschichte“, stellt Frank Sieren, einer der führenden China-Spezialisten im Handelsblatt (7.11.16) fest. Der Grund für seine Prognose: Ende Oktober stellte das Pekinger Ministerium für Industrie- und Informationstechnologie einen Gesetzentwurf ins Netz, der eine feste Elektroquote bei der Neuzulassung von PKWs vorsieht (vgl. SZ, 19.11.16). Acht Prozent bereits für das Jahr 2018, 12 Prozent 2020, dann jährlich steigend um jeweils zwei Prozentpunkte.
Bei der europäischen Autoindustrie herrschte das blanke Entsetzen, als deutlich wurde, die Chinesen machen Ernst mit der E-Mobilität. Vor allem mit dem frühen Einsatz der Elektroquote hatte niemand gerechnet.
Die chinesischen Pläne zur schrittweisen Umstellung der Autoindustrie vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb, dürften den so genannten „Zukunftspakt“, wie er jetzt vom VW-Vorstand und Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh vorgestellt wurde, entscheidend mit voran getrieben haben. Denn für VW geht es um nicht weniger als um den größten Absatzmarkt des Konzerns.
Während die USA für den Absatz der Stamm-Marke nur noch eine geringe Rolle spielt, setzt VW in China jedes zweite Auto ab; beim Gesamtkonzern sind es 40 Prozent des Absatzes. Fünfzig Prozent des Gewinns wird in China eingefahren. Da steht für den führenden europäischen Autobauer einiges auf dem Spiel. Denn bislang hat dieser die Entwicklung des Elektroautos schlicht verschnarcht.
Unter den drei größeren E-Autoherstellern der Welt ist kein europäischer. Weltmarktführer ist inzwischen ein chinesischer mit dem visionären Namen Beyond Your Dreams (BYD); es folgen Nissan und Tesla (USA). Autoforscher Dudenhöffer vom Center Automotive Research (CAR) der Uni-Duisburg-Essen: „Erst mit Tesla haben die deutschen Autohersteller verstanden, dass es richtige Elektroautos gibt“ (zit. nach HB, 22.11.16). Tesla hat für sein noch nicht gebautes „Model3“ bereits 400.000 Vorbestellungen. Der Autoprofessor weiter: „Ich bin überzeugt, dass China in der Elektromobilität das Musterland der Welt wird.“
Das zentrale Element bei Elektromobilität ist die Batterie: BYD war ursprünglich ein Batterie-Unternehmen! VW hat auf diesem Gebiet kaum Erfahrungen. Japanische Autobauer wie etwa Samsung bauen längst große Batteriefabriken in Osteuropa. VW plant bislang nur eine Pilotanlage in Salzgitter (WiWo, 25.11.16). Dabei trägt die Batterie am meisten zur Wertschöpfung des Elektro-Autos bei.
Kapital-Verbrechen
VW hat sich bisher kaum mit der Batterie-Entwicklung beschäftigt. Das Top-Management hat den Elektro-Trend arrogant ignoriert. Denn die Geschäfte liefen ja prächtig mit zweistelligen Milliardengewinnen und Milliarden-Dividenden-Zahlungen an die Großaktionäre, an die Porsche- und Piech-Clans und an die Scheich-Dynastie von Katar und das Land Niedersachsen. Noch 2015, im Jahr des Auffliegens des Software-Schwindels, wurden 5,37 Milliarden Euro an die Aktionäre ausgeschüttet. Wenige Wochen später holte der Diesel-Betrug die deutsche Vorzeigemarke ein. Das strahlende VW-Image mutierte zum dreckbespritzten und kriminellen Auto-Logo.
Statt Selbstkritik für Versäumnisse und Betrügereien der vergangenen Jahre zu üben, reagierte Konzernchef Müller jetzt mit Publikumsbeschimpfung. Die deutschen VW-Dieselfahrer hätten keinen Anspruch auf Entschädigung und die Verbraucher seien schuld an der Elektro-Misere. NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne): „Die Aussagen von Herrn Müller zeigen die ganze Problematik, wie die alte und neue VW-Führung mit dem Abgasskandal umgeht. Erst werden Technologieentwicklungen wie E-Mobilität verschlafen, dann wird geschummelt, dann vertuscht, und zum Schluss werden die heimischen Verbraucher auch noch beschimpft“ (zit. nach HB, 22.11.16).
Die VW-Granden versuchen jetzt mit einer Vorwärtsstrategie aus der Misere heraus und wieder in die Offensive zu kommen. „Transform 2025 plus“ nennt sich der Zukunftspakt, der mit dem Betriebsrat abgeschlossen und am 17. November 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Zeitpunkt für die Vorstandspläne ist geschickt gewählt. Denn der Belegschaft sitzt seit dem Auffliegen der Software-Betrügerei und der Abgas-Manipulation die Angst im Nacken: Angst um den Arbeitsplatz, um die Zukunft ihres Werkes, Angst um die Berufs-Zukunft. Das macht sie druckempfindlich und zu Zugeständnissen bereit, kalkuliert der Vorstand. Angesprochen auf die Finanzierung der Entschädigungszahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe, sagte VW-Markenvorstand Diess schon vor einigen Monaten: „Das müssen wir erst erarbeiten“.
Inzwischen meldet das Handelsblatt (18.11.16): „Allein die Kosten für den Dieselskandal werden sich nach Einschätzung von Experten auf 30 Milliarden Euro summieren“. 18,2 Milliarden Euro sind bereits zurückgestellt. Der Großteil davon bei der Kernmarke. Und „erarbeitet“ wird von der Manager-Elite rein gar nichts. Im Gegenteil: Die Vorstands-Pfründe wurden nicht angetastet. Ex-VW-Chef Winterkorn, der sich erst als Ahnungsloser gab, aber von den Manipulationen wusste, wie sich herausstellte, ging mit den vollen Gehaltsansprüchen aus seinem Vertrag und insgesamt 28,6 Millionen Euro Pensionsansprüchen (daraus 1,33 Millionen jährliche Pension) in den Ruhestand. Bestraft wurde für Lug und Trug bei der Software keiner der verantwortlichen Manager. Für das größte Kapital-Verbrechen der Wirtschaftsgeschichte wurde von den Oberen niemand zur Rechenschaft gezogen - die Belegschaft aber in Haftung genommen. Sie muss für die Betrügereien des Vorstands bluten. Und nicht zu wenig. Allein die feststehenden 15,3 Milliarden Dollar, die an Schadensersatzzahlungen für Kunden und Umweltstellen in den USA fällig werden, entsprechen dem Jahresgehalt von etwa 225.000 VW-Werkern. Anders gerechnet: Für dieses Geld hätten die 30.000 Arbeitsplätze, die dem Umbau des Konzerns zum Opfer fallen, knapp acht Jahre lang finanziert werden können.
VW 4.0
Aber auch die jetzige Hauruck-Aktion „Elektromobilität“ erfolgt auf dem Rücken der Belegschaft. 30.000 Arbeitsplätze, 23.000 in Deutschland und 7.000 im Ausland, stehen im Feuer. Der Abbau soll sozialverträglich, also ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen, aber futsch sind sie dennoch, futsch für die Kinder, für die künftige Generation. Bei einer Stammbelegschaft von 200.000 (Kernmarke) sind das 15 Prozent, jeder siebte Beschäftigte, der über die Klinge springen muss.
Der Zukunftsplan „Transform 2025 Plus“ umfasst drei Abschnitte: Im erstem sollen die Kosten jährlich um 3,7 Milliarden gesenkt und die Ertragsstärke verbessert werden – von jetzt knapp zwei Prozent Umsatzrendite auf vier Prozent. Dem dient in erster Linie der Abbau der 30.000 Arbeitsplätze bis 2025. Immer wenn den Managern nichts mehr einfällt, streichen sie Stellen.
In einem zweiten Schritt will sich VW bis 2025 an die Spitze der Elektromobilität setzen. Herbert Diess, Chef der VW-Hausmarke: „Spätestens 2025 wollen wir Weltmarktführer bei der E-Mobilität sein“.
Im dritten Abschnitt geht es um die Digitalisierung beim autonomen Fahren, aber auch um die Computersteuerung von vernetzten Maschinen und Automaten in den Werken: VW 4.0.
Das bedeutet aber auch, dass der Arbeitsplatzabbau auch nach 2020 rasant weitergehen dürfte. Der jetzt anlaufende Stellenabbau dient primär der Kostensenkung zur Finanzierung des Umbaus. Im Folgenden kommen die Beschäftigten von zwei Seiten unter Druck: Einmal durch die VW-Fabrik 4.0 mit Rationalisierungspotentialen in neuen Dimensionen. Zum anderen durch die Elektromobilität: Sie erfordert eine wesentlich geringere Wertschöpfung, da der Elektromotor weniger komplex als der Verbrennungsmotor ist und kein Getriebe erforderlich ist. VW-Konzernchef Matthias Müller im FAZ-Gespräch: „Mit dem Wegfall von Motor und Getriebe liegt die Wertschöpfung bei 70 Prozent verglichen mit heute. Nehmen wir dann noch die Digitalisierung dazu, dann sinkt die Zahl (der Beschäftigten) weiter. Das zeigt: Vor der Industrie liegt ein gewaltiger Transformationsprozess“ (FAZ, 19.11.16).
Zusätzlich zur Rosskur zu Lasten der Belegschaft, soll für den angestrebten Turnaround der Staat in die Pflicht genommen werden. Es werde ein steiniger Weg in die Zukunft. „Wir werden hier auch die Unterstützung der Politik brauchen, um eine Zellfertigung erfolgreich aufzubauen“, erklärt Betriebsratschef Osterloh (zit. nach FAZ, 19.11.16). Hätte man in der Vergangenheit die Spitzengewinne nicht großteils an die Aktionäre ausgeschüttet, sondern in die Batterie-Entwicklung investiert, könnte VW heute in der E-Mobilität an der Weltspitze stehen.
txt: Fred Schmid, isw - Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung
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