21.02.2014: Der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) und sein französisches Gegenstück MEDEF (Mouvement des Entreprises de France) haben in einem gemeinsamen Aufruf ihre Vorstellungen von der künftigen Entwicklung der Eurozone und der EU bekannt gemacht. Der Text wurde kurz vor dem für den 19. Februar angesetzten „deutsch-französischen Gipfel“ und mit Blick auf die nächste EU-Ratstagung am 20./21. März auf einer gemeinsamen Pressekonferenz beider Verbandsvorsitzenden am 5. Februar in Paris vorgestellt.
Alles für die „Wettbewerbsfähigkeit“
Der Kerninhalt des Papiers lässt sich auf die Forderung nach einer „Neuausrichtung der gesamten EU Politik auf Wettbewerbsfähigkeit“ zusammenfassen. Auf allen Gebieten der EU-Politik müsse „die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen immer und überall zu einem Schwerpunktthema“ und zum obersten Entscheidungskriterium gemacht werden. Die bevorstehende Legislaturperiode (nach der Neuwahl des EU Parlaments im Mai) biete dafür eine „einzigartige Chance“.
Um ihre Forderung zu motivieren, zeichnen die beiden führenden Unternehmerverbände der EU ein alarmierendes Bild: „Europas Status als Wirtschaftsmacht steht aufgrund wachsender Sorge um seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel.“ Der Anteil der EU an der weltweiten industriellen Wertschöpfung sei zwischen 2000 und 2012 von 25,7 auf 20,8 % zurückgegangen, laut Wirtschaftsprognosen sei zu befürchten, dass im Jahr 2015 schon 90 Prozent des Wirtschaftswachstums außerhalb Europas generiert werden.
Mehr Kontrolle über Einzelstaaten
Zur „stärkeren Steuerung“ der EU in diesem Sinn fordern die Unternehmerverbände zunächst, dass die EU-Staaten verpflichtet werden, neben der Kontrolle ihrer nationalen Haushaltspläne im Rahmen des „Europäischen Semesters“ durch die EU Zentrale auch „verbindliche vertragliche Vereinbarungen über Strukturreformen und Marktliberalisierung“ mit der EU-Kommission abzuschließen. In der EU müsse ein „permanentes Exekutivorgan für Fiskal- und Haushaltsangelegenheiten“ eingerichtet und der EU Rat für Wettbewerbsfähigkeit „zum zentralen EU-Gremium zur Koordinierung der europäischen Wirtschaftsstrategie aufgewertet“ werden. Dabei müsse die „europäische Industrie“ Gelegenheit haben, „ihr internationales Knowhow und ihre Erfahrungen“ umfassend in die wirtschaftspolitischen Entscheidungen einzubringen.
Mit anderen Worten: Die Kontrolle der EU-Zentrale über die einzelnen Mitgliedsstaaten soll weiter verstärkt werden. Und die Unternehmervorstellungen von „Wettbewerbsfähigkeit“ sollen Vorrang vor allen anderen, etwa sozialen und umweltpolitischen Gesichtspunkten oder Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und wachsender sozialer Ungleichheit bekommen.
Dazu formuliert das BDI-MEDEF-Papier acht „Empfehlungen“, die die Unternehmerforderungen weiter präzisieren:
Senkung der „Arbeitskosten“
Empfehlung 1 befasst sich mit den angeblich in vielen EU Ländern zu hohen „Arbeitskosten“. Die EU müsse die Mitgliedsstaaten „entschieden drängen, die Finanzierungsmechanismen ihrer Sozialversicherungssysteme“ (also Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung“ zu „reformieren“. Auch müssten „Lohnentwicklungen besser beherrscht werden“. Alle Steuern auf „Produktionsfaktoren, Einkommen und Umsätze“ seien zu senken. Die Staats- und Regierungschefs der EU müssten neben der „Haushaltskonsolidierung“ (lies: staatlicher Sparzwangpolitik) die „Senkung von Steuern und Sozialabgaben zu ihrer obersten Priorität machen“.
„Energiewende“ nach Unternehmerinteresse
In Empfehlung 2 geht es darum, „den rasanten Anstieg der Energiekosten“ zu begrenzen – natürlich nicht für Normalbürger, sondern für die Unternehmen. „Förderregelungen für erneuerbare Energien sollten schrittweise in die regulären Märkte … integriert“, also faktisch abgeschafft werden. Das „sehr ehrgeizige Ziel“ einer 40-prozentigen Reduzierung des CO2-Ausstoßes (bis 2030) müsse „vom Ausgang der internationalen Klimaverhandlungen abhängig gemacht“ werden. Gefordert werden der „Schutz energieintensiver Industrien“ und die Nutzung der „potenziell äußerst vorteilhaften unkonventionellen Energiequellen wie Schiefergas“.
„Rahmenbedingungen“ wie in anderen Weltregionen
Empfehlung 3 verlangt „einfachere, stabilere und wettbewerbsfähigere Rahmenbedingungen“ für die Unternehmen. Die EU dürfe „europäischen Unternehmen keine Belastungen aufbürden, die über das hinausgehen, was von ihren internationalen Wettbewerbern in anderen Regionen der Welt verlangt wird“. Anders gesagt: die Unternehmer wollen die Angleichung der „Rahmenbedingungen“ bei Löhnen, Sozialleistungen, Umweltauflagen, Steuern u.a.m. in der EU an US amerikanische oder vielleicht auch indische, chinesische, brasilianische oder afrikanische Standards.
Keine Finanztransaktionssteuer
In Empfehlung 4 wir die Erleichterung des Zugangs der Unternehmen zu Finanzmitteln gefordert. Dazu gehört aus Sicht der Unternehmerbosse: „Jegliche Besteuerung von Finanztransaktionen sollte grundsätzlich ausgeschlossen werden“.
„Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und längere Lebensarbeitszeit“
Empfehlung 5 fordert die „Flexibilisierung von Arbeitsmärkten“ (also den weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors durch Leih- und Zeitarbeit oder Minijobs) und „die Verlängerung der Lebensarbeitszeit“ (!). Ausdrücklich erwähnt wird dabei, dass die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit pro Kopf in Frankreich nur 609, in Deutschland 708 Stunden betrage, während sie in den USA bei 896 und in Japan bei 878 Arbeitsstunden pro Jahr liegt.
„Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen“
Empfehlung 6 verlangt die „Vollendung des Binnenmarktes“ durch „Öffnung verschlossener Märkte und die Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen (Telekommunikation, Energie, öffentlicher Verkehr und andere Versorgungsbetriebe)“.
Mehr staatliches Geld für private Forschungs- und Infrastrukturprojekte
In Empfehlung 7 wird die stärkere staatliche Förderung von Forschung und Innovation verlangt. Dazu gehöre u. a., „private Infrastrukturprojekte zusätzlich durch Mittel der EU und der Mitgliedsstaaten“ zu fördern.
Transatlantischer Freihandelszone
Schließlich verlangt Empfehlung 8 die „Erleichterung des Marktzugangs“ und den „Abbau von Handels- und Investitionshindernissen“ auf internationaler Ebene. Dazu gehört aus BDI/MEDEF-Sicht neben „bilateralen Freihandelsabkommen“ das Vorantreiben der Verhandlungen mit den USA über die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP).
Kampfansage an Gewerkschaften und arbeitende Bevölkerung
Es kann keinen Zweifel geben: Gewerkschaften, lohnabhängig Beschäftigte, junge Menschen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger können diesen gemeinsamen Text von BDI und MEDEF nur als massive Kampfansage verstehen. Ein Signal für eine neue Offensive des Kapitals zur Förderung der Unternehmensgewinne durch „Senkung der Arbeitskosten“, Deregulierung des Arbeitsrechts, Absenkung von Umweltschutzauflagen, Steuerbefreiungen für das Kapital, Privatisierung öffentlichen Einrichtungen und Kürzungen in den öffentlichen Haushalten. Im Kern geht es um eine von den führenden Kapitalkreisen in der EU angestrebte neue ultra-neoliberale Wende in der EU-Politik, die nach den im Mai anstehenden EU-Wahlen in allen EU Staaten als Reaktion auf die anhaltenden Krisenprobleme durchgesetzt werden soll.
Text: Georg Polikeit Foto: griech. Regierung
Dieser Artikel erscheint auch in der UZ vom 21.02.14