12.07.2022: Pünktlich zu dem für Amazon als besonders profitablen Rabattschlachttag Prime-Day hat die Gewerkschaft ver.di Beschäftigte an mehreren deutschen Standorten zu Streiks aufgerufen.
Wie seit 2013 geht es bei dem aktuellen Streik um die Anerkennung der Tarifverträge für die bei Amazon arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Das der Protest gegen das Unternehmen und seine perfide Ausbeutungsstruktur wächst, bleibt auch denen nicht verborgen, die über Amazon Waren aller Art bestellen und ins Haus geliefert bekommen. Mit dieser Art des Warenhandels wurden gerade in der Corona-Pandemie viele neue Kund*innen gewonnen. Ein Grund für die Gewerkschaft an die Forderung für die Tarifbindung zu erinnern.
"Es ist ein Skandal, dass Amazon das Recht der Beschäftigten auf einen Tarifvertrag und damit auf existenzsichernde und garantierte Arbeitsbedingungen missachtet", so Stefanie Nutzenberger, Bundesvorstandsmitglied der ver.di.
Weil Amazon sich immer noch weigert über einen Tarifvertrag zu verhandeln wird seit der Nacht zu Dienstag an den Standorten Bad Hersfeld (Hessen), Leipzig (Sachsen), Rheinberg und Werne (beide NRW) aufgerufen. In Koblenz wurde bereits seit diesem Montag gestreikt. Mit den erneuten Arbeitsniederlegungen verleihen die Beschäftigten ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag Ausdruck.
Streiks rund um die Amazon Prime Week: 13.07.2022 Mit Beginn der Spätschicht am heutigen Mittwoch (13.7.2022) ruft die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) erstmalig die Beschäftigten des Amazon Logistikzentrums in Dortmund im Rahmen der Amazon Prime Week zum Streik auf. Bereits seit Anfang der Woche haben die Kolleginnen und Kollegen der Standorte in Werne und Rheinberg ebenfalls ihre Arbeit niedergelegt. ver.di stellt beim Onlineriesen die Forderung nach Anerkennung der Tarifverträge des Einzelhandels und Abschluss eines Tarifvertrags „Gute und Gesunde Arbeit“ auf. Das Amazon Logistikzentrum in Dortmund wurde 2018 neu eröffnet und beschäftigt aktuell etwa 2000 Beschäftigte. Dortmund ist das dritte von insgesamt fünf Logistikzentren in Nordrhein-Westfalen, das sich an den Streiks der ver.di beteiligt. „Es ist ein großer Erfolg, dass wir die Beteiligung in NRW an den Streikaktionen auf den Standort in Dortmund ausweiten konnten. Das bestärkt uns in unseren Forderungen nach beiden Tarifverträgen“, erklärt Silke Zimmer, ver.di-Landesfachbereichsleiterin Handel in Nordrhein-Westfalen. Quelle: Presserklärung ver.di |
Arbeit bei Amazon macht krank
Immer stärker geraten auch die krankmachenden Arbeitsbedingungen in den Fokus. In einem Flugblatt der ver.di-Handel Sachsen [1] wird über ständige Schmerzen berichtet. Dort heißt es: "Bei den letzten Streiks im Mai haben viele Beschäftigte damit begonnen, die gesundheitlichen Probleme bei Amazon zu thematisieren. (…) Viele gestehen ein Schmerzmittel zu nehmen, um den Tag zu überstehen. (…) Als Ursachen nennen die Kolleginnen und Kollegen z.b. monotone Arbeit, Leistungsdruck, Kontrollen, einseitige Belastungen, sinnlose Arbeiten, Überforderung, Unterforderung, nicht ernst genommen werden, ….u.v.m."
Auch die Fragen der Gesundheit am Arbeitsplatz können durch Tarifverträge geregelt werden.
Doch statt den Forderungen der Beschäftigten nach der Tarifbindung zu entsprechen und damit deutlich zu machen "Das seid ihr uns wert!", setzt der weltweit agierende Konzern immer noch auf den Weg mit "Zuckerbrot und Peitsche".
Zuckerbrot …
Das "Zuckerbrot" soll aktuell die bereits jetzt vorweggenommene Bezahlung des Mindestlohns in der Höhe von 12 Euro sein, die ab Oktober dann auf 12,50 Euro erhöht wird. "Zuckerbrot" sollen ebenfalls die teilweise höheren Entgelte sein, die Amazon punktuell einigen Beschäftigten über die in der Fläche tariflich ausgehandelten und oft erstreikten Entgelte zahlt.
… und Peitsche
Wer bei Amazon arbeitet sieht auch hinter den Kulissen die "Peitsche": Dass die Löhne und Gehälter mehr oder weniger willkürlich festgelegt werden, dass es keine Sonderzahlungen gibt, wie sie in Tarifverträgen vereinbart sind, dass über Arbeitszeiten, Urlaube, Fortbildungen und die Arbeitssicherheit eher "im freien Fall" bei Amazon entschieden wird, als nach klaren und für alle Beschäftigten geltenden tariflichen Vereinbarungen, lässt vor allen Dingen die gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen bei Amazon das "Zuckerbrot" nicht schmackhaft werden.
Gegen die Willkür, gegen die Strafmaßnahmen gegen aktive Kolleg*innen und gegen die Gewerkschaftsfeindlichkeit gibt es weltweit in den Standorten Proteste und Widerstand der Beschäftigten bei Amazon. Ob es um den Aufbau von Betriebsräten in den USA oder in Italien geht, ob gegen menschenunwürdige Schikanen wie den bekanntgewordenen Verboten von Toilettengängen, die Lieferung durch Subunternehmen der Logistik und damit der Abwälzung von Arbeitssicherheit auf andere – wenn wir solche Berichte über die Medien erfahren, sind sie schon lange im Gespräch der Amazon-Beschäftigten.
Und alle wissen: Wenn wir hier bei uns für unsere Rechte eintreten, dann haben wir die Solidarität der Ausgebeuteten von Amazon weltweit im Rücken! Und alle wissen auch: Wenn wir bei uns erfolgreich weiterkämpfen, dann tun wir es für uns hier vor Ort, aber wir tragen auch dazu bei den Konzern zu zwingen an anderen Standorten ebenfalls ein Stück mehr den Forderungen der Beschäftigten entgegenzukommen.
"Wir reißen schon ein ordentliches Loch rein"
Ronny Streich, ver.di Leipzig
Amazon lässt über die Medien mitteilen, dass das Unternehmen keine Auswirkungen auf die Kunden erwarte. Doch die Erfahrung vergangener Streiks zeigt, dass der ver.di-Gewerkschaftssekretär Ronny Streich aus Leipzig recht behalten wird mit der Aussage, dass die Abläufe durchaus gestört durch Streiks gestört werden. "Wir reißen schon ein ordentliches Loch rein", sagte er.
Es mag übertrieben klingen und doch trägt jeder kleine geführte Kampf gegen diesen Riesenkonzern seinen Teil bei, um der Willkür nicht mehr Raum zu geben, sondern sie einzuschränken, im besten Fall abzubauen. Das dies durchaus erfolgreich sein kann, wurde in den USA mit dem Erfolg der Gewerkschaftsvertretung in Alabama gezeigt. Das dies auch Beispiel sein kann in anderen Unternehmen aus diesen Kämpfen zu lernen, sie fortzusetzen in anderen Branchen, wurde hier ebenfalls gezeigt.
So kann ein Kampf für die Durchsetzung der eigenen Forderungen immer auch international ein Zeichen für erfolgreichen Streik, gemeinsame Kämpfe und für Solidarität sein. Deshalb unterstützen wir die Streiks und zeigen den Kolleginnen und Kollegen unsere Solidarität im Kampf für einen Tarifvertrag!
txt: Bettina Jürgensen
fotos: Hubert Thiermeyer, 2018, 2021
Anmerkungen
[1] ver.di,11. Juli 2022: "Gesund arbeiten bei Amazon?"
https://handel.verdi.de/unternehmen/a-c/amazon/++co++0d7e09ba-fe96-11ec-b679-001a4a160111
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