09.03.2021: Trotz der von Trump verschärften Sanktionen hat für den Corona-Impfstoff Soberana 02 der letzte Schritt des klinischen Testverfahrens begonnen. Kuba ist vergangene Woche in den sehr kleinen Club der Länder eingetreten, die einen Corona-Impfstoff im fortgeschrittenen Stadium vorweisen können. Und die kubanischen Wissenschaftler*innen arbeiten schon an vier weiteren Lösungen gegen Covid, darunter eine, die besonders innovativ und vielversprechend für Länder des globalen Südens ist. Bei keinem der kubanischen Impfstoffe ist eine Kühlkette erforderlich.
Kuba ist vergangene Woche in den sehr kleinen Club der Länder eingetreten, die einen Corona-Impfstoff im fortgeschrittenen Stadium vorweisen können. Am Freitag (5.3.) informierten Führungskräfte von BioCubaFarma, dem Instituto Finlay de Vacunas, dem Centro de Ingeniería Genética y Biotecnología und dem Instituto de Medicina Tropical Pedro Kourí in einer gemeinsamen Pressekonferenz über den Start der Phase III von Soberana 02, die Vorbereitungen für die Phase III des Impfstoffs Abdala und andere interessante Details zu kubanischen Impfstoffkandidaten gegen COVID-19.
Produktion in großem Maßstab ist angelaufen
Sie gaben bekannt, dass die Produktion der ersten Charge von 150.000 Dosen Soberana 02 (von den geplanten 100 Millionen) erfolgte und die Vorbereitungen für die Produktion der zweiten Charge laufen. Außerdem informierten sie, dass auch die Produktion des Impfstoffkandidaten Abdala begonnen hat.
Erster lateinamerikanischer Impfstoff
Soberana 02 ist der erste lateinamerikanische Impfstoff und zugleich auch einer der ersten, die in einem Land des globalen Südens in die Phase III der klinischen Studie eingetreten ist - die letzte Phase der Erprobung, in der der Impfstoff an einer großen Anzahl von Menschen getestet wird. Nachdem die Wirksamkeit und die Dosierung bereits nachgewiesen wurden, geht es nun darum, die Wirksamkeit und eventuelle Nebenwirkungen in einem Großversuch zu bewerten. Die Probanden werden in drei Gruppen eingeteilt: eine erhält ein Placebo (um die Wirksamkeit des Impfstoffs zu vergleichen), eine andere erhält zwei Dosen im Abstand von 28 Tagen und die letzte erhält zusätzlich eine dritte Dosis zur Stärkung der Immunität.
"Auf keinen Fall werden wir mit dem Einsatz des Impfstoffs beginnen, ohne seine Wirksamkeit nachgewiesen zu haben."
Vicente Vérez Bencomo, Generaldirektor des Finlay-Instituts
Diese Studie wird in Havanna an 44.010 Personen im Alter zwischen 19 und 80 Jahren in acht Stadtteilen durchgeführt, in denen in den letzten Wochen die Infektionsrate angestiegen ist.
Die Studien der Phase III können jedoch nicht nur in Kuba stattfinden. Der Grund dafür ist: es gibt auf der Insel, obwohl die Infektionsraten im Zusammenhang mit der teilweisen Öffnung der Grenzen zuletzt angestiegen sind, zu wenig Covid-Infizierte. Deshalb wird Soberana 02 auch im Iran und in Mexiko getestet. Die Phase-III-Studie von Soberana 02 hat einen Zeitrahmen von etwa drei Monaten.
Schon im Mai könnten solide vorläufige Daten verfügbar sein, was die beschleunigte Zulassung des Impfstoffs ermöglichen würde, wie es bereits für die Impfstoffe von Johnson & Johnson in den USA oder für Moderna, Biontech-Pfizer und Astrazeneca in der Europäischen Union der Fall ist.
"Auf keinen Fall werden wir mit dem Einsatz des Impfstoffs beginnen, ohne seine Wirksamkeit nachgewiesen zu haben", sagte Vicente Vérez Bencomo, Generaldirektor des Finlay-Instituts.
Gegenwärtig gibt es weltweit 308 Impfstoffkandidaten, von denen sich 81 in der klinischen Erprobung und 16 in der Phase III befinden, nicht eingerechnet Soberana 02 und Abdala, die diese Liste erweitern werden. Fünfzehn Impfstoffe haben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits eine gesundheitliche Zulassung oder eine Genehmigung für den Notfalleinsatz. Bei vier Impfstoffkandidaten wurde die Entwicklung wegen erwiesener Unwirksamkeit eingestellt, darunter das Produkt des US-Pharmariesen Merck.
"Es gibt keine Möglichkeit, die gesamte Weltbevölkerung mit wenigen Impfstoffkandidaten zu impfen, daher ist es notwendig, die Entwicklung verschiedener Impfstoffe fortzusetzen. Solange es Impfstoffe mit einer Wirksamkeit von mehr als 50 % gibt, würde das helfen, die Pandemie weltweit zu kontrollieren", erläuterte der Direktor für Wissenschaft und Innovation von BioCubaFarma, Dr. Rolando Perez Rodriguez.
"Wir sind kein multinationaler Konzern, wo die Rendite über allem steht. Unser Ziel ist es, Gesundheit zu fördern."
Vicente Vérez Bencomo, Generaldirektor des Finlay-Instituts.
100 Millionen Impfdosen wollen Vérez Bencomo und sein Team in diesem Jahr trotz der Schwierigkeiten, die durch die US-Blockade verursacht werden, produzieren.
Ziel ist es, Kuba zu einem der ersten Länder mit einer durch und durch immunisierten Bevölkerung zu machen, sagte Bencomo. Der Impfstoff soll aber nicht nur für die kubanische Bevölkerung und Tourist*innen produziert werden, sondern auch für Länder wie Venezuela, Iran, Pakistan, Vietnam und Indien.
Das könnte zum Hoffnungsschimmer für Länder im globalen Süden werden, denn Kuba versteht sich traditionell als medizinisch-pharmazeutischer Forschungsstandort in deren Dienst, wie es Fidel Castro einst formulierte. Daran hat sich nichts Wesentliches geändert. "Wir sind kein multinationaler Konzern, wo die Rendite über allem steht. Unser Ziel ist es, Gesundheit zu fördern", erklärte der Generaldirektor des Finlay-Instituts.
Westliche Pharmariesen erpressen Länder des globalen Südens
Die USA und die Europäische Union schützen mit ihrem Festhalten am Patentschutz die Interessen ihrer Pharmaindustrie und verhindern so, dass weltweit Produktionsanlagen für die Herstellung von Corona-Impfstoffen genutzt werden können. Die reichen Länder haben sich bislang zwei Drittel der knappen Impfdosen gesichert, obwohl sie nur 16 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Nur 0,5 Prozent der Impfungen weltweit haben bisher in den ärmsten Ländern stattgefunden. Mehr als 100 Länder der Welt haben bislang noch gar nichts verimpft, weil ihnen dazu die finanziellen Möglichkeiten fehlen. Die Bevölkerung dieser Länder wird zwar für die Tests der Impfstoffe genutzt, sie haben aber dann das Nachsehen, wenn der Impfstoff zugelassen ist.
Dazu kommt, dass die Pharmariesen versuchen, diese Länder zu erpressen. Nach einem Bericht von ntv setzte der US-Pharmakonzern Pfizer - Produzent und Vertreiber des von der deutschen Biontech mit öffentlichen Mitteln entwickelten Impfstoffs - lateinamerikanische Länder mit dreisten Forderungen massiv unter Druck. Pfizer wollte den Recherchen von ntv zufolge in manchen Fällen, dass Regierungen dem Konzern Dollarreserven, Botschaftsgebäude und Militärbasen als Sicherheiten für eventuelle Schadenersatzklagen als Sicherheiten überschreiben, falls sie verklagt würden. Zudem sollten die Käuferstaaten offenbar jegliche mögliche Schadenersatzforderungen aus zivilrechtlichen Klagen übernehmen, falls jemand nach einer Impfung an schwerwiegenden Nebenwirkungen leiden oder gar daran sterben sollte. Aus den Verhandlungen mit Argentinien wurde bekannt, dass das Unternehmen auch im Falle von eigener Fahrlässigkeit, etwa einer unterbrochenen Lieferkühlkette oder eines falschen Impfstoffs, nicht haften wollte. [1]
Bisher bieten Russland und die VR China bedürftigen Ländern ihre Impfstoffe weitgehend zum Selbstkostenpreis an. China gewährt Ländern Lateinamerikas und der Karibik einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Dollar, damit diese Zugang zu dem Impfstoff gegen COVID-19 erhalten können. Künftig werden auch die Impfstoffe aus Kuba zur Verfügung stehen.
Weitere Impfstoffkandidaten
Mayda Mauri Pérez, Vizepräsidentin der Unternehmensgruppe BioCubaFarma, teilte mit, dass das Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie die Unterlagen des Impfstoffkandidaten Abdala - benannt nach dem Titel eines patriotischen Gedichts von José Marti aus dem Jahr 1800 - bei der kubanischen nationalen Zulassungsbehörde eingereicht hat und dass erwartet wird, dass die Phase III in den nächsten Tagen genehmigt wird.
Zudem arbeiten die kubanischen Wissenschaftler*innen neben Sobarana 02 und Abdala an drei weiteren Impfstoffen: Soberana Plus, der als Auffrischungsimpfstoff gedacht ist, für Menschen, die sich von der Krankheit erholen, oder in Kombination mit anderen Impfstoffen eingesetzt werden soll. Ein weiterer Impfstoffkandidat, Soberana 01, befindet sich in Phase II der klinischen Tests. Und wohl am interessantesten der Impfstoff Mambisa (ein Begriff, der sich auf die kubanischen, dominikanischen und philippinischen Unabhängigkeitsguerillas im 19. Jahrhundert gegen die Spanier bezieht) in Phase I.
Impfung per Nasenspray
Letzterer besteht aus einem Nasenspray, einer sehr vielversprechenden und innovativen Lösung. Keiner dieser vier Impfstoffe erfordert niedrige Temperaturen, wie sie z. B. für Impfstoffe auf Rna-Basis von Biontech-Pfizer oder Moderna benötigt werden. Daher sind sie sehr interessant für Länder, in denen es keine ausreichende logistische Infrastruktur für die Einhaltung einer Kühlkette gibt.
Kubas Rolle für die globale Gesundheit
Die Entwicklung dieser Impfstoffe unter den komplizierten Bedingungen des Wirtschaftskrieges der USA gegen die Insel ist zwar eine außergewöhnliche Leistung, aber auch nicht ganz überraschend. Das digitale Wirtschaftsmagazin Business Insider zitiert die Professorin und Kuba-Expertin Helen Yaffe von der University of Glasgow: "In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in Europa und den USA wissen wir nicht viel über Kubas Leistungen in der medizinischen Wissenschaft und der globalen Gesundheit. Aber im Globalen Süden", fährt sie fort, "tun sie das. Und warum? Weil Kuba seit mehr als 60 Jahren 400.000 medizinische Fachkräfte hat, die auf der ganzen Welt verstreut arbeiten." Der kleine Inselstaat ist es gewohnt, im Rahmen eines Programms namens "Henry Reeve Brigade" medizinisches Fachpersonal in verschiedene Krisengebiete der Welt zu entsenden.
Helen Yaffe betont, dass der kubanische Biotechnologiesektor unverwechselbar sei. Da er sich im Besitz des Staates befindet und nicht durch spekulative Finanzierungen unterstützt wird, sagt sie, liege seine Priorität nicht darauf, Geld zu verdienen. Stattdessen würden Verbesserungen der Gesundheit priorisiert. Dieser Ansatz werde von einigen als medizinischer Humanitarismus gesehen — von anderen als medizinische Diplomatie.
Kuba schickt nicht nur seine Ärzt*innen in die halbe Welt, sondern konnte im Laufe der Jahre auch Impfstoffe entwickeln wie z. B. den ersten Impfstoff gegen Meningokokken B in den 1980er Jahren; acht der 12 Impfstoffe, die Kindern verabreicht werden, werden auf der Insel produziert und in 30 Länder exportiert. Heute produziert Kuba 13 Medikamente zur Bekämpfung von Covid, von denen die Hälfte auf kubanische Innovationen zurückgeht. Dazu gehören zwei Entzündungshemmer, Itolizumab und Jusvinza, die auch nach Indien und in andere Länder exportiert werden - ein weiteres Beispiel für wissenschaftliche Diplomatie, die das Netzwerk der Zusammenarbeit von Nationen im globalen Süden stärkt.
Kuba ist "weltweit führend im Süd-Süd-Technologietransfer", konstatierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits im Jahr 2015 in einem Bericht.[2].
COVID in Kuba
Gestern (8.3.) verwies Dr. Francisco Durán García, nationaler Direktor für Epidemiologie des Ministeriums für öffentliche Gesundheit, auf die guten Nachrichten über den Fortschritt der nationalen Impfstoffe, betonte aber, dass COVID-19 sowohl in Kuba als auch in der Welt immer noch eine schwer zu kontrollierende Epidemie ist. Die Impfstoffe machen Fortschritte, aber bis zu einem wirksamen Ergebnis ist es noch ein weiter Weg, bekräftigte er. Bis dahin sei der wirksamste Weg zur Kontrolle des aktuellen Wiederauftretens von COVID-19 im Land weiterhin die Einhaltung hygienisch-sanitärer Maßnahmen zur Verhinderung der Krankheit.
García informierte, dass in Kuba 56.566 Fälle einer COVID-Infektion registriert wurden und die unglückliche Zahl von 350 Todesfällen durch COVID erreicht wurde, was einer Fallsterblichkeitsrate von 0,62 % entspricht. Die sei im Verhältnis zur Welt und der Region Amerika sehr niedrig, so der Mediziner, aber für die Ansprüche des Landes und die Bemühungen des Gesundheitspersonals hoch. (Anm.: Fallsterblichkeit in Mexiko 10,24%, Großbritannien 3,75%, Italien 3,85%, Deutschland 3,04% [3])
verwendete Quellen: http://www.granma.cu/, https://www.businessinsider.de
Fotos: http://www.granma.cu
Anmerkungen:
[1] ntv, 25.2.2021: "Als würden wir erpresst". Pfizer verhandelt in Lateinamerika eisenhart
https://www.n-tv.de/panorama/Pfizer-verhandelt-in-Lateinamerika-eisenhart-article22384876.html
[2] WHO, 2015: "Cuban experience with local production of medicines, technology transfer and improving access to health"
https://www.who.int/phi/publications/Cuba_case_study121115.pdf
[3] Statista, 8.3.2021: Letalitätsrate beim Coronavirus (COVID-19) in den am stärksten betroffenen Ländern
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1103785/umfrage/mortalitaetsrate-des-coronavirus-nach-laendern/
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