Europa

20.05.2024: Nach über vier Jahren wurden am Donnerstag (16.5.) in Ankara die Urteile im "Kobanê-Prozess“ verkündet. ++ 42 Jahre für Demirtaş, der der türkischen und kurdischen Linken Kraft und Einheit gab und Erdoğan herausgefordert hat. ++ Urteile für Baerbock kein Thema beim Festakt zum 75. Jubiläum des Europarates

 

 

Nach über vier Jahren wurden am Donnerstag (16.5.) in Ankara im Gefängniskomplex Sincan die Urteile im "Kobanê-Prozess“ verkündet. Das von Recep Tayyip Erdoğan dirigierte Kobanê-Verfahren gehört zu den größten politischen Schauprozessen in der Geschichte der Republik Türkei. In dem politischen Mammutverfahren gegen den ehemaligen HDP-Vorstand und weitere Angeklagte ging es um die Proteste in den kurdischen Gebieten der Türkei im Oktober 2014 gegen den Angriff der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) auf Kobanê und die heimliche Unterstützung der Dschihadisten durch die türkische Regierung.

Die Proteste wurden von der türkischen Polizei und paramilitärischen Sondereinheiten brutal niedergeschlagen: 46 Menschen wurden ermordet, 682 verletzt und 323 verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen. Die Regierung und Justiz legt alle Taten der damaligen HDP-Führung und der Partei als Ganzes zur Last.

Die Demokratische Volkspartei (HDP) war 2012 mit dem Ziel gegründet worden, die Kurdenfrage durch einen Demokratisierungsprozess zu lösen und berief sich dabei auf die progressiven Bewegungen im Land.

Unter der Führung von Selahattin Demirtaş erreichte die Partei bei den Wahlen 2015 13%, übersprang die 10%-Hürde und verhinderte, dass Erdogans AKP die absolute Mehrheit erreichte. Selbst aus dem Gefängnis heraus spielte Demirtaş eine führende Rolle und erreichte bei den Präsidentschaftswahlen 2018 mit einer von seiner Zelle aus geführten Kampagne 8,4%.

Die Inhaftierung von Demirtaş und die Klage gegen die HDP-Führung wird als Rache gegen einen Mann und eine Bewegung gesehen, die die einzige wirkliche Alternative zum politischen Islamismus des Regimes und zum kemalistischen Nationalismus der Opposition darstellen.

Angeklagt in dem Mammutverfahren waren insgesamt 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und kurdischer Befreiungsbewegung, darunter der gesamte ehemalige Vorstand der HDP. Ihnen wird Mord in Dutzenden Fällen sowie "Aufwiegelung zum Aufstand" und "Spaltung der Einheit und Integrität des Landes" vorgeworfen. Die Anklage stützt sich auf eine von der HDP am 6. Oktober 2014 gepostete Twitter-Nachricht, in der neben Solidarität mit dem von der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) eingekesselten Stadt Kobanê auch zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung aufgerufen wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft wertet die Twitter-Nachricht als Aufruf zu Gewalt und forderte erschwerte lebenslange Haftstrafen ohne Aussicht auf Entlassung.

Viele der Angeklagten sind seit November 2016 im Gefängnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stuft ihre Verhaftung als politisch motiviert ein und hat mehrmals ihre Freilassung angeordnet. So stellte das Straßburger Gericht im Dezember 2022 im Fall Selahattin Demirtaş vs. Türkei fest, dass sich der Twitter-Eintrag "innerhalb der Grenzen der politischen Rede” bewegte. Insofern könne der Tweet nicht als Aufruf zur Gewalt ausgelegt werden, urteilte die Kammer und forderte die sofortige Freilassung des ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP. Die Türkei ignoriert dieses Urteil und auch alle anderen Entscheidungen des EGMR sowie des Ministerkomitees des Europarates im Zusammenhang mit den damaligen HDP-Abgeordneten.

Terrorurteile gegen die Angeklagten

Auf die Angeklagten, von denen 18 seit Jahren in Untersuchungshaft sitzen, prasselten am Donnerstag harte Urteile nieder, während die Verteidigung in nordkurdischer Sprache "Es lebe der Widerstand von Kobanê" skandierte.

Die verhängten Urteile betrafen insgesamt 36 Angeklagte; 24 von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt und alle vom Mordvorwurf freigesprochen. Gegen die übrigen Angeklagten wurde das Verfahren abgetrennt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die seit November 2016 inhaftierten früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ wurden zu Rekordstrafen von 42 Jahren bzw. 30 Jahren und drei Monaten verurteilt.

Der marxistische Ökonom Alp Altınörs und die Aktivistin Zeynep Karaman von der kurdischen Frauenbewegung erhielten 22,5 Jahre Haft und der 81-jährige Ko-Oberbürgermeister von Mêrdîn, Ahmet Türk, bekam zehn Jahre. Sebahat Tuncel, Ayla Akat Ata, Meryem Adıbelli und Ayşe Yağcı von der kurdischen Frauenbewegung und die ehemalige Oberbürgermeisterin von Amed, Gültan Kışanak, wurden zwar ebenfalls verurteilt, kamen jedoch unter Anrechnung ihrer langen Untersuchungshaft frei.

Freisprüche gab es für zwölf Angeklagte, darunter die in Haft schwer an Demenz erkrankte Ex-Abgeordnete und Öcalan-Verteidigerin Aysel Tuğluk und Gülser Yıldırım sowie Altan Tan und Ayhan Bilgen – letztere beiden hatten die HDP allerdings vor Jahren verlassen.

Verfahren gegen 72 Angeklagte abgetrennt – auch Tote darunter

Im Fall der übrigen Beschuldgiten wurde das Verfahren abgetrennt; selbst bei jenen, die bereits tot sind. Ismail Özden (Zekî Şengalî) etwa wurde 2018 im ezidischen Siedlungsgebiet Şengal im Nordirak bei einem gezielten Angriff der türkischen Luftwaffe getötet und Mazlum Tekdağ starb 2019 bei einem Luftangriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete.

 

TR Sincan GefaengnisAnkara, 16.5.2024: Erklärung der Ko-Vorsitzenden der DEM-Partei vor dem Sincan-Gefängnis: "Mit diesem Urteil haben sie gezeigt, dass sie auf der Seite von IS und Faschismus stehen"


Tülay Hatimoğulları: "Das war ein politisches Urteil und kein juristisches“

"Das war ein politisches Urteil und kein juristisches“, sagte Tülay Hatimoğulları, Ko-Vorsitzende der DEM-Partei. "So wie die Anklageschrift im Palast und im Hauptquartier der MHP (ultranationalistische Partei, Bündnispartner von Erdoğans AKP, Anm. d. Red.) verfasst wurde, wurde auch diese Entscheidung von denselben Zentren verfasst. Es gibt kein Rechtssystem mehr in der Türkei“.

Sie verglich das Urteil mit den Prozessen der Militärjuntas in den vergangenen Jahrzehnten und fuhr fort: "Die Urteile wurde im Namen der Rache gefällt. Rache für den Sieg gegen den IS in Kobanê. Man hat gezeigt, auf wessen Seite man steht: Auf der Seite einer Terrorgruppe; Feind der Völker, der Frauen und der Menschheit, die großes Unheil über den Nahen Osten brachte. Wir hatten gesagt, entweder fällt ein Urteil zugunsten der Völker und Demokratie oder zugunsten des IS und des Faschismus. Das Gericht hat im Sinne der IS-Terroristen und Faschisten entschieden. Eines sei aber gewiss: Unseren Widerstand gegen den Faschismus wird niemand brechen können."

Tuelay Hatimogullari Tuncer Bakirhan 2024 05 16Ankara, 16.5.2024: Tülay Hatimoğulları und Tuncer Bakırhan vor dem Sincan-Gefängnis


Tuncer Bakırhan: Ein juristisches Massaker

Tuncer Bakırhan, ebenfalls Ko-Vorsitzender der DEM-Partei, prangerte das Urteil als "schwarzen Fleck in der Geschichte der türkischen Justiz“ an. Mit dem Kobanê-Prozess sei versucht wprden, "die HDP, die kurdische Politik, Revolutionäre und Demokraten von der politischen Bühne zu tilgen". erklärte Bakırhan. "Wir alle waren heute Zeugen eines juristischen Massakers. Im Gerichtssaal von Sincan wurde der Geist der Prozesse der Militärjunta zu neuem Leben erweckt. Doch im Herzen der Kurden und Türken, der Werktätigen, der Jugend und der Frauen wurden alle Angeklagten freigesprochen“, so Bakırhan.

"So wie der IS in Kobanê besiegt wurde, wird dieses Urteil vom kurdischen Volk besiegt werden“.
Erklärung der DEM-Partei

Özgür Özel, Sekretär der größten Oppositionspartei CHP, kritisierte das Urteil scharf. Doch 2016 hatte seine Partei für die Aufhebung der parlamentarischen Immunität pro-kurdischer Abgeordneter gestimmt, die des "Terrorismus" beschuldigt wurden, was die antikurdische Konvergenz zwischen dem regierenden islamisch-nationalistischen Bündnis und der "sozialdemokratischen" Opposition erneut bestätigte.

Auch aus diesem Grund sind die Worte des Ko-Vorsitzenden der DEM, Tuncer Bakirhan, wichtig, der der CHP und anderen türkischen Linksparteien für ihre Unterstützung dankte: "Wir versprechen, dass diese Solidarität und dieser Kampf nach dem heutigen Tag in einer breiteren und stärkeren Form fortgesetzt werden."

Trotz eines Demonstrationsverbotes versammelten sich Hunderte von Menschen in Diyarbakir. Bedrängt von einem Polizeiaufgebot, das die meisten Demonstranten daran hinderte, nach Diyarbakir zu kommen, verlasen die DEM-Führung eine Pressemitteilung: "So wie der IS in Kobanê besiegt wurde, wird dieses Urteil vom kurdischen Volk besiegt werden“.

Erdoğan rächt sich für Niederlage bei Kommunalwahl

Bei den Kommunalwahlen im März musste Erdoğan eine krachende Niederlage einstecken. Die herrschende islamistische AKP ist erstmals seit ihrer Gründung 2002 nur zweitstärkste Kraft in einer Kommunalwahl und lag mit 35,5 Prozent der Stimmen über zwei Prozentpunkte hinter der CHP. Die kurdische DEM-Partei gewann 75 Rathäuser, zehn mehr als bei der vorhergehenden Kommunalwahl.

Doch Erdoğan rächt sich für die Niederlage. Allein in den ersten zweieinhalb Wochen des Monats Mai wurden in der Türkei 372 Kurd:innen und linke Aktivist:innen festgenommen. 108 von ihnen wurden in dauerhafte Untersuchungshaft gesteckt.

Tuerkei DEM Partei  

 

Türkei: Krachende Niederlage für Erdoğan bei Kommunalwahl. Kurdische DEM-Partei gewinnt 75 Rathäuser

 

 

Berivan Aymaz (Grüne): "Gebaren von Erdoğan nicht konsequenzlos hinnehmen". Doch Baerbock schweigt.

"Ich werde nicht nachlassen, meine Stimme für die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş zu erheben", erklärte die Grünen-Abgeordnete im Landtag von NRW, Berivan Aymaz.

"Ich bin entsetzt. Wieder einmal missbraucht Erdoğan die Justiz als politische Waffe gegen Oppositionspolitikerinnen und Oppositionspolitiker. Seit 2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrmals die umgehende Freilassung des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş gefordert. Die Türkei hat diese Urteile bislang nicht umgesetzt und ihn jetzt zu über 40 Jahren Haft verurteilt. Damit erteilt die Türkei erneut unverhohlen Menschenrechten eine klare Absage und zerstört alle Hoffnungen auf eine demokratische Zukunft des Landes", so Berivan Aymaz.

Aymaz fordert die Bundesregierung und die Europäische Union auf, auf "das autokratische Gebaren von Erdoğan nicht konsequenzlos" hinzunehmen. "Jetzt braucht es das unmissverständliche Signal, dass Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte das Fundament für partnerschaftliche Beziehungen sind. Wir stehen an der Seite der Demokratinnen und Demokraten in der Türkei. Ich werde nicht nachlassen, meine Stimme für die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş zu erheben.“

Doch bei Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kam die Aufforderung nicht an. Just am selben Tag, an dem in der Türkei die Terrorurteile im "Kobanê-Prozess" verkündet wurden, fand in Straßburg der Festakt zum 75. Jubiläum des Europarates statt.

"Der Europarat steht für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und das Recht jeder und jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Leben", erklärte Baerbock anlässlich des Jubiläums. Die Werte des Europarats würden von "außen durch Autokraten wie Wladimir Putin, der den Eroberungskrieg zurück nach Europa gebracht hat, aber auch von innen mit Hass und einer Rückkehr des Völkischen" bedroht, warnte sie. Journalisten würden eingesperrt, Gerichte sollten manipuliert werden, gegen sogenannte Fremde werde gehetzt. Immer wieder sehe man, "wie Hass in Gewalt umschlägt und wie sie jeden treffen kann".

Doch zu dem Skandal der Verurteilung von Demirtaş fand sie keine Worte. Dabei hatte der Europarat die Freilassung von Demirtaş gefordert, er sieht ihn als politischen Gefangenen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Aber das Europarat-Mitglied Türkei ignoriert das Urteil seit Jahren. Wichtiger für Baerbock war die Forderung nach weitreichenden Waffensystemen für die Ukraine, damit diese Nachschubwege auf russischem Territorium angreifen kann. (https://x.com/patdiekmann/status/1791381276760355029)

Lediglich die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, äußerte sich auf X zu den in der Türkei verhängten langjährigen Haftstrafen und findet sie "erschütternd". (https://x.com/DEonHumanRights/status/1791453184344408127)

Ein Demirtaş ist eben kein Nawalny und die Waffenbrüderschaft zum NATO-Partner Türkei steht für die Bundesregierung über den Menschenrechten.

Einladungmarxli 10Jahre 1

Wir laden alle Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde der marxistischen linken ein, gemeinsam 10 Jahre marxistische linke zu feiern - und mit Ingar Solty über das Ergebnis der EU-Wahl und die Herausforderungen für marxistische Kräfte zu diskutieren.
Damit wir besser planen können, bitten wir um baldige Anmeldung: marxistischelinke.sh@t-online.de
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Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
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Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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