29.04.2021: Die Pharmagiganten Pfizer, Johnson & Johnson und AstraZeneca haben trotz der enormen öffentlichen Mittel, die sie für die Produktion der Covid-Impfstoffe erhalten haben, im letzten Jahr ihren Aktionären 26 Milliarden US-Dollar in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen gezahlt. "Eine Zahl, die ausreicht, um 1,3 Milliarden Menschen, also die gesamte Bevölkerung Afrikas, zu impfen", schrieben die NGOs Oxfam und Emergency an die Aktionärsversammlungen der drei Pharmariesen.
Oxfam und Emergency sind Teil der globalen People's Vaccine Alliance, ein Zusammenschluss von Organisationen und Aktivist*innen, die sich gemeinsam dafür einsetzen, dass der COVID-19-Impfstoff als globales öffentliches Gut behandelt wird - kostenlos und zugänglich für jeden, überall - ein "Volksimpfstoff". Doch die Impfstoffe gegen Covid-19 sind knapp und die Länder des globalen Südens erhalten bisher nur geringe Mengen. Von den derzeit weltweit verfügbaren Impfdosen haben sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO zehn Länder der Erde 76 Prozent gesichert. Die meisten Impfungen hätten in reichen Ländern wie den USA und Deutschland stattgefunden. WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus kritisiert die Verteilung von Impfstoff und betont, eine globale Krise brauche globale Antworten. "Die globale Lösung beginnt mit Solidarität."
"Die globale Lösung beginnt mit Solidarität"
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation WHO
Doch von Solidarität war von den Ländern der kapitalistischen Zentren auch bei der Verhandlungsrunde am 22. April im Genfer Hauptquartier der Welthandelsorganisation WTO nicht die Rede. Wieder einmal wurde über die von Indien, Südafrika und Dutzenden von ärmeren Ländern vorgeschlagene Aussetzung des Patentschutzes auf Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 verhandelt. Somit könnten die Arzneien und Geräte auch in armen Ländern frei hergestellt werden und schneller für die Menschen zum Einsatz kommen.
Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" unterstützen den Vorstoß Indiens und Südafrikas, weil Patentmonopole der Pharmaindustrie die Eindämmung der Covid-19-Pandemie verzögerten und behinderten. Pharmakonzerne zeigten kaum Bereitschaft, den Zugang zu Corona-Medizin gerechter zu gestalten, kritisierte "Ärzte ohne Grenzen".
Reiche WTO-Mitglieder lehnen eine auch nur vorübergehende Aufhebung des Patentschutzes ab, um ihre Pharmaindustrie zu schützen. Sie argumentieren, ein Aussetzen der geistigen Eigentumsrechte würde sich negativ auf die Investitionsbereitschaft auswirken. Das eigentliche Problem liege in der nicht ausreichenden Kapazität der Firmen, um den Impfstoff zu produzieren.
Biontech-Chef Uğur Şahin gegen den Verzicht auf geistige Eigentumsrechte
Nun hat sich Biontech-Chef Uğur Şahin gegen den Verzicht auf geistige Eigentumsrechte ausgesprochen. Der Verzicht auf geistige Eigentumsrechte sei der falsche Weg, um die Produktion von Covid-19-Impfstoffen zu erhöhen. ″Das ist keine Lösung″, sagte Şahin. Zum besseren Verständnis: Der Gründer von BioNTech, Ugur Sahin, besitzt ungefähr 17 Prozent der Aktien des Unternehmens mit einem Wert von 5,9 Milliarden Dollar. Er zählt nun zu den 500 reichsten Menschen der Welt. Zu den "Pandemie-Milliardären" gehört auch der Vorstandsvorsitzende des Impfstoffherstellers Moderna, Stephane Bancel. Er besitzt 5,2 Milliarden und hat seit Beginn der Pandemie bereits über 142 Millionen Dollar aus dem Verkauf eines Teils der eigenen Aktien kassiert.
WTO-Verhandlungen stecken fest
Wegen der Blockade durch die Regierungen der reichen Länder, die im Interesse von Big Pharma agieren, stecken auch nach sechs Monaten ergebnisloser Verhandlungen die Gespräche weiter fest. Arme und reiche Länder hätten ihre unterschiedlichen Positionen in dem zuständigen Ausschuss der Welthandelsorganisation (WTO) unterstrichen, hieß es aus Genf. Befürworter der Aussetzung wie Südafrika und Indien auf der einen Seite und Gegner wie die EU und die USA auf der anderen Seite hätten sich immerhin auf die Fortführung der Gespräche geeinigt. Das Thema soll am 5. und 6. Mai im Allgemeinen Rat, dem Entscheidungsgremium der WTO, zur Sprache kommen.
WTO-Chefin ruft zu freiwilligen Lizenzvereinbarungen auf
Pharmazeutische Firmen, die den Impfstoff Covid-19 herstellen, sollten genug für alle Menschen auf der Welt produzieren oder ihre Technologie freiwillig an Entwicklungsländer abgeben, sagt die neue WTO-Chefin Dr. Ngozi Okonjo-Iweala.
Es sei "nicht akzeptabel", ärmere Länder am "Ende der Schlange" für Impfstoffe stehen zu lassen, kritisierte Okonjo-Iweala, die seit dem 1. März 2021 Generaldirektorin der Welthandelsorganisation ist. Bis Ende letzten Jahres war Dr. Okonjo-Iweala, Nigerias ehemalige Finanzministerin, Vorsitzende der globalen Impfstoffallianz Gavi, die den Zugang zu Impfstoffen auf der ganzen Welt verbessern will. "Ich bin sehr besorgt", sagte sie. "Die Art von Ungleichheiten, die wir beim Zugang zu Impfstoffen sehen, sind wirklich nicht akzeptabel. Man kann keine Situation haben, in der zehn Länder 70 % der Impfstoffdosen in der Welt verabreicht haben und es Länder gibt, die nicht eine einzige Dosis haben".
"Impfstoff-Apartheid"
Cyril Ramaphosa, Präsident der Republik Südafrika
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bezeichnete das Horten von Impfstoffen in den reichen Ländern und die Weigerung, die Baupläne für die Impfstoffe frei zu teilen, als "Impfstoff-Apartheid". Er wies auf die "schmerzhafte Ironie" hin, dass in Afrika zwar die klinischen Studien durchgeführt werden, aber der Kontinent jetzt um Zugang zum Impfstoff kämpfen muss.
"Es gibt einige Kapazitäten in Entwicklungsländern, die jetzt ungenutzt sind″, sagte Dr. Ngozi Okonjo-Iweala und verwies auf eine AstraZeneca, das sein Know-how an einen Massenimpfstoffhersteller in Indien übertragen hat. ″Lasst uns die gleiche Art von Vereinbarung haben, die AstraZeneca mit dem Serum Institut von Indien hat", appellierte die WTO-Chefin. Eine solche "freiwillige Lizenzvergabe... könnte viel mehr Menschen retten. Novovax, Johnson & Johnson und all die anderen sollten diesem Beispiel folgen".
zum Thema Multinationale Pharmakonzerne verhindern Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe |
Nein-Front bröckelt
Doch ausgerechnet die Regierungen der USA und der EU-Staaten, die sich gerne auf die universellen Menschenrechte berufen, sorgen bisher dafür, dass die Impfung vier Fünftel der Menschheit gar nicht erreicht. Doch in den letzten Tagen wächst die Kritik sowohl innerhalb der Demokratischen Partei der Vereinigten Staaten als auch im Europäischen Parlament und in verschiedenen EU-Mitgliedsländern. Die US-Regierung hat den Verzicht auf geistige Eigentumsrechte ins Spiel gebracht, um die Impfstoffproduktion zu erhöhen. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, heißt es aus dem Weißen Haus. In Italien hat das Parlament die Regierung von Mario Draghi aufgefordert, bei internationalen Verhandlungen die zeitweise Aufhebung des Patentschutzes für COVID-19-Impfstoffe und Medikamente zu unterstüzen.
"Niemand ist sicher, wenn nicht alle sicher sind″
Angela Ianaro, Professorin für Pharmazie und italienische Parlamentsabgeordnete der M5S
″Wenn wir den Impfstoff nicht für alle garantieren, werden wir nie aus dem Gesundheitsnotstand herauskommen und das Virus wird sich weiter verändern. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Impfstoff auch in ärmeren Ländern zur Verfügung steht, sonst schaffen wir Inkubatoren für mögliche Mutationen, die unweigerlich in reichere Länder zurückkehren. Infektionskrankheiten kennen keine Grenzen: Niemand ist sicher, wenn nicht alle sicher sind″, begründet Angela Ianaro (M5S) den Antrag.
Anfang Mai wird im Allgemeinen Rat, dem Entscheidungsgremium der WTO, das Thema zur Sprache und möglicherweise zur Entscheidung kommen. Die Europäische Union hat ein enormes und entscheidendes Gewicht in der Frage der zeitweiligen Freigabe der Patente, denn sie wird in der WTO nur von einer Person vertreten, hat aber ein Paket von 26 Stimmen. Die Position, die bei der WTO zu vertreten ist, obliegt dem Europäische Rat [Anm.: Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union], der dann die EU-Kommission damit beauftragt. Bisher stemmen sie sich mit den Regierung anderer westlicher Industriestaaten gegen den Vorschlag Indiens und Südafrikas den Patentschutz auf Vakzine, Medizin, Diagnostika und Technologien gegen Covid-19 vorübergehend aufzuheben. In der Corona-Pandemie kostet das tausende Menschenleben.
″Stellen Sie sich vor, was wir gemeinsam erreichen können, wenn wir uns entscheiden, die globale Pandemie mit unserer kollektiven Kraft zu bekämpfen. Wir können neue Produktionskapazitäten mobilisieren und die Impfstofftechnologie mit qualifizierten Herstellern auf der ganzen Welt nutzen. Wir können Knappheit und Rationierung überwinden und den Zugang für alle sicherstellen.″ ( People's Vaccine Alliance in einem Schreiben an UNICEF, 9. Februar 2021)
"Jeder verdient Schutz vor Covid-19! Kein Profit durch die Pandemie!"
Eine breite Koalition aus Gewerkschaften des Gesundheitssektors, NGOs, Gruppen von Aktivist*innen, Studierenden und Gesundheitsexpert*innen haben die Europäische Bürgerinitiative "Jeder verdient Schutz vor Covid-19! Kein Profit durch die Pandemie!" ins Leben gerufen, mit dem Ziel Patente auf COVID19-Impfstoffe und -Medikamente aufzuheben. Gesundheit ist ein globales, öffentliches Gut.
Hier geht es zum Text und zum Unterzeichnen: https://noprofitonpandemic.eu/de/
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