28.02.2020: Obwohl eine Auslieferung von Julian Assange an die USA ein Präzedenzfall wäre, mit dem die Pressefreiheit und die Arbeit von Journalist*innen sowie Whistleblower*innen noch stärker unter Druck kämen, wird in den deutschsprachigen Medien kaum über das Gerichtsverfahren in London berichtet. kommunisten.de berichtet:
Die US-Regierung fordert die Auslieferung des WikiLeaks-Gründer Julian Assange, weil er durch die Veröffentlichung von Geheimdokumenten Kriegsverbrechen der der US-Armee im Irak öffentlich gemacht hat. Seit Montag (24.2.) wird vor dem Woolwich Crown Court in London über den Auslieferungsantrag der US-Regierung verhandelt.
kommunisten.de hat im ersten Artikel einen Bericht über den ersten Prozesstag und die Hintergründe sowie die ARD Dokumentation »WikiLeaks - Staatsfeind Julian Assange« berichtet: »Trump will Julian Assanges "Kopf auf einem Spieß"«
In einem zweiten Artikel berichteten wir über den zweiten Prozesstag: »Julian Assange: 2. Tag des Auslieferungsverfahrens«.
"Er ist Anti-Kriegsaktivist und Anti-Imperialist, für freie Meinungsäußerung und eine offene Gesellschaft. Diese Überzeugungen bringen ihn unweigerlich in Konflikt mit mächtigen Staaten und haben dazu geführt, dass er als »Terrorist« bezeichnet wird. Es gibt keine Beweise dafür, dass jemand durch die Veröffentlichungen von WikiLeaks beschädigt oder verletzt wurde. Julian Assange droht lebenslange Haft, weil er wahre Informationen veröffentlicht hat, die im öffentlichen Interesse lagen...wenn die Wahrheit zum Verrat wird, sind wir alle in Schwierigkeiten."
Edward Fitzgerald, Leiter des Anwaltsteams von Julian Assange
In diesem Artikel informieren wir über den 3. und 4. Tag (26./27.2.20) des Auslieferungsverfahrens.
Am Mittwoch und Donnerstag befasste sich das Gericht mit der Frage, ob Julian Assange an die USA ausgeliefert werden darf. US-Ankläger und die Verteidigung stritten sich darüber, ob die Anschuldigungen, die dem WikiLeaks-Herausgeber vorgeworfen werden, politische Straftaten darstellen.
Diese Frage wird eine zentrale Rolle für den Ausgang des Verfahrens spielen und entscheidend sein, ob Assange tatsächlich ausgeliefert wird.
Die Vertreter der US-Regierung berufen sich auf den im Jahr 2007 zwischen den USA und Großbritannien vereinbarten Auslieferungsvertrag. In diesem Dokument heißt es in Artikel 4.1: "Die Auslieferung wird nicht gewährt, wenn die Straftat, für die die Auslieferung beantragt wird, eine politische Straftat ist".
US-Anwälte: keine politischen Vergehen
James Lewis, Anwalt der US-Regierung, behauptete, dass die Vergehen von Julian Assange keiner vernünftigen Definition von "politischen Handlungen" entsprächen, sondern kriminelle Akte waren. Die US-Staatsanwaltschaft klagt Assange in 17 Fällen wegen Spionage und Hochverrat sowie in einem Fall wegen Computer-Hacking an und verneint jedes politische oder gesellschaftliche Motiv für die Veröffentlichung von Assange.
"Ziel der Durchführung eines politischen Vergehens muss es gewesen sein, eine Regierung zu stürzen, zu ändern oder sie zu einer Änderung ihrer Politik zu veranlassen", sagte Lewis. "Wir müssen das ausschließen, dass Herr Assange dies beabsichtigte, als er die Straftaten beging, und wir behaupten, dass es Assange nicht darum ging, die Regierung oder ihre Politik zu wechseln. Es kann kein politisches Verbrechen ohne einen Kampf um die Macht geben".
Für die Verteidigung wies Edward Fitzgerald energisch darauf hin, dass es unmöglich sei, die WikiLeaks-Publikationen als etwas anderes als zutiefst politische Akte zu interpretieren und begründete ausführlich, dass Assange wegen rein politischer Vergehen angeklagt ist. "Das Aufdecken von Fehlverhalten der Regierung und der Versuch, die Politik zu ändern, sind eng miteinander verbunden; diese Enthüllungen versuchten nicht nur, die Politik der USA zu ändern, sie waren erfolgreich", sagte er am Mittwoch bei der Anhörung. "Es ist weltweit allgemein anerkannt, dass Menschen nicht wegen eines gewaltlosen Vergehens politischer Natur ausgeliefert werden dürfen. … Laut Vertrag kann niemand wegen eines politischen Vergehens ausgeliefert werden, es wäre seltsam, wenn das Gericht das zulassen würde." Außerdem sei es "schwer zu verstehen, wie er Hochverrat begehen konnte, wenn er kein Bürger der Vereinigten Staaten ist".
US-Anwälte: Schutz vor politischer Verfolgung gilt nicht mehr
James Lewis, Anwalt der US-Regierung, argumentierte dann, dass es sich erstens bei den Vergehen von Assange nicht um "politische Vergehen" handele, und zweitens habe sich die Welt verändert, so dass "der Schutz vor Auslieferung für diejenigen, die politische Vergehen" begehen, nicht mehr gelte. Dieser Schutz stamme aus einer Zeit, in der der Kampf zum Sturz von Regierungen in "klaren, lebendigen Farben" dargestellt werden konnte und in der Länder wie Großbritannien und die USA denjenigen Zuflucht gewährten, die versuchten "despotische" Regime zu stürzen. "Heute ist ein solcher Schutz systematisch sowohl aus den nationalen Gesetzen als auch aus den Verträgen entfernt worden", sagte er.
Edward Fitzgerald vom Anwaltsteam von Julian Assange erinnerte das Gericht zunächst daran, dass der Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den USA von 2007 politische Straftaten ausdrücklich ausschließt und fügte hinzu: "Dies ist ein wesentlicher und grundlegender Schutz, den die USA in jeden ihrer Auslieferungsverträge aufnehmen, weil sie nicht wollen, dass ihre eigenen Bürger abgeschoben werden. Aber wenn sie jemanden an sich ausliefern lassen wollen, spielt das plötzlich keine Rolle mehr."
"Es ist eine kuriose Sache, etwas als veraltet zu bezeichnen, das im UN-Mustervertrag, jedem einzelnen US-Vertrag, dem Interpol-Statut, dem Londoner Abkommen zwischen Commonwealth-Ländern ... anerkannt wird. … In Bezug auf gewaltfreie Straftaten gibt es einen klaren und allgemeinen Ansatz, das UN-Musterverfahren."
"Wir sind in einer ziemlich seltsamen Welt von Alice im Wunderland", sagte Edward Fitzgerald, wenn ein Vertrag, der zu einer Auslieferung führt, nicht zur Verteidigung genutzt werden kann. Es mache "überhaupt keinen Sinn", dass der gesamte Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den USA auf Assange anwendbar ist, aber nicht Artikel 4 des Vertrages.
"Der Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien besagt sehr deutlich, dass in Fällen, in denen es sich um ein politisches Vergehen handelt, ein vollständiges Auslieferungsverbot besteht. Trotzdem argumentierte die US-Regierung heute, dass das Gericht den Vertrag anwenden und Julian Assange trotzdem ausliefern sollte. Es ist wirklich eine ungeheuerliche Position, eine Orwellsche Position, die die Regierung hier einnimmt, und ich hoffe, dass das Gericht ein solch unsinniges Argument nicht akzeptiert."
Barry Pollack, Mitglied des Teams der Verteidiger*innen
US-Anwälte: nationales Recht geht vor internationales Recht
Dann argumentierte James Lewis im Namen der US-Regierung, dass Assange die Schutzmaßnahmen für politische Straftaten nicht gewährt werden sollten, da der Schutz im britischen Auslieferungsgesetz aus dem Jahr 2003 nicht enthalten sei - im Unterschied zum Auslieferungsabkommen zwischen den USA und GB.
"Der Angeklagte kann keine Rechte aus dem britisch-amerikanischen Vertrag ableiten", sagte James Lewis dem Gericht. "Nach britischem Recht wird seine Auslieferung nur durch das Auslieferungsgesetz von 2003 geregelt". Lewis argumentierte, dass das Auslieferungsgesetz von 2003 keine Ausnahme für "politische Straftaten" erwähnt, was bedeuten müsse, dass das britische Parlament nicht wolle, dass es eine solche Ausnahme gibt.
Die Verteidigung entgegnete, dass es zwar zutreffe, dass das britische Parlament im Jahr 2003 zwar ein Gesetz verabschiedet habe, das keine Verteidigung von politischen Straftaten enthalte, dass es jedoch in dem 2007 verabschiedeten Vertrag zwischen Großbritannien und den USA enthalten sei und ein "Schlüsselteil des internationalen Rechts" darstelle.
An diesem Punkt griff die vorsitzende Richterin Vanessa Baraitser ein und fragte, ob es nicht so sei, dass die Aufgabe dieses Gerichts darin bestehe, das britische innerstaatliche Recht und nicht das internationale Recht umzusetzen?
Edward Fitzgerald entgegnete, dass, da das Gesetz von 2003 nicht ausdrücklich im Widerspruch zu Artikel 4(1) des Auslieferungsvertrages zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA steht, kein "Konflikt" zwischen dem internationalen Recht und dem englischen Recht besteht, und dass Assange daher vollkommen berechtigt ist, den Schutz nach Artikel 4(1) in Anspruch zu nehmen, der eine Auslieferung wegen politischer Straftaten verhindert. Er argumentierte, dass das Gericht sowohl das internationale Recht als auch die Europäische Menschenrechtskonvention berücksichtigen müsse, und dass es einen "Verfahrensmissbrauch" darstellen würde, wenn es dies nicht täte.
Zum Gesetz von 2003 äußerte sich der ehemalige britische Diplomat Craig Murray, der an den Anhörungen von Assange teilgenommen hat, vor der Presse. "Die Ausnahme für politische Straftaten wurde aus dem Gesetz von 2003 herausgenommen, weil das Gesetz von 2003 eine direkte Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 war. ... Die USA überprüften ihre Auslieferungsabkommen mit vielen Ländern, weil sie nicht wollten, dass Al-Qaida-Leute in der Lage sind, zu behaupten, dass sie wegen eines politischen Aktes gesucht werden und nicht an die USA ausgeliefert werden. Das war also der Hintergrund dafür", erklärte Craig Murray, der im Außen- und Commonwealth-Amt arbeitete, als das Gesetz von 2003 diskutiert und verabschiedet wurde. Er verwies darauf, dass dem damaligen Parlamentsabgeordneten George Galloway "vom Innenminister persönlich versichert wurde, dass [die Ausnahme für politische Straftaten] nur deshalb aufgehoben wird, damit Menschen wie [Al-Qaida-Führer] Osama bin Laden ausgeliefert werden können. Und dass dies nicht für politische Dissidenten gelten würde".
Im Glaskasten wie Hector Hannibal
Am Donnerstag ging es auch um die Themen, ob Julian Assange weiterhin von seinen Anwält*innen getrennt in einem Glaskasten im hinteren Teil des Gerichtssaales sitzen muss oder ob sich zu seinen Verteidiger*innen setzen darf. Ein weiteres Thema waren die anonymen Zeugen. Es geht dabei um die Namen der beiden Zeugen über die Bespitzelung von Assange in der ecuadorianischen Botschaft durch die spanische Firma UC Global. (siehe ARD-Dokumentation)
Das Anwaltsteam von Assange stellte einen formellen Antrag, dass ihr Mandant bei den Anwälten sitzen solle - eine Lösung, die es als "normale Praxis für Angeklagte" bezeichnete. Bei dem jetzigen Zustand sei eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht möglich. Der Verteidiger Mark Summers sagte zur vorsitzenden Richterin Vanessa Baraitser, dass Assange auf der Anklagebank in einem Glaskasten im hinteren Teil des Gerichts festgehalten werde, was Herrn Assange daran hindere, sich an dem Fall zu beteiligen, und dass die Anwälte ihren Mandanten nicht sehen könnten, wenn sie sich nicht umschauen, und selbst dann sei es schwierig, durch eine solche physische Barriere zu kommunizieren.
Er sagte auch, dass es "unmöglich sei, vertraulich mit seinem Mandanten zu sprechen", während er sich auf der Anklagebank befinde, da er von zwei Wachen flankiert werde, die Anklagebank Mikrofone enthalte und Vertreter der US-Regierung nur wenige Meter entfernt säßen. Zudem sei es dem Angeklagten nicht einmal erlaubt, seinem Verteidigungsteam Notizen zu übergeben.
Der Verteidiger schlug vor, Assange bei seinem Anwaltsteam sitzen zu lassen
Bei diesem Punkt ergriff Julian Assange im geschlossenen Glaskasten selbst das Wort auf. Er beklagte, dass er am Verfahren gegen sich beteiligt sei wie Wimbledon zu beobachten. "Ich bin an diesem Verfahren genauso beteiligt wie in Wimbledon." Richterin Baraitser sagte ihm, er solle "schweigen und durch seine Anwälte sprechen". Worauf Assange antwortete: "Das ist das Problem, dass ich das nicht kann."
"Ich lehne den Antrag, Sie aus von der Anklagebank zu holen, ab."
Die Richterin lehnte daraufhin den Antrag mit der Begründung ab, dass sie weitere Unterbrechungen des Verfahrens zulassen würde, damit Assange und seine Anwälte sich beraten könnten. Sie sagte, dass sie Assange und seine Anwält*innen so oft diese es wollen in einen privaten Raum gehen lässt. Wenn eine 3-wöchige Anhörung zu einer 6-wöchigen Anhörung wird, dann soll es so sein.
Die viertägige Anhörung wurde dann vertagt. Die nächsten Anhörungen finden am 25. März und 7. April statt, bevor im Mai mit der Vorlage von Zeugen- und Sachverständigenaussagen die eigentlichen Anhörungen wieder beginnen.
Julian Assange - Aktuelles zum Gerichtsverfahren - Tag 3 mit Taylor Hudak (deutsch) |
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