Der norwegische Gewerkschafter Asbjörn Wahl zum Eintritt Kroatiens in die Europäische Union
01.07.2013: Wenn sich Kroatien der Europäischen Union am 1. Juli anschließt, wird sich das Land einer EU im Krieg anschließen. Es ist ein Klassenkrieg, in dem die kapitalistischen Kräfte, die Troika (die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds), nationale Regierungen und die neue europäische Oligarchie zum Angriff übergangen sind, um den Wohlfahrtsstaat zu demontieren und die Gewerkschaftsbewegung zu besiegen. Mit anderen Worten: Kroatiens Eintritt in die EU wird den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen einiger Kroaten dienen, während es die Interessen der Mehrheit untergraben und schwächen wird - hauptsächlich diejenigen der ArbeiterInnen und der Gewerkschaften.
Der Hintergrund ist ein Europa in der Krise, eine Wirtschaftskrise, die in Wirklichkeit eine tiefe systemische Krise des Kapitalismus ist. Die gegenwärtige Phase dieser Krise wurde von durch die Finanzkrise 2007-2008 ausgelöst, welche besonders in Europa in eine Staatsschuldkrise umgewandelt wurde. Diese Krise wird jetzt als Ausrede genutzt, um das soziale Europa zu zerstören und das Kräfteverhältnis weiter zu Gunsten des Kapitals zu verschieben. Das ist das Ziel, oder zumindest die Wirkung der den harten Arbeitslosigkeits- und Austeritätspolitik, die jetzt in ganz Europa verfolgt wird. Die Krise hat auch offengelegt, dass die EU institutionell aus einem Kern von mächtigen Staaten und einer Peripherie von mehr oder weniger machtlosen besteht. Kroatien wird ganz offensichtlich seinen unter den Letzteren finden.
Im Laufe der letzten wenigen Jahre haben wir enorme Angriffe auf ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsrechte in der EU erfahren. So hatten wir 2007/2008 das so genannte Laval-Quartett von Vikink, Laval, Rütter und die Fälle von Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof, bei dem es um die Einschränkung des Streikrechts ging. Zweitens haben wir in jüngster Zeit mehrere Pakte, Gesetzgebungen und Politikempfehlungen in der EU, die stark zur Schwächung von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten beitragen. Drittens, haben Regierungen in mindestens zehn EU-Mitgliedsländern, gefördert von der EU-Kommission, Tarifvereinbarungen im öffentlichen Sektor beiseitegelegt, während sie Löhne ohne Verhandlungen mit den Gewerkschaften kürzten. Auf nationaler Ebene sind in mehreren EU-Mitgliedstaaten Gesetze eingeführt worden, die das Streikrecht einschränken und zur Bekämpfung von Streiks extreme Maßnahmen durch das Militär und die Polizei erlauben (vgl. Griechenland).
Die institutionelle Entwicklung der EU hat sich im Laufe der letzten Jahre dadurch ausgezeichnet, dass der Neoliberalismus als das alleinige wirtschaftliche Modell der EU in Stein gemeißelt wurde. Neue Vereinbarungen und Einrichtungen sind mit einer in der Geschichte der EU bisher beispiellosen Geschwindigkeit und mit geringer demokratischer Legitimation angenommen worden. Der EuroPlus-Pakt, die sechs Teile der Gesetzgebung über die Wirtschaftsregierung (der so genannte six-pack), der Fiskalpakt und der gegenwärtig verhandelte Wettbewerbsfähigkeitspakt sind alles Teile dieser Entwicklung zu einer autoritäreren, noch neoliberaleren EU.
Strukturreformen des Arbeitsmarktes sind Hauptelemente dieser Gesetzgebung gewesen. Auf der neoliberalen EU-Sprache bedeutet dies niedrigere Mindestlöhne, reduzierter Umfang von Tarifvereinbarungen, Dezentralisierung der Lohnbildung, flexiblere Arbeitszeiten, Kürzung der Überstundenzuschläge, mehr Leiharbeit usw. In der Wirkung bedeutet dies geringeren sozialen Schutz und eingeschränkte Gewerkschaftskraft. Außerdem wurden Arbeitslosenunterstützungen gekürzt, das Renteneintrittsalter erhöht, und die Renten gekürzt. Als ob das nicht genug ist, sind die Mitgliedstaaten beauftragt worden, Austeritätspolitik in ihrer nationalen Gesetzgebung, vorzugsweise in ihrer Verfassung, zu verankern. Austerität für immer, mit anderen Worten - oder das Ende des sozialen Europas.
Bis jetzt ist die europäische Gewerkschaftsbewegung nicht im Stande gewesen, diese reaktionäre Politik der Liberalisierung, Privatisierung und Austerität zu bändigen. Sie klammert sich immer noch stark an die Sozialpartnerschaftsideologie der Zeit nach dem Zweiten Weltkriegs, ungeachtet der Tatsache, dass der Klassenkompromiss, auf dem diese Politik beruhte, zusammengebrochen ist. Bis vor wenigen Jahren hat der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC deshalb auch (wie die engverbundenen Sozialdemokratischen Parteien) den größten Teil der neoliberalen gesetzgebenden und institutionellen Entwicklung der EU unterstütz. Erst jetzt sehen wir den Beginn einer Änderung dieser Politik – unter dem Druck von einigen nationalen Gewerkschaftsbünden, besonders aus dem Süden Europas.
Die europaweiten Aktionen des Europäischen Gewerkschaftsbundes, die am 14. November 2012 stattfanden, klangen in dieser Hinsicht vielversprechend. In mindestens in sechs EU-Mitgliedstaaten (Portugal, Spanien, Italien, Griechenland, Zypern und Malta) wurden an diesem Tag Generalstreiks organisiert. Das gab es vorher noch nie in der Geschichte der europäischen Gewerkschaftsbewegung. Außerdem wurden beschränkte Streiks in Frankreich und Belgien, und große Demonstrationen und Solidaritätsaktionen in mehreren anderen Ländern, einschließlich in Mittel- und Osteuropa, durchgeführt. Das ist die Tendenz, in der die kroatischen Gewerkschaften ihren Platz finden müssen, um die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen - und mit dem Aufbau eines anderen Europas, eines Europas der Bevölkerung, zu beginnen.
Asbjørn Wahl,
Direktor, Kampagne für den Wohlfahrtsstaat, und
Berater, norwegische Vereinigung von Städtischen und Allgemeinen Angestellten
eigene Übersetzung aus dem englischen
Quelle: Facebook-Eintrag von Walter Baier, https://www.facebook.com/walter.baier.73?fref=ts