Der Kommentar

Russ Putin Rede Anerkennung LDVR 2022 02 21 1Kommentare von Walter Baier und Tommaso Di Francesco zur Rede von Wladimir Putin

 

 

 

 

Walter Baier: Nationalismus und Internationalismus

Ich habe mich in einem Punkt geirrt: Putins Strategie ist nicht rational. Man könnte etwa sagen, dass durch die Anerkennung der beiden "Volksrepubliken" sich am Status quo ja nichts änderte; man könnte sogar sagen, dass die Entsendung russischer Truppen zu einer Beendigung der aufflammenden Kämpfe diente. Dass Putin die "Volksrepubliken" aber nicht in den durch die Waffenstandsabkommen gezogenen Demarkationslinien, sondern in den durch ihre Verfassungen beanspruchten Grenzen anerkennt, kommt einer Kriegserklärung gleich.

Wer Putins vorgestrige Rede gehört [1] oder gelesen hat, versteht, dass es ihm nicht nur um legitime Sicherheitsinteressen der russischen Föderation geht, sondern um die Verwirklichung des großrussischen Programms, alle russisch sprechenden Gemeinschaften in einem großrussischen Staat zu vereinen.

Der aus dem 19. Jahrhundert stammende Nationalismus ist aber irrational, so irrational wie das Großungarntum Viktor Orbáns und das Großrumänentum. Er würde bedeuten, alle französischsprechenden Europäer*innen an Frankreich, alle Deutschsprechenden an Deutschland anzuschließen. Beinahe alle in Europa bestehenden Grenzen würden dadurch in Frage gestellt.

Das Recht auf "nationale Selbstbestimmung" gilt niemals absolut. Nicht für die Ukraine, die als Staat nur dann überleben wird, wenn sie sich als Brücke zwischen Ost- und Westeuropa und nicht als militärischer Brückenkopf der NATO gegen Russland versteht, und nicht für Russland, das nicht gegen alle alle seine Nachbarn territoriale Forderungen stellen kann, um 17 Millionen Russ*innen heim zu holen.

Putin hat sein Land in die Sackgasse der Militarisierung des politischen Konflikts geführt. Der Weg hinaus führt nur über eine politische Lösung. Für diese trägt die EU, die zugelassen hat, dass sich die NATO bis an die russische Grenze vorgeschoben hat, dieselbe Verantwortung wie Russland. Putin wird diesen Weg gehen oder von den Oligarchen, die er bislang vertreten hat, abmontiert werden.

Für Sozialist*innen im Westen wie im Osten bedeutet dies, dass sie ihr Programm weder an den Interessen der Herrschenden ihrer Länder noch an den ideologischen Konstruktionen der Nationalisten auf der einen und der neoliberalen Menschenrechtsimperialisten auf der anderen Seite ausrichten dürfen.
Das Kriterium muss sein, was der Verhinderung eines Krieges in Europa nützt.
Niemals mit den Wölfen heulen!

 

Tommaso Di Francesco (il manifesto): Die Ukraine-Krise am Abgrund

Die Entscheidung, die Unabhängigkeit von Lugansk und Donesk anzuerkennen, ist ein Akt der Gewalt, der sich als asymmetrische Antwort auf die vielen falschen Entscheidungen der westlichen Kriege legitimieren soll. Und genau aus diesem Grund können wir die Ankündigung des russischen Präsidenten Putin nur als einen schweren Fehler, als abenteuerlichen Vorboten eines neuen Krieges bezeichnen. Denn wenn man die Gründe des russischen Volkes zu Recht verteidigt, ist die asymmetrische Antwort auf die Arroganz der anderen, der NATO und der USA, keine Lösung: Sprechen wir von 2008, als - nach dem "humanitären" Luftkrieg - trotz der Friedensvereinbarungen von Kumanovo von 1999 , in denen das von Belgrad beanspruchte Recht auf den Kosovo anerkannt wurde, die spaltende Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt wurde - koste es, was es wolle.

Russ Putin Rede Anerkennung LDVR 2022 02 21Wenn man in dieser für den Frieden dunklen Zeit wirklich den Wunsch hatte, die einzige Möglichkeit der Konfliktlösung vor Ort zu bewahren, nämlich die Minsker Vereinbarungen, die zu Recht die territoriale Integrität der Ukraine schützen, dann macht die Entscheidung, die Unabhängigkeit von Lugansk und Donezk anzuerkennen, alle diplomatischen Bemühungen zunichte. Sie hätten stattdessen wiederbelebt werden müssen und können, selbst angesichts der bitteren Wahrheit, dass diese Vereinbarungen bisher vom ultranationalistischen Parlament in Kiew boykottiert wurden.

Es wird nun schwierig sein, einen Verhandlungsprozess wieder in Gang zu bringen, und es werden nur noch die Gründe für die Gewaltanwendung zum Tragen kommen, wie es 2008 in Georgien der Fall war. Zwischen den Vereinigten Staaten, die sich dem endgültigen Sieg über den sowjetischen Feind - den es nicht mehr gibt - nach dem Kalten Krieg verschrieben haben, und Russland, das von seiner ideologischen und militärischen Expansion angetrieben wird und in einer imperialen Tonart antwortet. Und bitte, Finger weg von Lenin. [2]

Dies ist ein riskantes Spiel in Europa, gegen Europa, bei dem die Europäische Union eine untergeordnete Rolle spielt, weil sie keine eigene Außenpolitik hat, die das Atlantische Bündnis ersetzt, und in strategischen Fragen wie der Energiefrage gespalten ist. Die ukrainischen Rechtsextremisten werden sich freuen, haben sie doch durch die Auslösung des düsteren Maidan-Aufstandes - mit Massakern wie dem ungesühnten in Odessa - schließlich zum Verbot der russischen Sprache und zur Vertreibung von Russen und Pro-Russen geführt, in acht Jahren Bürgerkrieg zu 14.000 Toten und zwei Millionen Flüchtlingen, von dem niemand etwas mitbekam. Der Prozess ist zu Ende gegangen. Wir stehen am Abgrund.

 

Anmerkungen

[1] Wladimir Putin verkündet Anerkennung der Separatistengebiete in Rede an die Nation
Phoenix: https://youtu.be/Z2ftSCAckvk oder
RT: https://www.facebook.com/watch/?ref=external&v=1088901158344704

[2] Tommaso Di Francesco spielt auf die Aussagen von Putin an, in denen er neben seinen persönlichen und eigenwilligen Geschichtsinterpretationen auch eine Kritik an Lenin äußert. Die "Bolschewiken" haben im Jahr 1922 "an der Stelle des Russischen Reiches die UdSSR gebildet. Das war vollkommen getrennt von der historischen Tradition. … Die leninschen Prinzipien des Staatsaufbaus waren nicht nur ein Fehler, es war noch viel schlimmer als ein Fehler." Nachdem die Ukraine nie eine Staatlichkeit besessen hätte, hätten erst die "Bolschewiken" dieses Gebilde geschaffen. Lenin sei "der Architekt dieser Ukraine", die "auch heute den Namen von Wladinir Iljitsch Lenin tragen könnte. Insbesondere betrifft das die Donbas-Region, die in die Ukraine quasi hineingeschoben wurde. Und jetzt haben wir dankbare Nachkommen, die Lenin-Denkmäler in der Ukraine abreißen. Das nennt man Entkommunisierung. Und das ist für uns vollkommen akzeptabel. Aber man sollte nicht auf dem halben Wege stehenbleiben. Die Entkommunisierung muss vollständig und gänzlich gemacht werden. Wir sind bereit, Ihnen zu zeigen, was für die Ukraine eine echte Entkommunisierung bedeutet." (Anm.: unter "Entkommunisierung“ wird die Ausmerzung von allem, was an den Kommunismus erinnert, verstanden.)


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