01.02.2018: Türkei mit Streubomben und Napalm gegen die Zivilbevölkerung in Afrin ++ Kurdischer Roter Halbmond Afrin: Aufruf zur Nothilfe ++ Volksverteidigungskräfte halten die Stellungen ++ Riza Altun (KCK) über die Politik Russlands und der USA ++ Dokumentiert: Riza Altun - "Der Freiheitskampf verfolgt seine eigene Linie"
Der Krieg der Türkei gegen den syrischen Kanton Afrin dauert nun schon seit 13 Tagen an. Dutzende Zivilist*innen, überwiegend Kinder und Frauen, wurden inzwischen Opfer der türkischen Bombenangriffe und des Artilleriebeschusses. Die Menschen in den ländlichen Regionen sind den Angriffen schutzlos ausgeliefert. Verletzte werden aus den umliegenden Dörfern mit Krankenwagen in das Krankenhaus nach Afrin gebracht - es ist das einzige in der Region. Die Rettungssanitäter*innen beklagen, dass auch sie gezielt beschossen wurden.
Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung der humanitären Hilfe berichtet, dass mindestens 15.000 Menschen innerhalb Afrins auf der Flucht sind. In dem Bericht heißt es: "der Großteil der feindlichen Auseinandersetzungen konzentriert sich entlang der syrisch-türkischen Grenze". Dies weist darauf hin, dass die türkischen Invasoren und ihre isalmistischen Hilfstruppen keinen Raum gewinnen können.
Auch der Korrespondent der Nachrichtenagentur Kurdistan 24, Akram Saleh, der mit seinem Team am Samstag in Afrin eingetroeffen ist, berichtet, dass die türkischen Streitkräfte zwar die Zivilbevölkerung massiv bombardieren, aber keinen Fortschritt im Kampf gegen die Einheiten der Syrisch Demokratischen Kräfte SDF und die kurdischen YPG/YPJ machen können.
"Obwohl dem türkischen Staat alle erdenklichen technischen Mittel zur Verfügung stehen und Waffen der NATO sowie deutsche Panzer dafür eingesetzt werden, die Bevölkerung zu töten, hat die türkische Armee bei den seit einer Woche andauernden Gefechten keinen einzigen militärischen Erfolg zu verzeichnen, sondern vielmehr hohe Verluste erlitten", heißt es in der Wochenbilanz der Syrisch Demokratischen Kräfte SDF vom 26. Januar. Demnach waren bis zu diesem Zeitpunkt 308 türkische Soldaten und Söldner getötet, 43 Kämpfer*innen der SDF gefallen.
In der heutigen Mitteilung heißt es, dass 473 türkische Soldaten und verbündete Terroristen getötet und 25 Militärfahrzeuge, darunter Panzer, zerstört wurden.
Kriegsverbrechen der Türkei
Die türkische Luftwaffe setzt inzwischen auch Naplam und Streubomben bei der Bombardierung von Dörfern ein. Die Nachrichtenagentur ANHA veröffentlichte Fotos, die den Einsatz von international geächteten Streubomben im Bezirk Cindiresê belegen.
Streubomben verteilen kleine Bomben, sogenannte "Submunitionen", über weite Flächen. Sie können dabei nicht zwischen militärischen Zielen und der zivilen Bevölkerung unterscheiden. Außerdem hinterlassen sie zahlreiche Blindgänger, die noch lange nach dem Ende eines Konfliktes Tote und Verletze fordern - sie wirken wie Landminen. Aus diesem Grund haben seit 2008 über 100 Staaten die Konvention über Streumunition unterzeichnet. Seit diese 2010 in Kraft getreten ist, ächten immer mehr Staaten den Einsatz von Streubomben.
(kommunisten.de veröffentlicht keine Fotos dieser grauenhaften Verbrechen. Fotos, die diese Verbrechen dokumentieren, sind zu finden unter https://twitter.com/ICafrinresist/status/958357792276049920 und https://drive.google.com/drive/folders/1pW8L_UyXt_f8jw3iNHKm3lWAGAPxUVdV
Wie die Taliban in Afghanistan oder der Islamische Staat IS in Irak und Syrien Kulturgüter aus vor-islamischer Zeit zerstörten, so zerstört die türkische Luftwaffe unschätzbare Kulturgüter in Afrin. Türkische Kampfflugzeuge haben archäologische Stätten und einen Großteil des antiken Tempels von Ain Dara zerstört. Diese Stätten gehen auf ein Zeit von mehr als 700 Jahren vor unserer Zeitrechnung zurück und wurden 2011 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Zardasht Isso, Mitglied des Direktorats für für Antike und Museen in Afrin, betonte die Bedeutung dieser Kulturstätten für die kurdische Geschichte. "Der Tempel geht auf ein sehr bedeutendes Zeitalter in der Geschichte dieser Region zurück, und ist eng mit der alten kurdischen Geschichte, nämlich den Zivilisationen von Mitanni und Hurrian verbunden”, sagte er. Deshalb sei die Zerstörung kein Versehen, sondern die Stätten wurden wegen ihrer historischen Bedeutung angegriffen, sagte er. Erdogan will nicht nur die Kurd*innen aus Afrin vertreiben und die Region mit loyalen Bevölkerungsgruppen besiedeln, sondern auch alles auslöschen, was an die kurdische Besiedelung und Geschichte erinnert.
Bereits dreimal wurde der Staudamm im Gebiet Maidanka bombardiert und beschädigt. Die Einwohner Afrins fürchten eine Überflutung der Region, sollte der Damm brechen.
Der Kurdische Rote Halbmond von Afrin ruft die Internationale Gemeinschaft um Unterstützung auf (Der Kurdische Rote Halbmond zur humanitären Situation in Efrîn). Heute (1.2.) informierte Dr. Ciwan Mihemed vom Krankenhaus in Afrin, dass bis zum heutigen Tag 104 Zivilist*innen getötet und 156 verletzt wurden.
medico international unterstützt die medizinische Nothilfe vor Ort und bittet dringend um Spenden: "Angriff auf Rojava - Spenden für Nothilfe in Afrin"
Afrin widersteht
Ebdulkerim Ömer, Ko-Vorsitzender des Ausschusses für internationale Beziehungen des Kantons Afrin, stellt diese Verbechen des türkischen Staates in eine Reihe mit den Massakern im türkisch-kurdischen Cizre, Nusaybin und zahlreichen anderen kurdischen Dörfern, Städten und Provinzen. "Der türkische Staat beging diese Massaker in anderen Teilen Kurdistans. Jetzt greift er die Bevölkerung in Afrin an. Der türkische Staat will nicht nur Afrin erobern, sondern ganz Rojava."
Ömer weist darauf hin, dass Erdoğan mit Panzern, Artillerie, Minenwerfern, Kampfflugzeugen und 25.000 Soldaten und terroristischen Banden angreife, aber nicht vorankomme. "Wir glauben, dass wir in Afrin gewinnen werden, so wie wir in Kobanê gewonnen haben. In Afrin wird eine neues Kapitel in der Geschichte der kurdischen Bevölkerung aufgeschlagen. Die AKP ist gescheitert, mit ihrer schmutzigen Politik irgendetwas im Nahen Osten zu erreichen. Ihre Politik für Syrien hat nicht funktioniert. Und jetzt greifen sie Afrin an. Der Widerstand und der Erfolg von Afrin werden das Ende von Erdoğan und seiner Regierung bringen", sagt Ebdulkerim Ömer.
“Erdoğan bombardiert uns mit Flugzeugen, Panzern und Artillerie. Wir werden nicht weichen. Die Kurd*innnen sind ein widerständiges Volk. Wir sind immer mit der YPG und YPJ. Wir werden gemeinsam mit der YPG und YPJ Widerstand bis zum Letzten leisten. Erdoğan muss uns alle töten, wenn er Afrin besetzen will." |
Afrin ist Teil Syriens
Am vergangenen Freitag stellte die Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung des Kantons Afrin unmissverständlich klar, dass sie Afrin als einen Teil Syriens betrachtet. Der Angriff der Türkei stelle "eine ernsthafte Bedrohung für die territoriale Integrität Syriens sowie für das Leben und die Sicherheit der Zivilbevölkerung von Afrin dar", heiß es weiter.
Die Demokratisch-Autonome Selbstverwaltung bekräftigt, dass sich die gesamte Bevölkerung Afrins diesem barbarischen Angriff entgegenstellen werde, aber auch der syrische Staat müsse seiner Verantwortung gerecht werden. "Wir erwarten, dass der syrische Staat seine Verantwortung erfüllt und Afrin und seine eigenen Grenzen vor der Türkei schützt. .. Die syrische Regierung muss ihre bewaffneten Kräfte korrekt in der Region stationieren und Verantwortung zum Schutz der Region übernehmen", heißt es in der Erklärung.
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Die Demokratisch-Autonome Selbstverwaltung erinnert aber auch daran, dass es auch in der Vergangenheit nicht der syrische Staat, sondern die Volksverteidigungeinheiten YPG waren, die die Region schützten und seit sechs Jahren verhindern, "dass der IS, Al-Qaida oder ähnliche terroristische Gruppen diese Region und Syrien unter ihre Herrschaft bringen". Die Volksverteidigungeinheiten hätten dafür gekämpft, "die Gesamtheit Syriens und seine nationalen Institutionen zu schützen" (Statement from Afrin Canton Democratic Autonomous Administration)
Haben Russland und die USA die Kurd*innen verraten
Der Angriff der Türkei hätte nicht erfolgen können, wenn Russland nicht grünes Licht gegeben hätte. Der Luftraum über Afrin wird von russischer Seite kontrolliert, russische Soldaten waren in Afrin stationiert und haben gemeinsam mit den Einheiten der SDF die Region vor Angriffen des IS oder anderer dschihadistischer Terrorbanden geschützt.
Die USA könnten die Türkei stoppen indem es eine Flugverbotszone über Nordsyrien verhängt. Jedoch erklärte das US-Außenministerium, dass sich Afrin außerhalb des Operationsraums gegen den IS befinde, und hat damit den Überfall der Türkei auf Afrin zugelassen.
Die deutsche Regierung schweigt zu dem völkerrechtswidrigen Angriff des Nato-Partners und unternimmt nichts, um den Einsatz von aus Deutschland gelieferten Panzern zu unterbinden. (Foto: ein Leopard-Panzer dringt in Afrin ein).
Abgekartetes Spiel, aber kein "Verrat"
Zweifellos handelt es sich um ein zwischen Russland und den USA abgekartets Spiel, meint Rıza Altun, Exekutivratsmitglied der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK). "So wie Russland ständig die Kurden ins System integrieren und die PKK und YPG vernichten will, tut dies auch die USA. Während die USA auf der einen Seite Beziehungen mit der YPG aufbaut, führt sie eine intensive Drohung und Erpressung um die YPG auf eine nationalistische und nationalstaatliche Linie zu bringen", sagt Riza Altun gegenüber der Nachrichtenagentur Ajansa Nûçeyan a Firatê - ANF News.
Auf der anderen Seite möchte Russland "eine zentrale Position einnehmen, seine bestehenden strategischen Basen verteidigen und in diesem Kontext Politik im Mittleren Osten machen", so Altun.
Riza Altun: "Die Aufrechterhaltung des Regimes in Syrien ist für Russland sehr wichtig. Doch der russische Ansatz geht über das Regime in Syrien und Assad hinaus. Nicht Assad, sondern die Herrschaft und Hegemonie Russlands in Syrien gilt als absolut. Mit dieser Perspektive agiert Russland. Russland führt also seit Beginn an in Syrien eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, in Syrien eine Kraft zu werden und dadurch die eigene Hegemonie im Mittleren Osten aufzubauen."
Das Ziel der russischen Politik gegenüber den Kurd*innen sei, "die kurdische Freiheitsbewegung und den Kampf vor Ort ins System zu integrieren. Während dem Kampf gegen den IS oder al-Nusra gab es nicht viele Chancen für gegenseitige Konfrontationen. Sie versuchten es immer wieder, aber der prinzipientreue und freiheitliche Ansatz der YPG lies dies nicht zu. Doch mit der Liquidierung des IS ist Russland mit dem Zunehmen der internationalen Widersprüche und dem politischen Status Syriens in eine neue Situation getreten. Diese Situation wurde zu einer Politik geformt, die darauf ausgerichtet ist die Kurden in die schwersten Situationen zu bringen und so in Syrien zu integrieren. Dies hat Russland dazu gebracht Beziehungen mit der Türkei aufzunehmen", analysiert Altun.
"Wenn die aktuelle Politik fortgesetzt ist, dann kann insbesondere eine Spaltung zwischen dem Osten und Westen des Euphrat entstehen und Syrien an sich von politischen und militärischen Entwicklungen heimgesucht werden, die es spaltet. Russland ist in diesem Punkt in eine sehr gefährliche Position getreten." Rıza Altun, Exekutivratsmitglied der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) |
Für das Verständnis der russischen Politik gegenüber der Türkei, müsse man mindestens drei Punkte berücksichtigen, erläutert der PKK-Politiker.
- "Erstens, nutzt es die Türkei aus um Vorteile auf internationaler Ebene zu haben, in dem es sehr gut die widersprüchlichen Beziehungen der Türkei innerhalb der NATO und dem Westen ausnutzt.
- Zweitens, möchte es die Beziehungen mit der Türkei nutzen um in Syrien gegen die Gefahr eines aufsteigenden syrischen Regimes, Iran und Hezbollah vorherrschend und hegemonial zu sein.
- Drittens, verfolgt es eine Politik die Forderung nach Freiheit und Demokratie der Kurden und anderer Völker einzugrenzen, da es für Syrien mehr ein zentralistisches und totalitäres Regime vorsieht, statt Demokratie."
Unsere strategischen Partner sind die globalen demokratischen Kräfte
Trotzdem weist Riza Altun energisch zurück, dass Russland oder die USA "die Kurd*innen verraten" hätten.
"Was soll die USA gegenüber den Kurden denn verraten? Nur Kurden, die strategische Beziehungen mit der USA haben, können verraten werden. Der Begriff 'Verrat' ist richtig, wenn es für Kurden gilt, die ihre Zukunft an die USA gebunden haben. Aber in Rojava ist dies nicht der Fall. Es gibt sowieso kein gemeinsames Zukunftsprojekt, wenn man sich die ideologische, politische Struktur und die strategischen Ziele der USA und YPG betrachtet. Solch eine Einheit gibt es nicht. Was ist die gegenwärtige Beziehung. Es ist die Ausnutzung der Werte, die von dem Freiheitskampf einer Gesellschaft hervorgebracht wurden durch eine imperialistische Kraft, die ihr eigenes Weltsystem gründen möchte."
Eine anti-imperialistische Kraft können nicht sagen, dass die Imperialisten sie verraten hätte, bekräftigt Riza Altun. "So wie der globale Imperialismus und die regionale hegemoniale Linie eine strategische Situation ausdrückt, ist auch das von den Kurd*innen hervorgebrachte Paradigma eine Linie und Haltung. Und die strategischen Partner dieser Linie sind die globalen demokratischen Kräfte. Die gesellschaftlichen Kräfte. Die anti-systemischen Kräfte.”
Der Freiheitskampf verfolgt seine eigene Linie
Rıza Altun, Exekutivratsmitglied der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), hat sich zur aktuellen Situation in Efrîn geäußert.
Rıza Altun, Mitglied des KCK-Exekutivrats, hat gegenüber der Nachrichtenagentur ANF den Besatzungsversuch des türkischen Staates in Efrîn, die Motive Russlands und der USA, sowie die Position der kurdischen Freiheitsbewegung bewertet. Im Folgenden eine gekürzte Fassung der Aussagen von Altun:
"Die aktuelle Situation in Syrien, insbesondere die der Regierung in Damaskus, muss richtig analysiert werden. Seit fünf, sechs Jahren befindet sich Syrien in einem Kriegszustand. Da die Regierung in Syrien nicht auf eigenen Beinen stehen konnte, hat sich mit der Unterstützung des Iran und der ihr verbundenen Hezbollah eine andere Situation entwickelt. In dem Krieg war die Rolle dieser Kräfte von Beginn an von großer Bedeutung. Sie waren die grundlegenden Kräfte, die das Regime stützen. Russland, als internationale Kraft, spielte dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Gegenwärtig nimmt Russland eine Position ein, mit der es das Regime auf den Beinen hält, seinen Niedergang verhindert und es dabei unterstützt, wieder zu hegemonialer Stärke zu gelangen. Das Regime war also über die gesamte Phase des Krieges nicht in der Lage, unabhängig und losgelöst von diesen Kräften zu agieren. Das sollte zunächst jeder wissen.
Folgendes sollten wir wissen: Die Annäherung Syriens an das Bündnis zwischen der Türkei und Russland ist immer noch nicht klar und diskussionswürdig. Klar ist jedoch, dass Russland die jetzige Situation nicht ohne das Wissen Syriens herbeigeführt hat. Dadurch ergibt sich eine Situation, in der Russland eine zentrale Rolle spielt. Es ist fragwürdig, wie sehr das Regime, aber beispielsweise auch der Iran, diese Situation gut findet oder gar unterstützt. Doch selbst wenn sie die Situation, also den Einmarsch der Türkei in Efrîn, nicht tolerieren, haben sie nicht die Kraft, eine Reaktion gegen die Haltung Russlands zu zeigen. Meiner Meinung nach kann man sagen, dass Russland eine sehr entscheidende Rolle spielt und Syrien das Geschehen beunruhigt verfolgt. Das syrische Regime ist angesichts des Drucks von Russland dazu gezwungen, trotz aller Zweifel zu schweigen.
Die Hegemonie Russlands in Syrien
Die aktuelle Situation muss im Wesentlichen aus der Sicht Russlands betrachtet werden. Die Präsenz Russlands in Syrien ist von großer Bedeutung. Doch die russische Politik muss auch für sich selbst bewertet werden. Russland ist eine Kraft, die eine pragmatische und von kurzfristigen Interessen geprägte Politik verfolgt, aber dabei auch den regionalen Wettbewerb berücksichtigt. Ihre gegenwärtige Politik für Syrien sieht vor, mit dem Schutz des Regimes das Nationalstaatensystem in Syrien zu stützen. Damit möchte sie eine zentrale Position einnehmen, ihre bestehenden strategischen Basen verteidigen und in diesem Kontext Politik im Mittleren Osten machen.
Die Aufrechterhaltung des Regimes in Syrien ist für Russland sehr wichtig. Doch der russische Ansatz geht über das Regime in Syrien und Assad hinaus. Nicht Assad, sondern die Herrschaft und Hegemonie Russlands in Syrien gilt als absolut. Mit dieser Perspektive agiert Russland. Russland führt also seit Beginn an in Syrien eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, in Syrien eine Kraft zu werden und dadurch die eigene Hegemonie im Mittleren Osten aufzubauen.
Russland möchte die Kurden zur Integration ins Regime drängen
Die Beziehungen Russlands zu den Kurden und vor allem zur YPG bewegen sich in diesem Rahmen. Das Ziel der russischen Politik ist es, die Kurden, die kurdische Freiheitsbewegung und ihren Kampf in das bestehende System einzubinden. Während der Kampf gegen den IS oder die al-Nusra-Front im Vordergrund stand, gab es keinen Raum für eine direkte Konfrontation mit den Kurden. Zwar versuchte Russland, die Kurden auf die Seite des Regimes zu drängen, doch der freiheitliche Ansatz der YPG ließ dies nicht zu. Doch mit der Liquidierung des IS sind die bestehenden Widersprüche in Syrien auf eine neue Ebene gerückt. Vor diesem Hintergrund versucht Russland nun, die Kurden unter einen so enormen Druck zu setzen, dass sie sich letztlich „freiwillig“ in das syrische Regime integrieren lassen. Auch aus diesem Grund hat Russland die Beziehungen zur Türkei aufgenommen und intensiviert. Russland genießt durch diese Beziehungen natürlich auch wirtschaftliche Vorteile. Und es stimmt auch, dass Moskau durch die Annäherung an Ankara versucht, die Gräben zwischen der Türkei und dem Westen bzw. der NATO zu vertiefen. Aber mit Hilfe der Türkei will Russland auch den Einfluss der Kurden in Syrien eingrenzen und sie in die Arme des Regimes drängen.
Es kann zur Spaltung in Syrien kommen
Aus diesem Grund ist gerade nun Efrîn auf die politische Agenda gelangt. Doch das ist eine sehr gefährliche Politik. Vielleicht kann diese Politik für Russland zunächst eine gewisse Anziehungskraft haben. Es kann für eine Hegemonialmacht sehr anziehend sein, die Türkei auf diese Weise als Druckmittel benutzen zu können. Und das nicht nur gegen die Kurden, sondern auch gegen das syrische Regime, um Assad weg vom Bündnis mit dem Iran zu drängen und stärker unter die eigenen Fittiche zu bringen. Aber langfristig wird diese Politik zu einer Vertiefung des Chaos in Syrien und einer zunehmenden Spaltung des Landes führen. Wenn die aktuelle Politik fortgesetzt wird, dann kann insbesondere eine Spaltung zwischen dem Osten und Westen des Euphrat vonstattengehen und Syrien von politischen und militärischen Entwicklungen heimgesucht werden, durch die der Staat gespalten wird. Russland verfolgt also in diesem Punkt eine sehr gefährliche Politik.
Russland steht im Bündnis zur Türkei
Mit einem positiven Ansatz könnte Russland eine sehr wichtige Rolle für das Entstehen eines demokratischen Syriens einnehmen. Dadurch würden die Machthaber in Moskau die Möglichkeit bekommen, ihre eigenen Interessen in einem demokratischen Rahmen zum Ausdruck zu bringen. Wenn sie jedoch das Gegenteil tun, dann wird das zu großen Schwierigkeiten führen. Es kann erneut zu einem Krieg kommen, der den jetzigen noch übertrifft.
Aus russischer Perspektive ist das Bündnis mit der Türkei von drei Merkmalen geprägt. Zunächst einmal nutzt den russischen Machthabern dieses Bündnis, um die Widersprüche zwischen der Türkei und dem Westen bzw. der NATO zu vertiefen. Zweitens möchte Russland die Beziehung zu Ankara als Druckmittel gegen das Regime nutzen. Denn es findet gegenwärtig ein Wettbewerb um die Vormacht in Damaskus zwischen Iran (und Hezbollah) und Russland statt. Mit der türkischen Karte wird daher versucht, eine Drohkulisse gegen das Regime zu errichten. Drittens verfolgt Russland eine Politik, welche die Forderungen der Kurden und anderer Völker nach Freiheit und Demokratie in Syrien einzugrenzen versucht und stattdessen auf die Restauration eines zentralistischen und totalitären Regimes in Syrien setzt. Hier überschneiden sich im Hinblick auf Errungenschaften der Kurden die Interessen der Türkei und Russlands in Syrien. Doch dieser Ansatz von Russland wird, sollte er denn so weiterverfolgt werden, zu einer ernstzunehmenden Konfrontation führen. Und sollte dies eintreten, so befürchte ich, wird es kaum die Möglichkeit geben, die verschiedenen Akteure in Syrien nochmals für die Etablierung einer Ordnung im Land zusammenzubringen.
Die Politik der USA
Die Situation der USA ist eigentlich nicht sehr anders. Es gibt in diesem Zusammenhang eine falsche Wahrnehmung und Bewertung. Es gibt eine Mittelost-Politik, welche die USA schon sehr lange führt. Im Zentrum dieser Politik stand bislang der Islamische Staat (IS). Die USA verfügen seit jeher über Beziehungen zu verschiedenen Akteuren im Mittleren Osten, wie zum Beispiel der Türkei und auch anderen regionalen Staaten. Im Kontext dieser Beziehungen wird derzeit nicht ganz deutlich, welche konkreten Ziele die USA im Mittleren Osten verfolgen. Was haben sie im Mittleren Osten vor? Die Politik der USA ist mehr von pragmatischen und der Tagespolitik angepassten Entscheidungen geprägt. Im Mittleren Osten gibt es das Problem des IS. In der jüngsten Phase haben sich die USA vornehmlich auf den Kampf gegen den IS beschränkt. Sie haben auch den Kampf der PYD gegen den IS nicht ignoriert. Der beste Weg, um Prestige im Kampf gegen den IS zu gewinnen, war es, mit der PYD Beziehungen aufzunehmen.
Doch wenn wir die Beziehung im strategischen und taktischen Sinne betrachten, dann ist eine strategische Beziehung zwischen den USA und zum Beispiel der PYD nicht möglich. Es gab nur die Möglichkeit, eine taktische, konjunkturelle Beziehung aufzubauen. In diesem Sinne kam es im Rahmen des Kampfes gegen den IS zu Beziehungen, die aber klar begrenzt waren. Doch diese Beziehungen umfassten nicht das Potential für die gemeinsame Entwicklung einer politischen Lösung der syrischen Frage. Im Gegenteil, die USA haben stets versucht, die Kurden aus den Friedensverhandlungen für Syrien herauszuhalten. Obwohl die USA in den Verhandlungen von Genf federführend ist, wird die maßgebliche Kraft der Kurden, die PYD, nicht eingeladen. Warum wird der zentrale taktische Bündnispartner, der gegen den IS kämpft, nicht als eine politische Kraft in Genf anerkannt? Allein diese Tatsache lässt uns die ganze Angelegenheit besser verstehen. (…)
Ein abgekartetes Spiel
Obwohl bei der Raqqa-Operation eine zwei- bis dreitausendköpfige QSD-Einheit von Efrîn nach Raqqa und Dêra Zor ging und an den gemeinsamen Kämpfen zur Befreiung dieser Regionen teilnahm, wird nun erklärt, dass sich Efrîn außerhalb des Operationsraums der USA befinde. Durch diese Haltung wird die Intervention der Türkei in Efrîn zugelassen. Auch wenn es anders dargestellt wird, es handelt sich hier um ein abgekartetes Spiel zwischen den USA und Russland. So wie Russland ständig die Kurden ins System integrieren und die PKK und YPG vernichten will, tut dies auch die USA. Während die USA auf der einen Seite Beziehungen mit der YPG aufbaut, droht und erpresst sie auf der anderen Seite, um die YPG auf eine nationalistische und nationalstaatliche Linie zu bringen. (…)
Sowohl mit Verweis auf Russland als auch auf die USA wird derzeit immer wieder erklärt, beide hätten die „Kurden wieder verraten”.
Was sollen die USA gegenüber den Kurden denn verraten? Nur Kurden, die strategische Beziehungen mit den USA haben, können verraten werden.
Der Begriff „Verrat“ ist richtig, wenn er für die Kurden verwendet wird, die ihre Zukunft von den USA abhängig gemacht haben. Aber in Rojava ist das nicht der Fall. Es gibt sowieso kein gemeinsames Zukunftsprojekt mit den USA. Das wird klar, wenn man die ideologische und politische Struktur, aber auch die strategischen Ziele der USA und der YPG betrachtet. Solch eine Einheit gibt es in diesen Bereichen nicht. Wie sehen die gegenwärtigen Beziehungen aus? Die USA, also eine imperialistische Kraft, die ihr eigenes Weltsystem gründen möchte, versucht die Werte auszunutzen, die durch den Freiheitskampf einer Gesellschaft hervorgebracht wurden. Es gab von Beginn an in diesen Beziehungen einen hegemonialen Ansatz. Auch in diesen Beziehungen kommt es zu Konflikten und Krieg. Diesen Konflikt und diesen Krieg tragen wir aus. Wenn alles nach Plan der USA gelaufen wäre, hätten die USA keine Vereinbarung mit Russland geschlossen und die Türkei nicht nach Syrien eingeladen. Die USA hätten die Türkei angesichts der ganzen Beleidigungen nicht gestärkt. Warum haben die USA das getan? Um mehr Druck auf die Kurden auszuüben, sie einzugrenzen und gemäß ihres eigenen Plans auszunutzen.
Der Freiheitskampf verfolgt seine eigene Linie
Es wird von uns ein anti-imperialistischer Kampf geführt. Deshalb kann eine anti-imperialistische Kraft nicht sagen, dass die Imperialisten sie verraten hätte. So wie der globale Imperialismus und die regionale hegemoniale Linie Ausdruck einer strategischen Situation ist, so ist auch das von den Kurden hervorgebrachte Paradigma Ausdruck einer klaren Linie und einer eindeutigen Haltung. Die strategischen Partner unserer Linie sind die globalen demokratischen Kräfte, die gesellschaftlichen Kräfte und die anti-systemischen Kräfte.”
Sonntag, 28 Jan 2018, 13:09
wörtlich übernommen von: https://anfdeutsch.com/kurdistan/der-freiheitskampf-verfolgt-seine-eigene-linie-1952
fotos: ANF, Kurdistan24
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