03.06.2022: Vor 30 Jahren das Nein zu Maastricht ++ Heute gibt es "ein Vor und ein Nach dem 24. Februar" ++ linke Enhedslisten gegen Beitritt zum EU-Militärpakt ++ Zweidrittel stimmen für Beitritt
Vor genau 30 Jahren, am 2. Juni 1992, wurde die dänischen Wähler*innen an die Urnen gerufen, um über den Vertrag von Maastricht abzustimmen. Die Wahlbeteiligung war mit 83,1 Prozent sehr hoch. Entgegen aller Prognosen setzte sich das "nej" (Nein) mit 50,7 Prozent durch.
Um die Dän*innen doch noch für die EU-Integration und den Maastricht-Vertrag zu gewinnen, wurden für Dänemark dann vier opt-outs vorgesehen – Ausnahmeregelungen zu bestimmten Gebieten, auf denen Dänemark nicht mit der EU kooperiert. Bei diesen handelt es sich um die Beteiligung an der militärischen Dimension der EU, die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres und die Unionsbürgerschaft; weiterhin gehört Dänemark auch nicht der Währungsgemeinschaft an, hat also nicht den Euro eingeführt.
Diesen Ausnahmeregelungen stimmten die dänischen Wähler*innen am 18. Mai 1993 in einem weiteren Referendum zu.
Im Parlament gibt es seit vielen Jahren eine große Mehrheit dafür, die vier opt-outs zu überdenken. Doch in Sachen EU folgen die dänischen Wählerinnen und Wähler selten dem Willen ihrer Regierungen. In der Vergangenheit wurden bereits zwei Referenden abgehalten - beide wurden von den jeweiligen Regierungen verloren: 2002 lehnten die dänischen Wählerinnen und Wähler erneut die Einführung des Euro ab, 2015 sagten sie nej tak – nein, danke – zur rechtlichen Zusammenarbeit.
Gestern, 1. Juni 2022, waren die Dän*innen wieder einmal an die Urnen gerufen, um über einen der vier Punkte zu entscheiden. Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine hat die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen den neuen Versuch gewagt, die Dän*innen über eine der Ausnahmeregeln abstimmen zu lassen, und zwar über die Abschaffung oder Beibehaltung der "forsvarsforbeholdet" (Verteidigungsreserveklausel) oder die Teilnahme der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" der Europäischen Union.
"Es gibt ein Vor und ein Nach dem Angriff auf die Ukraine", sagte Mette Frederiksen und forderte die Dän*innen zur "vorbehaltlosen Teilnahme an der gemeinsamen EU-Verteidigung" auf. Sie stützte sich darauf, dass sich auch im kleinen Königinnenreich die Meinungen und Vorbehalte mit einer Geschwindigkeit geändert haben, wie sie vor dem 24. Februar niemand für möglich gehalten hätte.
Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat die Unterstützung von fünf Parlamentsparteien - ihrer regierenden Sozialdemokratische Partei, den Liberalen, den Konservativen, den Grünen und der Socialistisk Folkeparti (Sozialistische Volkspartei), die zusammen mit der Enhedslisten (Rot-Grüne-Allianz) die radikale dänische Linke präsentiert.
Enhedslisten unterstützt zwar die amtierende sozialdemokratische Regierung, setzte sich aber nachdrücklich für ein Nein zum Beitritt zum EU-Militärpakt ein.
Inger V. Johansen von den Enhedslisten kritisiert, dass die Regierungspartei und die vier anderen Parteien gleichzeitig ein größeres Verteidigungspaket beschlossen haben, in dem sie eine drastische Erhöhung der Militärausgaben und der Aufrüstung ankündigten, um das Ziel von 2 % des BIP zu erreichen, das im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft erforderlich ist. Das gesamte Paket wurde als "Nationaler Kompromiss" bezeichnet.
"Der 'Nationale Kompromiss' war wahrscheinlich eine Möglichkeit, die durch den Krieg in der Ukraine hervorgerufene Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen, die Öffentlichkeit dazu zu bringen, sowohl die neuen hohen Militärausgaben zu akzeptieren, um die Forderungen der NATO zu erfüllen, als auch die Menschen dazu zu bringen, für den Beitritt zur militärischen Dimension der EU zu stimmen, um die Einheit der EU und die Militarisierung voranzutreiben", so Inger V. Johansen.
Enhedslisten warb mit dem Argument für das "Nein", dass dies "auch ein Votum gegen den Beitritt zu einer neuen militärisch-imperialistischen Supermacht der EU und gegen die Militarisierung als gemeinsamen Weg der europäischen Nationen" wäre. "Ein 'Nein' ist auch ein Votum gegen die Versuche der EU und der nationalen Regierungen Europas, die europäischen Völker auf Kosten des Wohlstands und des Klimas in eine militarisierte Zukunft zu drängen."
Die Befürworter des "Ja" argumentierten während der gesamten Kampagne mit der Notwendigkeit, die Verteidigung in Europa (und damit auch die Kriegsausgaben) nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine zu erhöhen. Es gebe ein "vor und nach dem 24. Februar". Die Sozialdemokraten nannten als ersten Punkt ihrer Referendumskampagne die Notwendigkeit, "Europas Verteidigung gegen Putin zu stärken, weil Putins Angriff auf die Ukraine ein Angriff auf unsere Grundwerte und unsere Sicherheit ist".
Das gestrige Referendum, bei dem das "Ja" mit einer deutlichen Zweidrittel-Mehrheit gewann, stellte eine Kehrtwende der dänischen Öffentlichkeit und Politik zugunsten der Europäischen Union dar. Finnland und Schweden sind nicht die einzigen skandinavischen Staaten, die mit ihren NATO-Beitrittsanträgen sicherheitspolitische Konsequenzen aus dem russischen Krieg in der Ukraine gezogen haben. Offensichtlich hat es auch in Dänemark mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine eine "Zeitenwende" gegeben.
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