Meinungen

29.10.2013: In Italien ist mit der verheerenden Wahlniederlage der Linken bei den zurückliegenden Wahlen eine intensive Debatte über die Perspektiven einer alternativen, radikalen Linken eröffnet worden. Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag von Guido Viale in Il Manifesto:

Wir sind - und das seit langem - nicht mehr italienische Bürger; wir sind Untertanen eines „Souveräns“, der „Europäisches Lenkungssystem“ heißt: Eine von niemandem ernannte Macht, die lediglich den „Regeln des Marktes“ gehorcht. Es ist eine De-Facto-Regierung, die die Politik der EU-Länder bestimmt, an die die Regierungen ihre nationale Souveränität abgetreten haben, bis hin zur Gewährung einer präventiven Kontrolle über die eigenen Haushalte durch die Vereinbarungen, die der Europäischen Kommission noch mehr Macht zur Überwachung nationaler Haushalte zusichert als bisher.

Wenn die Dinge so liegen - wie der Refrain „Das verlangt Europa von uns“ besingt - müssen wir, um unserer Stimme Gehör zu verschaffen und der Allgemeinheit ihre Fähigkeit zur Selbstregierung zu geben, eine Opposition ins Leben rufen, die auf dem gesamteuropäischen Umfeld agiert und einen Blick für Gesamteuropa hat.

Aber wie sollen wir diesen Abgrund auffüllen, der zwischen der aufgezwungenen Politik des European Governance und seiner Finanzinstrumente einerseits und den Bewegungen und tausenden Organisationen andererseits klafft, die jede einzelne oft isoliert und auf eine ganz eigene Weise kämpft? Diese Organisationen kämpfen um Grundrechte, die die EU-Regierungen immer mehr aushöhlen: Würde, Arbeit, Einkommen, Dach über dem Kopf, Gesundheit, Bildung, ein sicheres Alter, Aufnahme von Flüchtlingen, Achtung vor dem Leben Aller. In diesen Forderungen steckt die Keimform eines gemeinsamen Programms, in dem sich die Teilnehmer der Demonstrationen vom 12. wie auch vom 19. Oktober leicht wiederfinden, die die jeweiligen Veranstalter jedoch getrennt durchgeführt haben. Die Gründe liegen in der politischen Vorsicht und in aggressiven, verbalen Ausfällen Einzelner; beides ist jedoch inakzeptabel, wenn man alle vorhandenen Kräfte bündeln will.

Für dieses Programm könnten die Europa-Wahlen des kommenden Frühjahrs eine erste Gelegenheit bieten, um in allen Ländern der EU vorgeschlagen zu werden – wie das Alfonso Gianni (Anm: Staatssekretär der Rifondazione Comunista in der Regierung Prodi, bis 2012 Mitglied von Sinistra Ecologia Libertà, die er wegen der Unterstützung der PD-Regierung verlassen hat und bei den zurückliegendenWahlen die Rivolucione Civile unterstützt hat) und Tonino Perna (Anm.: Professor für Politische Ökonomie an der Universität Messina) vertreten.

Die grundsätzlichen Punkte dieses Programms sind bereits weit verbreitet und werden von einem breiten Spektrum von Organisationen geteilt, auch wenn diese Organisationen bisher nicht direkt mit einem richtigen Programm konfrontiert waren und nie ihre Stimme in offiziellen Institutionen einbringen konnten. Diese Grundsatzpunkte schließen vor allem die vorher genannten Rechte ein, sodann die radikale Rücknahme der Austeritätspolitik, die sofortige Verbesserung der Beschäftigungssituation und der Lebensbedingungen in Südeuropa (bis jetzt ist die Katastrophe vor allem in Südeuropa, aber sie breitete sich auch in Mittel- und Nordeuropa aus). Sie schließen drittens den ökologischen Umbau der Produktion ein, um den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen und die Schließung von zehntausenden großen und kleinen Unternehmen zu verhindern, die durch die Krise, die Sparpolitik, durch Verlagerungen und dem Verlorengehen von traditionellen Zugängen zum Markt zugrunde gerichtet werden. Es geht auch um neue Arbeitsmöglichkeiten und Unternehmen, die mit einer in die Zukunft gerichteten Produktion befasst sind und dazu beitragen, der den Planeten bedrohenden Umweltkatastrophe, Einhalt zu gebieten.

Der vierte Punkt, den in einem solches Programm beinhalten muss, ist das Entstehung einer neuen Führungsschicht, die aus Menschen besteht, die schon jetzt zum großen Teil im Umfeld der Bewegungen aktiv sind, und damit ein direkter Ausdruck des Erneuerungswillens ist, der im gemeinsamen Kampf entsteht, und die sich auch praktisch in diesen unruhigen Zeiten formiert. Denn die gegenwärtige Krise ist nicht nur Folge von falscher Politik, sondern vor allem von einem moralischen und kulturellen Zerfall des europäischen Establishments. Nicht nur des politischen Establishments, sondern auch der Manager, der Wirtschaftsführungen und der akademischen Schichten.

Aber das Hauptproblem ist nicht das Programm selbst; es ist die Kraft, die es endlich in Gang setzen könnte. Wo ist diese Kraft zu finden? Auf die existierenden politischen Kräfte oder auf eine radikales Umdenken von ihrer Seite kann man nicht zählen, - es sei denn, es kommt zu einer Auflösung, die diejenigen herausspült, die ein echtes Interesse an einer grundsätzlichen Veränderung haben. Nur ein zahlenmäßiges und qualitatives Anwachsen der Organisationen und Bewegungen, die den gesellschaftlichen Konflikt Tag für Tag tragen, kann ein solides Fundament bilden.

Unsere vielen und wichtigen Erfahrungen liefern uns einen roten Faden, um unsere Forderungen in der politischen Praxis zu bündeln, und ein Projekt der radikalen Erneuerung der Politik umzusetzen. Das erfordert die Zusammenarbeit von vielen gesellschaftlichen Kräften, die heute noch zum größten Teil versprengt und voneinander isoliert agieren.

In Italien und großen Teilen von Europa stehen wir vor zwei Grundproblemen: Auf der einen Seite die Unternehmen, die schließen, entlassen und nie wieder einstellen, und damit riesige Werte an Wissen, Erfahrung und Kooperationsfähigkeit zum Teufel schicken und nichts als zerstörtes Leben hinterlassen. Auf der anderen Seite die Notwendigkeit, dem Heer von aus Arbeit und Einkommen Ausgeschlossenen (also den perspektivlosen Menschen, die im Prekariat leben) eine neue Chance zu geben. Es handelt sich hier um junge Menschen, deren Arbeitslosenrate in den südeuropäischen Ländern astronomische Ausmaße angenommen haben, die aber auch in den Ländern mit der stabilsten Wirtschaftskraft wächst; aber dieses Problem betrifft auch andere Altersstufen: Viele Dreißig- und Vierzigjährige, die in ihrem Leben nichts als Prekariat kennengelernt haben und viele Fünfzig- und Sechzigjährige, die entlassen worden sind, und denen nach und nach die Perspektive einer Rente entzogen wurde und wird.

Und dann die Flüchtlinge und Migranten, die, wenn sie in die Gesellschaft und die Arbeitswelt integriert wären, einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der europäischen Länder leisten könnten; um dann gemeinsam daran zu arbeiten dass sich nach der Rückkehr in ihre Länder ein einziges großes mediterranes Volk herausbildet.

Heute kann man nicht mehr damit fortfahren, in der Krise ein Unternehmen an die Regierung zu delegieren, damit diese einen neuen Besitzer findet. Denn die neuen Besitzer der Unternehmen tun nach unserer Erfahrung nur eins, wenn sie in Erscheinung treten: Sie berauben diese ihres noch verbliebenen Kapitals, ihrer Marke, ihres Know-Hows, ihrer besten Ausrüstung, um dann die Arbeiter auf die Straße zu werfen.

Man kann nicht auf Nationalisierung orientieren oder auf Verstaatlichung. Und sicherlich ist der Grund hierfür nicht, dass die Europäische Union es verbietet. Viele dieser Unternehmen wurden vom Staat mit nicht weniger katastrophalen Zerstörungen überzogen, als es die privaten oder privatisierten Eigner getan haben. Außerdem verfügt der italienische Staat nach der Liquidierung des IRI (Anm.: Istituto per la Ricostruzione Industriale, eine staatliche Industrieholding, die im Jahr 2000 abgewickelt wurde) nicht mehr über die Manager, die in der Lage wären, ein Unternehmen zu führen. Nein die Unternehmen brauchen eine neue Leitung, die aus der Arbeiterschaft und ihren Vertretern, aus lokalen Regierungen und örtlichen gesellschaftlichen Verbänden, aus Wissenschaftlern und Forschern der Universitäten zusammengesetzt sind; in einem System das man als „beni comune“ (Gemeinwohl) kennt, nicht privat und nicht öffentlich, das sich aber auf die Interessen der Gemeinschaft bezieht.

Wir müssen also ein Programm haben, das auf jeden Fall die öffentlichen Dienste wiederherstellt: Wasser, Energie, Transport, Abfallentsorgung, Schulen, Landnutzung – also die Schlüsselsektoren für den ökologischen Umbau.

Ein weiteres zentrales Problem ist die Menge an Energie, Intelligenz, Kreativität und Erwartungen der Männer und Frauen, die aus der Arbeitwelt ausgeschlossen worden sind. Sie könnten zur kulturellen und produktiven Wiedergeburt Europas beitragen, besonders in den Ländern, die von der Austeritätspolitik am meisten betroffen sind. Um diese Energie zurückzugewinnen, muss man die Menschen aus den Erpressungsmechanismen der Armut, Arbeitslosigkeit und des Prekariats befreien und ihnen allen ein bedingungsloses Einkommen garantieren. Die Ressourcen, die dafür nötig sind, sind sehr viel geringer als diejenigen, die für Rüstung, in den unnötigen Mega-Projekten, den zu bedienenden Zinsen auf öffentliche Schulden, durch Steuerflucht und die Kosten der Politik verschwendet werden. Und sowie die Menschen einmal von dem Joch eines unproduktiven Lebens befreit wären, würde die Rückgewinnung der Gemeingüter stattfinden können, die heute durch die Politik den privaten Investoren zugeschanzt worden sind oder ungenutzt daliegen - Häuser, Denkmäler, Stadtgrund, Brachland, Strände, Theater, Fabriken und Hallen. Mit der nötigen Finanzierung und einer Selbstverwaltung würde die Energie freigesetzt werden, die den Niedergang mit von unten verwalteten Programmen des ökologischen Umbaus aufhalten würden.

Aber nur große Massenkämpfe und eine massenhafte Mobilisierung können diesen Ausgang der Geschehnisse herbeiführen. Es ist ein Projekt des langen Atems, aber wir gehen schwierigen Zeiten mit extremen Lösungen entgegen; darüber heute eine öffentliche Debatte zu führen, ist ein guter Anfang.

Quelle:  Il Manifesto
http://www.controlacrisi.org/notizia/Politica/2013/10/24/37582-unopposizione-per-la-nostra-europa/

Übersetzung: bema

siehe auch:

 

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

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Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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