25.09.2020: Einzelfall reiht sich an Einzelfall. Aktuell vergeht fast kein Tag ohne neue Berichte über rechtsextreme Verstrickungen bei der Polizei. Regelmäßig werden neue Chatgruppen bekannt, in denen sich Beamt*innen Propaganda hin und her schicken, in mehreren Bundesländern wird gegen Polizist*innen ermittelt.
Im Fokus steht aktuell das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Mindestens seit dem Jahr 2012 haben sich Polizist*innen, die dem Polizeipräsidium Essen angehören, gegenseitig Nazi-Bildchen geschickt – Hitlerbilder, Hakenkreuze sowie volksverhetzende Bilder, die sich gegen Geflüchtete richten. Insgesamt sollen 29 Beamte an fünf neonazistischen Chatgruppen beteiligt gewesen sein. Alle wurden vorläufig vom Dienst suspendiert. Nur wenige Tage später flog ein weiterer Beamter auf, dann kamen zu den 30 wegen Rechtsextremismus in Verdacht stehenden Beamten noch 16 weitere hinzu. Das sei aber nur eine Momentaufnahme, weil sich der Stand nahezu täglich ändere, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul CDU) vorgestern.
Alles "Einzelfälle"
Gestern (24.9.) meldete die Tagesschau, "das Problem Rechtsextremismus bei der Polizei könnte deutlich größer sein, als bisher gedacht: Laut einem aktuellen Bericht gab es seit 2017 in NRW 104 Verdachtsfälle, auch mit Bezügen zur Reichsbürgerszene.
Ein strukturelles Problem sieht Innenminister Reul trotzdem nicht. Er setzt auf die "Selbstreinigungskräfte" bei der Polizei.
Der Essener Linke-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat spricht von einer "beängstigenden Entwicklung" in der Essener Polizei und fragt: "Wie viele Hakenkreuze und Hitlerbildchen müssen noch in Chatgruppen der Polizei versendet werden, ehe die CDU und Reul einsehen, dass wir ein strukturelles Problem in der Polizei haben?" Movassat fordert die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag. Auch der Landesverband NRW der VVN-BdA fordert einen unabhängigen Ausschuss her, "der auch über die nötigen Zeitreserven verfügt und nicht 'nebenbei' den Sonderermittler spielt". (Erklärung der VVN-BdA hier)
Rechtsextremistische Hetze von Polizist*innen ist jedoch kein NRW-Problem. Ermittlungen gab es in den letzten Monaten in Hessen, Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen und Berlin.
Private Informationen, die in rechtsextremen Drohschreiben des "NSU 2.0" gegen Journalist*innen, Politiker*innen und Kabarettist*innen auftauchten, wurden zuvor über Dienstcomputer der hessischen Polizei abgefragt. Mehrere Polizisten wurden vom Dienst suspendiert, wer hinter den Schreiben steckt, ist unklar. Auch in Hamburg und Berlin soll es verdächtige Abfragen gegeben haben.
Am 17.09. veröffentlicht der Spiegel eine Recherche über eine private Sicherheitsfirma in Bagdad, für die ehemalige deutsche Polizisten und Bundeswehrsoldaten arbeiten. Laut Recherchen des Magazins verherrlicht das Unternehmen die NS-Zeit, einzelne Mitarbeiter hätten sich rechtsextrem geäußert.
In Mecklenburg-Vorpommern (Rostock und Neubrandenburg) werden Polizist*innen vom Dienst suspendiert, nachdem sie "auf ihren Privathandys antisemitische, ausländerfeindliche sowie Nazis verherrlichende Nachrichten" verschickten. Insgesamt wird jetzt in Mecklenburg Vorpommern gegen 17 Polizeibeamt*innen und einen Angestellten ermittelt. Seit drei Jahren fliegen immer wieder rechtsextreme Polizist*innen in dem Bundesland auf. Ausgangspunkt waren Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen die rechtsextreme Prepper-Gruppe "Nordkreuz".
"Panne" beim Inlandsgeheimdienst
Am 18.9. wurde bekannt, dass einer der Personenschützer von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang Mitglied der rechtsextremen und paramilitärischen Vereinigung "Uniter" ist. Sensible Informationen über Personen und geheime Aktionen seien eventuell an Uniter abgeflossen, zitiert die Zeitschrift Focus einen Regierungsbeamten.
Das Bundesinnenministerium spricht von einer "schweren Panne". Dabei ist nicht ganz verständlich, worin die "Panne" bestehen soll, wenn der Chef des Inlandsgeheimdienstes, der in der Frühzeit der BRD von alten Nazis aufgebaut wurde, seit eh und je Rechtsextremisten auf seiner Gehaltsliste stehen hat und so rechte Strukturen über das V-Leute-System indirekt finanziert, und der bis heute seine Aufgabe darin sieht, die Linke und Antifaschismus zu bekämpfen, sich von denen bewachen lässt, in deren Sinne seine Organisation arbeitet.
Ganz in diesem Sinne hat sich der Ex-Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, mehrmals mit führenden AfD-Politiker*innen zu persönlichen Gesprächen getroffen. Der ehemalige oberste "Verfassungsschützer" sieht auch kein Problem der Bundeswehr mit dem Rechtsextremismus "Viel eher hat sie ein Problem mit einer Führung, die ihren Soldaten ein generelles 'Haltungsproblem' unterstellt", so Maaßen in einem Artikel im Focus (Focus, 24.07.2020) Die "Panne" besteht in diesem Fall wohl darin, dass das dann ungewollt an die Öffentlichkeit gelangt ist.
"Schubs mich, und du fängst dir ’ne Kugel"
"Schubs mich, und du fängst dir ne Kugel", zitiert die Zeitung Welt einen Polizisten. Bei einer Demonstration der "Seebrücke" in Dresden für die sofortige Evakuierung der Geflüchteten aus den Lagern an den europäischen Außengrenzen bedrohte ein Polizist einen Demonstrierenden mit diesen Worten. (Die Welt, 21.9.2020)
Auch kein Einzelfall. Neben den rechtsextremen Strukturen kommen auch nahezu täglich Videos über Übergriffe, Willkür und unangemessen Gewaltanwendung durch Polizist*innen an die Öffentlichkeit. Seit Polizist*innen im März des Jahres entscheiden durften, ob man auf einer Parkbank sitzen darf und wie lange, scheinen mit den Sondervollmachten für die Polizei im Zuge der Corona-Beschränkungen alle Dämme gebrochen zu sein.
Neben Übergriffen auf Demonstrierende richtet sich die polizeiliche Gewalt häufig gegen "dunkelhäutige" Jugendliche. Vielerorts steht die Polizei in der Kritik wegen »racial profiling«. In diesem Zusammenhang rückt auch eine interne Broschüre der Polizei Essen in den Fokus. Die Tageszeitung Die Welt berichtet über ein internes Papier der Essener Polizei mit dem Titel "Arabische Familienclans". Danach zeichnet die Verfasserin Dorothee Dienstbühl in der von ihr geschriebenen Handreichung ein Bild, das aufgeladen ist mit rassistischen Vorurteilen und Verallgemeinerungen. Explizit darauf verwiesen, dass man es mit der Unterscheidung zwischen kriminellen und nicht-kriminellen »Clan«-Mitgliedern nicht zu genau nehmen sollte.
Der Essener Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (DIE LINKE) dazu: "Erst kommt raus, dass 30 Beamte in Chatgruppen rechtsextreme Inhalte ausgetauscht haben. Zudem wissen wir von diversen Rassismus- und Polizeigewalt-Vorwürfen in den vergangenen Jahren. Und nun kommt eine so genannte Handreichung ans Tageslicht, welche ganz klar rassistische Stereotypen bedient. Alleine schon der Vorschlag, vor allem Hunde bei Razzien gegen Clans einzusetzen, weil Menschen arabischer Herkunft Angst vor diesen haben, offenbart ein rassistisches Weltbild. Auch, dass alle Mitglieder so genannter 'Clans' sowieso nur in kriminellen Bahnen denken würden, zeigt die Verallgemeinerung, die offenbar tägliche Polizeipraxis ist. Was wir jetzt brauchen ist ein Untersuchungsausschuss des Landtags zu den Vorgängen im Polizeipräsidium Essen. An einem Rücktritt des Essener Polizeipräsidenten Frank Richter führt kein Weg mehr vorbei."
Bundesinnenminister Horst Seehofer lehnt eine Studie zu Rassismus in der Polizei weiter ab
Trotz dieser Vorfälle lehnt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine lange geplante Studie zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei weiter ab. Nach den jüngsten Skandalen verweist Seehofer darauf, dass der Verfassungsschutz (!) in Kürze einen Lagebericht zu diesen Themen veröffentlichen werde. Diese Ausrede hat gleich zwei Pferdefüße: Zum einen wurde der Bericht zu Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst schon vor Monaten angefordert und hat daher nichts mit den aktuellen Ermittlungen zu tun, zum anderen ist auch der Verfassungsschutz selbst nicht gerade frei von dem Verdacht, eine außerordentliche Sehschwäche im Bereich des Rechtsextremismus und -terrorismus zu haben.
Die Forderung nach einer wissenschaftlichen Studie über Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei durch ein unabhängiges Forschungsteam wird immer lauter.
Erklärung der VVN-BdA, Landesvereinigung NRW e.V.
Antifaschisten fordern unabhängige Untersuchung der neofaschistischen Vorgänge in der Polizei
Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden
Rechte Hetze in Polizei-Chats, der Zufall brachte es an das Tageslicht. Gegen derzeit 29 Polizeibeamte wird ermittelt. So die Berichte zum neusten Polizeiskandal von NRW. Innenminister Herbert Reul hat darüber berichtet. Worüber nicht berichtet wurde, ist dies: Das Sondereinsatzkommando der Dortmunder Polizei und der Polizei anderer NRW Städte trainiert in Güstrow/ Mecklenburg-Vorpommern auf einem Schießstand der rechtsterroristischen Gruppe "Nordkreuz". Dies wurde vom Landeskriminalamt bestätigt. Am Raub von Munition bei Bundeswehr und Polizei zum Einsatz für den Tag "X" sind demnach auch Polizisten aus Nordrhein-Westfalen beteiligt gewesen. Gruppen wie "Nordkreuz" haben Todeslisten aufgestellt, um die darin verzeichneten Demokraten "wegzumachen". Die VVN-BdA forderte schon vor Wochen Ministerpräsident Armin Laschet auf, für die sofortige Beendigung der Polizeikontakte in die rechte Szene hinein zu sorgen. Sofort sind alle SEK-Kräfte, die Kontakte zu den "Nordkreuz"-Leuten hatten oder noch haben, aus dem Dienst zu entfernen. Doch weder Laschet noch Reul(haben) nahmen zu dem SEK-Skandal Stellung. Es wurde von Innenminister Reul nur zum Chat-Skandal der Vizepräsident des sog. Verfassungsschutzes, Uwe Reichel-Offermann, als Sonderbeauftragter eingesetzt.
Dieses ist ein winziger Schritt in die richtige Richtung, reicht der VVN-BdA NRW aber nicht aus. Wir fordern einen unabhängigen Ausschuss, der in alle Richtungen ermittelt. Dabei muss alles auf den Tisch, Zahlen Daten Fakten, so die VVN-BdA.
Es muss ein unabhängiger Ausschuss her, der auch über die nötigen Zeitreserven verfügt und nicht "nebenbei" den Sonderermittler spielt. Diesem unabhängigen Ausschuss müssen volle Zugriffsrechte eingeräumt werden. Wir vermuten schon jetzt, dass eher eine juristische Abwehrschlacht beginnt, als eine lückenlose Aufklärung. Die Medien berichten bereits, einige Vorgänge seien juristisch inzwischen verjährt.
Die Beamten aus den rechten Chatgruppen und aus den Verbindungen zu den rechten Schießplätzen in Güstrow müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Sie haben, wenn sich die Tatsachen so erhärten, fortgesetzt ihren Diensteid gebrochen. Somit stehen den Beamten keine Pensionsansprüche zu. Es ist nicht zu tolerieren, dass beamtenrechtliche Verfehlung aus der Staatskasse mit "fetten" Pensionen honoriert werden.
An den Fachhochschulen der Polizei muss auch in der Polizeiausbildung gegengesteuert werden. Auffällig ist auch, das angeblich kein Dienstvorgesetzter zu diesem Vorgang angesprochen worden ist. Auch hier scheinen Defizite vorzuliegen.
Wir fordern den Innenminister des Landes NRW auf, alles zu überprüfen, aus Sicht der VVN-BdA gehört Rassismusbekämpfung zur DNA der Polizei, davon scheinen wir weit entfernt zu sein.
Grundsätzlich fordert die VVN-BdA eine grundlegende Überprüfung von "rechten Tendenzen" im öffentlichen Dienst. Erinnert sei nur an den NPD Aktivisten Klaus Schäfer aus Dortmund, der Leiter der dortigen Berufsfeuerwehr war.
Es muss auch die Rolle und Funktion der Dienstvorgesetzten bewerten werden, insbesondere auch die Funktion der Polizeipräsidenten. Diese wollen nichts mitbekommen haben?; kaum zu glauben.
VVN-BdA, Landesvereinigung NRW e.V.