Im Interview

07.09.2012:  Der gewaltsame Konflikt in Syrien ist seit achtzehn Monaten im Gange, und die Sicherheitslage dort verschlechtert sich weiter. Erst vor wenigen Tagen versuchte die Regierung unter abstoßend scheinheiligem Gerede, sich einzumischen und der außersyrischen Opposition den Rücken zu stärken - eine Irreführung unseres Volkes ohne Maßen. Die Beijing Rundschau interviewte kürzlich Dr. Imad Moustapha, Syriens Botschafter in China. Der Botschafter betonte, dass nur das syrische Volk selbst das Recht habe, über die Zukunft des Landes zu entscheiden.

Nachstehend Auszüge aus dem Interview:

Frage: Warum glauben Sie, geht die Gewalt in Syrien weiter? Gibt es einen Bürgerkrieg in Syrien?

Dr. Imad Moustapha: Ich lehne den Begriff 'Bürgerkrieg' absolut ab. Ein Bürgerkrieg bedeutet, dass zwei Fraktionen des Volkes gegeneinander kämpfen. Aber hier kämpfen nicht Syrer gegen andere Syrer. Die aktuelle Situation ist, dass die nationale Armee und Sicherheitskräfte in Syrien gegen bewaffnete terroristische Gruppen kämpfen, die durch ausländische Mächte bewaffnet und finanziert werden.

Wenn die fremden Mächte damit aufgehört hätten, die Terrorgruppen mit Waffen und Geld zu unterstützen, und vor allem damit, ihnen sichere Rückzugsgebiete, hätte die Gewalt vor vielen Monaten aufgehört.

Frage: Was will die Opposition? Besteht die Möglichkeit, dass die syrische Regierung einige Reformen durchführt, um die Opposition zufrieden zu stellen?

Dr. Imad Moustapha: Dies ist eine sehr interessante Frage. Erstens weiß niemand, was die Opposition will, weil wir 300 Gruppen in der Opposition haben. Die meisten von ihnen kennen sich gegenseitig nicht, und sie reden auch nicht miteinander. Das einzige, was wir wissen, ist, dass ihre Finanzierungsquelle aus einigen Ländern der Region stammt. Die Frage ist eher, ob sie Interesse an Reformen haben oder nicht.

Syrien hat ein sehr fortschrittliches politisches System. Wir haben ein Mehrparteiensystem, und wir haben Mehrparteien-Wahlen. Diese [zuvor erwähnten] Gruppen haben in der Regel extreme islamische, radikale, fundamentalistische Ansichten ähnlich denen von Al Qaida, was bedeutet, dass diese Kräfte nicht am demokratischen Prozess, nicht an politischen Reformen, und auch nicht an einem normalen Alltag für das syrische Volk interessiert sind. Sie wollen Syrien in eine Situation lenken, die der in Afghanistan ähnelt. Das sind gewalttätige Gruppen, blutige Gruppen. Und sie sind Extremisten. Sie ignorieren die politischen Rechte und auch die Bürgerrechte für Frauen oder für Minderheiten oder für jeden, der nicht ihrer extrem fanatischen Auslegung des Islam folgt.

Frage: Vor kurzem legte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Vermittlungsplan vor, der ein Versuch sein sollte, die Gewalt in Syrien zu stoppen. Wie beurteilen Sie einen solchen Vermittlungsplan? Glauben Sie, dass er funktionieren kann, oder ist er schon gescheitert?

Dr. Imad Moustapha: Syrien, Russland und China sowie Brasilien, Südafrika, und die meisten anständigen Länder der Welt äußerten ihre absolute und volle Unterstützung für Annan. Wir in Syrien glauben, der Erfolg von Annans Mission wird guten Willen und das Ende der Gewalt in Syrien bringen. Wir glauben, dass das gut für Syrien, gut für das syrische Volk, gut für das Land als Ganzes ist. Aber gleichzeitig setzen einige Länder der Region, die Westmächte und die Vereinigten Staaten alles daran, dass seine Bemühungen scheitern, indem sie kontinuierlich die terroristischen Gruppen unterstützen, die in Syrien agieren.

Wir glauben immer noch, dass Annan sehr gute Aussichten auf Erfolg hat, denn das ist es, was das syrische Volk will, und das ist, was die internationale Gemeinschaft will.

Frage: Ist es möglich, dass alle Parteien sich zusammensetzen? Wenn nicht, worin besteht das Hindernis?

Dr. Imad Moustapha: Wir müssen zwischen dem unterscheiden, was wir eine patriotische syrische Opposition nennen würden und der syrischen Opposition, die tatsächlich Söldner sind, ihr Geld von westlichen Mächten erhalten und keinerlei unabhängige Entscheidungen treffen können. Wir glauben, dass es eine großartige Gelegenheit gibt, sich mit der patriotischen Opposition zusammenzusetzen, die an syrische Werte glaubt. Wir sind bereit, Kompromisse mit ihnen zu finden, und wir sind bereit, Lösungen mit ihnen zu finden.

Nur durch den Dialog mit der patriotischen Opposition können wir Lösungen finden. Aber es gibt auch die Opposition in London, Paris und Washington. Sie verbringen ihre Zeit mit Reisen von einem Fünf-Sterne-Hotel zum nächsten, von einer Hauptstadt zur anderen. Sie reisen Business-Class mit ausländischem Geld und sie treffen sich mit westlichen Führern.

Die Führer befreundeter Staaten wie Russland und China trafen sich mit ihnen und baten sie, sich zu engagieren, aber sie weigerten sich. Sie weigern sich nicht, weil sie es für gut oder schlecht halten, sondern weil so ihre Befehle aus Washington lauten. Sie haben nicht die Freiheit, ja oder nein sagen. Nur dann, wenn Washington ihnen sagt, sich hinzusetzen und in einen Dialog zu treten, werden sie es tun. Sie sind irrelevant, weil sie nicht das syrische Volk vertreten, ja nicht einmal die syrische Opposition.

Die syrische Opposition ist vor allem eine patriotische Opposition. Sie unterstützt keine bewaffneten gewalttätigen Gruppen, sie unterstützt nicht den Terrorismus. Allerdings widersprechen sie der Politik der Regierung. Das ist ihr Recht, und wir sind bereit, uns mit ihnen zusammenzusetzen und mit ihnen einen ernsthaften, konstruktiven politischen Dialog zu beginnen. Was auch immer vom syrischen Volk beschlossen wird, werden wir frei und demokratisch genehmigen. Die Wahl sollte beim syrischen Volk liegen.

Frage: Wie sehen Sie die Zukunft Syriens jetzt? Und wie kann es eine Lösung geben?

Dr. Imad Moustapha: Wir bewegen uns gleichzeitig auf drei parallelen Wegen. Jeder ist unabhängig von den anderen:

Auf dem ersten Weg entledigen wir uns der bewaffneten terroristischen Gruppen, und wir werden sie zerstören. Wir kämpfen gegen die Terroristen, anstatt sie zu tolerieren. Das ist ein Krieg zwischen uns und ihnen. Wir können ihnen niemals erlauben, sich durchzusetzen.

Der zweite Weg sind politische und soziale Reformen in Syrien. Syrien hat sich jetzt in sehr tiefen und ernsten politischen Reformen engagiert. Wir haben eine neue Verfassung ausgearbeitet. Es ist die liberalste und demokratischste Verfassung in der gesamten arabischen Welt. Es haben allgemeine Wahlen stattgefunden, und wir haben die Verabschiedung von neuen Gesetzen und die Bildung von politischen Parteien in Syrien erlaubt. Wir haben eine große Anzahl von sehr demokratischen und liberalen Gesetzen verabschiedet. Diese Gesetze zusammengenommen haben die politische Szene in Syrien dramatisch verändert. Und wir werden dies auch weiterhin tun. Wir glauben, das ist der beste Weg vorwärts für Syrien.

Der dritte Weg besteht darin, Annans Initiativen zu unterstützen und bereit und willens für eine politische Auseinandersetzung mit der Opposition zu sein, auch mit der bewaffneten Opposition, sofern sie bereit ist, ihre Waffen niederzulegen und sich in einem politischen Dialog statt einer gewaltsamen Konfrontation zu engagieren. Aber das hängt nicht allein von uns ab. Es ist notwendig für uns, dass andere Parteien zustimmen. Sobald sie dazu bereit sind, ihre Waffen fallen zu lassen, sind wir bereit, sie in den politischen Prozess zu integrieren.

Frage: Wie beurteilen Sie die Rolle der Vereinigten Staaten in der aktuellen Krise?

Dr. Imad Moustapha: Die Vereinigten Staaten tun alles mögliche, um Tod und Zerstörung nach Syrien zu bringen, in der Hoffnung, dass Syrien in einen Bürgerkrieg rutscht, oder dass es einen Weg gibt, um die Erlaubnis des UN-Sicherheitsrats zu bekommen, um einen Angriffskrieg gegen das syrische Volk zu starten, Syriens Städte zu zerstören und das soziale Gefüge Syriens zu spalten. Das ist genau das, was auch im Irak und Libyen passierte.

Zum Glück, denke ich, werden sie dieses Mal keinen Erfolg damit haben, denn erstens ist Syrien ein sehr starkes Land, und die Syrer sind sehr patriotisch. Sie fallen nicht der Propaganda aus dem Westen zum Opfer. Und zweitens hat die sehr starke Position von China und Russland im UN-Sicherheitsrat, den freien Willen des syrischen Volkes zu unterstützen, die Vereinigten Staaten daran gehindert, ihren Plan durch den Rat zu bekommen. Deshalb empfindet das syrische Volk große Dankbarkeit sowohl für China und Russland, aber auch für Indien, Brasilien und Südafrika. Wir glauben, dass sie damit nicht nur Syrien, sondern der ganze Weltgemeinschaft einen großen Dienst erwiesen haben.

Frage: Wie wird Syrien auf die Meinungen in der arabischen Welt über die aktuelle Situation reagieren?

Dr. Imad Moustapha: Die arabische Welt leidet heute unter einer großen Zerrissenheit. Viele arabische Länder würden einfach Politik und Richtlinien der USA folgen. Dies ist sehr traurig und schade, aber ich glaube, die überwiegende Mehrheit der arabischen Bevölkerungen in der arabischen Welt versteht, dass dies ein vom Westen geführter Feldzug gegen Syrien ist, der nur den Interessen des Westens und nicht den Menschen in unserer Region dient.

Frage: Die syrische Wirtschaft ist während der Turbulenzen beeinträchtigt worden. Was ist Ihre Meinung über die aktuelle wirtschaftliche Lage in Syrien?

Dr. Imad Moustapha: Die syrische Wirtschaft wurde durch die Terroranschläge in ganz Syrien stark geschädigt. Diese terroristischen Gruppen greifen nicht nur Polizisten und Armeeeinheiten an, sondern auch Infrastruktur wie Elektrizitätswerke, Wasserversorgungeinrichtungen, Dämme, Brücken, Krankenhäuser und Schulen. Sie setzen Fabriken von Geschäftsleuten in Brand, die der bewaffneten Opposition nicht beitreten wollen. Dies hat erhebliche Schäden für die syrische Wirtschaft verursacht.

Außerdem haben die von den Vereinigten Staaten angeführten Westmächte der syrischen Wirtschaft strenge Sanktionen auferlegt. Nun sieht sich die syrische Wirtschaft zwar Schwierigkeiten gegenüber, aber dadurch wird sie weder bröckeln noch zugrunde gehen, und das aus einem einfachen Grund: Seit Jahrzehnten haben wir uns auf Selbstversorgung konzentriert. Wir produzieren nicht nur die meisten unserer Nahrungsmittel selbst, sondern seit dreißig Jahren exportieren wir auch Lebensmittel in unsere Nachbarländer. Wir produzieren 70 Prozent der Medikamente, die wir brauchen, selbst, und die anderen 30 Prozent werden aus Ländern wie Indien und Kuba importiert. Wir produzieren unsere Kleidung selbst. Wir haben also eine Wirtschaft, die sehr flexibel ist, nachjustiert und neu angepasst werden kann.

Die wirtschaftlichen Sanktionen machen uns das Leben schwer, geben uns aber auch die Gelegenheit, zu lernen, wie man diese Sanktionen überwindet, und wie das zur Stärkung unserer Wirtschaft beiträgt. Die Sanktionen sind schlecht für uns, aber auf eine Weise auch gut, weil sie uns die Schwächen unserer Wirtschaft aufgezeigt haben. Das ist unsere Chance, diese Schwächen auszuräumen. Eine gute Sache ist, dass bis zur Krise Syrien eines der wenigen Länder war, die fast keine internationalen Schulden hatten.

In den letzten dreißig Jahren haben wir uns hauptsächlich auf uns selbst verlassen. Wir waren nicht in das Geschäft der Kreditaufnahme aus anderen Ländern verstrickt, so dass unsere Autarkie uns sehr dabei geholfen hat, dem wirtschaftlichen Druck der Krise standzuhalten. Dies treibt die Vereinigten Staaten in den Wahnsinn, weil sie wirklich gehofft hatten, dass im August letzten Jahres die syrische Wirtschaft und der syrische Staat zusammenbrechen würden.

Wir haben schon heute neue Handelsbeziehungen mit neuen Partnern und wir verstärken unsere bereits vorhandenen Handelsbeziehungen mit Partnern wie Venezuela, Russland, Iran, Indien und China. Wir glauben, dass wir noch reichlich Gelegenheit haben, uns trotz aller Nöte zu entwickeln.

Quelle und CR: Beijing Rundschau

Anmerkung der Redaktion: Nur selten blitzt in unseren regime-treuen Medien die vom syrischen Botschafter beschriebene Wahrheit über den Krieg in Syrien durch - so etwa in einem jüngsten Beitrag von Klaus Todenhöfer in der Süddeutschen Zeitung vom 3. September. Todenhöfer ist seit vielen Jahren als aufrechter, demokratischer Kritiker der imperialistischen Machenschaften von USA und NATO im Nahen Osten bekannt. Seine Einschätzung in dem erwähnten Artikel der SZ lautet:

Das Machtspiel [in Syrien] wird auf vier Ebenen ausgetragen. Auf der ersten Ebene versuchen die USA, Katar und Saudi-Arabien, den Iran-Verbündeten Assad zu stürzen, um dadurch den Einfluss Teherans im Nahen Osten zu schwächen. Iran ist ihnen durch Bushs törichten Irakkrieg zu mächtig geworden. Auf der zweiten Ebene kämpfen extremistische Sunniten und Al-Qaida-Kämpfer aus aller Welt gegen das 'ketzerische' Schiiten- und Alawitentum. Auf der dritten versuchen die USA in Fortsetzung des Ost-West-Konflikts, Russland aus dem Nahen Osten zu verdrängen. Moskau wehrt sich. Auf der vierten schließlich ringen Regierung und Opposition unter großen Blutopfern um die Macht in Syrien. Die Kämpfer ahnen nicht, dass sie am Ende erneut die Vormacht anderer anerkennen sollen. Und wieder verraten werden.

Die US-Regierung versucht, diese diabolischen, ineinander verknoteten Stellvertreterkriege durch Desinformation im Stil des Irakkriegs zu vertuschen. Sie erzählt das Märchen vom demokratischen Aufstand eines Volkes, den Amerika unterstützen müsse. Doch um Demokratie geht es den USA nirgendwo in der arabischen Welt. Die USA beabsichtigen nicht, ihre Ölversorgung vom Ergebnis demokratischer Wahlen im Nahen Osten abhängig zu machen. Diese Chaosstrategie ist wie beim Afghanistan- und Irakkrieg in keinem Punkt zu Ende gedacht. Sie wird für den gesamten Nahen Osten verheerende Folgen haben.

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