09.02.2022: 200 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft setzen sich für Deeskalation und Entspannung im Konflikt um die Ukraine ein und fordern Umsetzung des Abkommens Minsk II und Verhandlungen mit Russland nach dem Prinzip der gemeinsamen Sicherheit ++ 19. Februar in München Protest gegen die "Münchner Sicherheitskonferenz": Frieden in Europa und auf der Welt kann es nur mit und nicht gegen Russland und China geben.
Aktivist*innen der Friedensbewegung haben zu den zahlreichen Appellen für eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise mit dem Aufruf "Ukraine-Krise: Friedenspolitik statt Kriegshysterie!" [1] einen neuen hinzugefügt. Gemeinsam mit 200 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft setzen sie sich für Deeskalation und Entspannung im Konflikt um die Ukraine ein.
Unter den 200 Erstunterzeichnern finden sich u.a. Daniela Dahn, Peter Brandt, Christoph Butterwegge, Frank Deppe, Wolfgang Streeck, Martin Höpner, Eugen Drewermann, Ulrich Duchrow und John-Peter Neelsen.
Der Friedensaktivist Willi van Oyen, der zum Kreis der Initiator*innen des Aufrufs gehört, sagte: "Wir haben den Aufruf mit aktiven Freunden aus der Friedensbewegung spontan entwickelt, weil wir glauben, dass eine klare Aussage in der aktuellen Situation uns voranbringen wird".
Und tatsächlich zeichnet sich der Aufruf durch seine Kürze und durch "klare Aussagen" aus. Einseitige Schuldzuweisungen an Russland, wie sie von der NATO, allen "Leitmedien" in Presse und TV und von großen Teilen der Politik in die Welt gesetzt werden, werden in dem Aufruf zurück gewiesen. "Eine einseitige Schuldzuweisung an Russland, wie sie von einigen westlichen Regierungen und in den großen Medien vorgenommen wird, ist nicht gerechtfertigt und nimmt zunehmend den Charakter von Kriegspropaganda an", heißt es in dem Text.
Die Unterzeichner*innen gehen davon aus, dass die russische Regierung trotz des derzeitigen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine "kein Interesse an einem Krieg" habe. Im Text heißt es: "Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg, der für alle Seiten katastrophale Folgen hätte." Im Aufruf wird darauf verwiesen, dass ähnlich viele Soldaten auf der ukrainischen Seite aufmarschiert sind und die von pro-russischen Rebellen kontrollierten Gebiete in der Ostukraine bedrohen.
Von der westlichen Politik und den Medien, die nur über den russischen Aufmarsch sprechen, wird völlig ignoriert, dass nach Berichten der OSZE-Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine, an der Frontlinie zu den russischsprachigen Regionen Donezk und Lugansk in der Ostukraine Einheiten der ukrainischen Armee und der Nationalgarde in einer Stärke von rund 150.000 Mann aufmarschiert sind.
Im Aufruf wird auf diese Tasache, "dass ähnlich viele Soldaten auf der ukrainischen Seite aufmarschiert sind und die von pro-russischen Rebellen kontrollierten Gebiete in der Ostukraine bedrohen" verwiesen. "Auch ohne kriegerische Absicht besteht angesichts der angespannten Situation die Gefahr, dass eine Provokation zum Funken wird, der das Pulverfass explodieren lässt", warnen die Unterzeichner*innen.
Die Friedensaktivist*innen weisen darauf hin, dass bei einer Osterweiterung der NATO auf die Ukraine und einer Stationierung von Atomraketen die Vorwarnzeit für Moskau bei einem Angriff mit Atomraketen auf fünf Minuten verkürzt würde. Die Schluussfolgerung: "Es ist ein legitimes Sicherheitsinteresse Moskaus, dass die Osterweiterung der NATO, die seit 1999 immer näher an die russischen Grenzen heranrückt, nicht auch noch auf die Ukraine ausgedehnt wird."
In dem Aufruf wird der Ukraine-Konflikt in seinen geopolitischen Kontext gestellt und der imperialistische Anspruch der USA auf weltweite Führung als Hauptursache der Spannungen benannt. Russland lehne "eine westliche Dominanz ab" und wolle wie auch andere Länder "als gleichberechtigte Partner in einer multipolaren Weltordnung respektiert werden".
Der Aufruf spricht sich für eine gesamteuropäische Friedensordnung aus, die vom Prinzip der ungeteilten, gemeinsamen Sicherheit ausgeht.
Als erste Schritte werden in dem Aufruf eine Demilitarisierung entlang der russisch-ukrainischen Grenze und an den Grenzen zwischen Russland und der NATO verlangt. Außerdem drängen die Unterzeichner*innen auf die Umsetzung des Abkommens Minsk II. Dieses sieht einen Waffenstillstand vor, Dialog der Konfliktparteien und einen Sonderstatus der Regionen Donezk und Luhansk innerhalb der Ukraine. Die Umsetzung werde jedoch hauptsächlich von der Ukraine blockiert.
Der Aufruf schließt mit den Forderungen:
- Konkrete Schritte zur Deeskalation, keine militärischen Lieferungen an Kiew,
- Schluss mit Kriegsrhetorik, Konfrontationspolitik und Sanktionen gegen Russland;
- Aktives Eintreten für die Umsetzung des völkerrechtlich verbindlichen Abkommens Minsk II;
- Verhandlungen mit Russland auf der Grundlage eines klaren Bekenntnisses zu Entspannung und dem Prinzip der gemeinsamen Sicherheit;
- Aktives Eintreten für Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen.
Aufruf unterzeichnen: https://nie-wieder-krieg.org/
Positiver Nebenaspekt
Für Willi van Ooyen hat der Aufruf auch einen positiven Nebeneffekt. Er spielt dabei darauf an, dass sich zahlreiche Politiker*innen der Linkspartei, die sich in der jüngeren Vergangenheit zum Teil sehr feindselig gegenüberstanden, unter den Unterzeichner*innen befinden. So finden sich auf der Liste sowohl Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen als auch Gregor Gysi und seine Fraktionskollegin Kathrin Vogler oder der stellvertretende Parteivorsitzende Ali al Dailami. Heinz Bierbaum, Präsident der Euopäischen Linken, hat den Appell ebenso unterzeichnet wie der Ko-Vorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament, Martin Schirdewan, der in der Linkspartei den Reformern zugerechnet wird.
Wenn der Aufruf den Effekt habe, in der Linken das Friedensthema wieder zur zentralen politischen Aufgabe zu machen, sei das ein guter Nebeneffekt, meint Willi van Oyen, der kritisiert, dass dieses Thema in letzter Zeit den wahltaktischen Optionen geopfert worden sei. Zumidest scheint es, dass sich einige Politiker*innen der Linkspartei wieder auf Gemeinsamkeiten zu besinnen, auch wenn sie unterschiedlichen Flügeln und Strömungen angehören.
Für den 26. Februar wird eine Online-Aktionskonferenz vorbereitet. "Wir wissen, dass es vielfältige Erklärungen – auch in Vorbereitung der Ostermärsche – zur aktuellen politischen Situation gibt. Wir glauben, dass eine solche Aktionskonferenz die Bereitschaft zu vielfältigen, dezentralen Aktionen in den nächsten Wochen verstärken wird, so Willi van Oyen.
Eine Woche vorher finden in München die Aktionen gegen die "Münchner Sicherheitskonferenz" statt.
19. Februar: Proteste gegen die "Münchner Sicherheitskonferenz"
Im Aufruf des Bündnisses gegen die Münchner Sicherheitskonferenz heißt es:
"Die zunehmende Militarisierung Deutschlands und der EU dient nicht dem Frieden, ebenso wenig wie der brandgefährliche Konfrontationskurs, die Kriegsrhetorik und Kriegsmanöver gegen Russland und die VR-China, die jederzeit militärisch eskalieren und zum Krieg zwischen den Atommächten führen können.
Diese Politik der Konfrontation muss beendet werden. Frieden in Europa und auf der Welt kann es nur mit und nicht gegen Russland und China geben. Statt gewaltsamer Durchsetzung von Großmacht- und Vorherrschaftsinteressen, wäre Abrüstung und internationale Zusammenarbeit das Gebot der Stunde. [2]
Das Bündnis ruft auf:
Geht mit uns am 19. Februar (13:00 Uhr auf dem Münchner Karslplatz/Stachus) Straße für Abrüstung und gegen Kriegsvorbereitung, für weltweite soziale Gerechtigkeit, für Solidarität mit denen, die vor Krieg, Hunger und der Zerstörung ihrer Heimatländer fliehen, und für einen demokratischen, sozialen und ökologischen Umbau, um die Natur und das Klima zu retten.
Raus aus der Eskalationsspirale! Sicherheit geht nur gemeinsam! Stopp der NATO-Osterweiterung! Abrüstung in Ost und West! Erklärung der marxistischen linken zum Ukraine-Konflikt hier |
Anmerkungen
[1] Aufruf "Ukraine-Krise: Friedenspolitik statt Kriegshysterie!"
https://nie-wieder-krieg.org/
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[2] Aufruf zum Protest gegen die Münchner "Sicherheitskonferenz" 2022: Stoppt den Kriegskurs der NATO-Staaten
https://www.antisiko.de/antisiko-2022/aufruf-2022/