07.03.2018: "Gute digitale Arbeit 4.0" verspricht der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die Regierung wolle "eine Arbeitswelt, die Menschen im digitalen Wandel befähigt, sichert und mehr Lebensqualität ermöglicht"
Ein Blick auf die bisherige Regierungsarbeit zeigt eine andere Realität. Das verdeutlicht eine aktuelle Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung:
Die Arbeitsintensität ist in den vergangenen fünf Jahren durch die Digitalisierung gestiegen, sagen 78 Prozent der Befragten. Die Daten basieren auf Interviews mit mehr als 2.000 Betriebsräten, die das Institut geführt hat.
"Im Durchschnitt aller Branchen berichten 56 Prozent der Betriebsräte, dass die Arbeitszufriedenheit gleichzeitig gesunken ist. Was den aktuellen Zustand angeht, diagnostizieren 73 Prozent Personalmangel, 60 Prozent dauerhaften Zeitdruck", erläutert Elke Ahlers von der Hans-Böckler-Stiftung (»Was die Gefährdungsanalyse erzählen kann«). Dabei ist die Einstellung der Technik gegenüber eher positiv: Zwei Fünftel der befragten Arbeitnehmervertreter verbinden die Digitalisierung auch mit positiven Auswirkungen.
Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck werden von Betriebsräten auf Betriebsversammlungen oder bei Verhandlungen mit der Unternehmensleitung thematisiert. "Die Betriebsräte sind aktiv, weil ihnen die Probleme unter den Nägeln brennen", sagt die Wissenschaftlerin Ahlers.
Folgenlose Gesetzesverstöße
Die WSI-Untersuchung zeigt auch Gesetzesverstöße auf, die folgenlos bleiben: 76 Prozent der befragten Betriebsräte geben an, dass es in ihrem Betrieb keine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung gibt – obwohl die systematische Erfassung psychischer Belastungen seit Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist. Ziel dieser Untersuchung ist, krankmachende Arbeitsbedingen zu erkennen – und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wie es das Arbeitsschutzgesetz klar vorschreibt.
Gerade bei Veränderungen durch die Digitalisierung wäre diese Beurteilung besonders wichtig. "Im Arbeitsschutz geht es um die krank machenden Faktoren am Arbeitsplatz, die Körper oder Psyche belasten können – also um die psychische Belastung", betont Elke Ahlers. "Dauerhafter Stress kann das Immunsystem schwächen und anfälliger für Erkältungskrankheiten machen. Belastende Verhältnisse am Arbeitsplatz können sich auch auf Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems auswirken. Ärzte gehen heute davon aus, dass viele Rückenleiden einen psychischen Ursprung haben".
Was sagt die neue Regierung zum Arbeitsschutz?
Erfolgt keine Gefährdungsbeurteilung, bleibt dies für Unternehmen meist folgenlos, kritisiert Ehlers. Denn die Arbeitsschutzbehörden sind "personell eher unterbesetzt", so das "wenig kontrolliert" werde.
Dazu sagen die neuen alten Koalitionäre nichts. Stattdessen: Man wolle "die Sozialstaatsforschung wieder verstärken und die sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Initiative Neue Qualität der Arbeit fördern". Konkret solle das weitere Vorgehen nur geprüft werden, heißt es im Koalitionsvertrag: "Wir wollen den Arbeitsschutz insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen der Digitalisierung überprüfen. Die vorliegenden Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, besonders mit Blick auf psychische Erkrankungen, sollen dazu ausgewertet werden". Das klingt nach Merkelschen Aussitzen, statt die Probleme in den Betrieben konkret anzugehen.
Die "Digitalisierung bietet große Chancen für unser Land und seine Menschen", so verkündet der Koalitionsvertrag [1]– für die Beschäftigten geht diese Ankündigung an der Realität vorbei.
txt: Marcus Schwarzbach, Berater für Betriebsräte
[1] Koalitionsvertrag als Anlage bei »Koalitionsvertrag: "Neuer Aufbruch" - aber wohin?«Koalitionsvertrag: "Neuer Aufbruch" - aber wohin?«