These 1
Die Krise trifft auf eine politische Konstellation, in der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und die politische Linke in den kapitalistischen Zentren so schwach sind wie nie zuvor in einer vergleichbaren Krisensituation. Die Krise kann die Marginalisierung der kommunistischen und sozialistischen Linken und der Gewerkschaften noch beschleunigen; sie kann aber auch zu deren „Revitalisierung“, zur Reorganisation und einen neuen Aufschwung führen.
These 2
Entgegen der These vom „Ende der Arbeit“ und vom Verschwinden der Arbeiterklasse stellen wir fest, dass „Arbeit ohne Ende“ zu einer prägenden Erfahrung der Beschäftigten wird. Gerade in der Krise wird die Arbeitszeit immer weiter ausgedehnt und die Arbeitsintensität erhöht. Aber diese Arbeit wird immer weniger homogen und konzentriert an einem Ort erbracht, sondern fragmentiert, geografisch verteilt und zunehmend in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Strukturen und Arbeitsprozesse, die kollegiales und solidarisches Verhalten quasi spontan gefördert haben wurden beseitigt.
Zwar nimmt die Arbeiterklasse zahlenmäßig sogar zu, aber die moderne Produktion von Heute eint die Arbeiter nicht, sondern spaltet die Arbeiterklasse, hat sie fragmentiert, ihre Milieus aufgelöst, die verbunden waren mit Wohnen in Arbeitervierteln, gemeinsamen Freizeitmöglichkeiten, einer Arbeiterkultur usw..
Im Unterschied zu früheren Phasen kapitalistischer Entwicklung ist heute die prekäre Beschäftigung nicht mehr Ausdruck der Rückständigkeit, sondern Ausdruck der „Modernität“ des Kapitalismus. Wurden früher die prekären Arbeitsverhältnisse v.a. von Frauen, Nebenerwerbslandwirten, ImmigrantInnen, etc. tendenziell in tariflich geschützte Normalarbeitsverhältnisse überführt, so führen die flexible Produktionsweise des heutigen Kapitalismus, die verschärfte Konkurrenz der Arbeiter um Arbeitsplätze und die Politik der Deregulierung der Arbeitsbeziehungen heute dazu, dass prekäre Beschäftigung (Leiharbeit, selbstständige Arbeit, befristete Beschäftigung, Niedriglohn, Teilzeitarbeit, Arbeit in Bereichen ohne Tarifverträge, usw.) das tariflich geschützte Normalarbeitsverhältnis immer mehr verdrängt.
Prekarität bestimmt aber nicht nur die Arbeitsverhältnisse, sondern ausgehend von der prekären Beschäftigung in der Fabrik, dominieren Prekarität und Unsicherheit das gesamte Leben und unterminieren den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Prekäre Beschäftigung ist eine Folge des Strukturwandels des Kapitalismus und deshalb nicht ohne grundlegende gesellschaftliche Veränderung rückgängig zu machen. Aus diesem Grunde kommt es darauf an, die prekär Beschäftigten zu organisieren, was hierzulande von den Gewerkschaften und Betriebsräten bisher kaum angegangen worden ist.
Auch Kern- und Stammbelegschaften kommen unter den Druck der Prekarisierung und der kapitalistischen Globalisierung. Zahlreiche industrielle Großbetriebe, deren Belegschaften in der Vergangenheit die kampfstärksten Teile der Klasse bildeten, werden zerlegt, geschlossen oder ins Ausland verlagert.
Gleichzeitig werden immer mehr Menschen auf Dauer von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Das höchste Risiko der Arbeitslosigkeit tragen Ungelernte, Beschäftigte mit niedrigem Einkommen, LeiharbeiterInnen, Jugendliche und Frauen. Aber auch für hochqualifiziert Beschäftigte wird ständige Unsicherheit zu prägenden Lebenserfahrung.
These 3
Die mit den modernen Technologien verbunden hochqualifizierten „Wissensarbeiter“ (Wissenschaftler, Ingenieure, wissenschaftlich-technischen Assistenten usw.), die Beschäftigten und Selbstständigen in den neuen aufsteigenden Branchen, die Kernbelegschaften der transnationalen Unternehmen waren zeitweise als vermeintliche „Globalisierungsgewinner“ in den neoliberalen Block integriert worden.
Heute treten die tatsächlich existierenden objektiven Widersprüche schärfer hervor, die soziale Ungleichheit wächst, der Schein „zerbricht“ und die versprochene Partizipation wird weitgehend als fiktiv erfahren, die selbstständige Arbeit findet in tausend Formen neuer Abhängigkeit statt. Die Informations- und Wissensarbeit in den netzwerkartig organisierten Unternehmen entpuppt sich für wachsende Teile der Beschäftigten als digitaler Taylorismus; ständig gehetzt von nicht einzuhaltenden Terminen. Selbstorganisation und selbstauferlegter Zwang zur Arbeit ersetzen die Überwachung von außen. Sie sind gezwungen, Flexibilitäts- und Effizienzanschauungen, unternehmerisches Denken in ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster zu verinnerlichen. Statt des Kampfes gegen die betriebliche Hierarchie führt der Arbeiter den Kampf mit sich selbst um seine eigenen Fähigkeiten und seine Zeit. In diesem Klima fühlen sich die Menschen dauernd überfordert und verunsichert. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwinden immer mehr. Die Verhältnisse zwischen Unabhängigkeit oder Selbstständigkeit und Unterwerfung werden neu geordnet.
These 4
Die wachsende Arbeitslosigkeit infolge der Krise führt zu verstärkter Konkurrenz um Arbeitsplätze und verdrängt Frauen wieder aus der Arbeitswelt. Mit dem neoliberalen Umbau der Arbeitsverhältnisse war das traditionelle Rollenverständnis von Frau und Familie in den bürgerlichen Gesellschaften aufgebrochen und weibliche Berufstätigkeit selbstverständlicher geworden. Frauen verfügen über den höchsten Stand der Bildung und kulturellen Entwicklung und sind zunehmend in Bereichen vertreten, die früher fast reine Männerdomänen waren. Dies trat zugleich auf mit der Verknappung der Arbeitsplätze und damit verschärfter Konkurrenz aufgrund struktureller Arbeitslosigkeit. Diese Konkurrenz wird jetzt durch die wachsende Arbeitslosigkeit infolge der Krise noch weiter verstärkt. Bei den arbeitenden Armen handelt es zu einem großen Teil um Frauen; Frauen werden beim Lohn diskriminiert, arbeiten vielfach in prekären Beschäftigungsverhältnissen und gehören zu den ersten, die entlassen werden; Frauen sind überdurchschnittlich von Altersarmut betroffen. Denn um ihre volle Arbeitskraft auf dem Markt anbieten zu können, wäre die dreifach freie Lohnarbeiterin erforderlich; nicht nur frei von Produktionsmittel und frei, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sondern auch frei von den notwendigen Reproduktionsarbeiten. Es sind die Frauen, die einen nicht unwesentlichen Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit „unsichtbar“ als Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit erbringen. Aus diesen Gründen stellen Frauen auch eigene - und neue - Anforderungen an die Gestaltung von Arbeit, Arbeitszeit und das Verhältnis von Arbeit, Leben und Freizeit.
Im Zuge der „Globalisierung der Pflegearbeit“ wird häusliche Reproduktionsarbeit zunehmend durch die billige, häufig illegalisierte Arbeitskraft von Arbeitsimmigrantinnen erbracht.
Eine Umwandlung dieser Arbeiten in gesellschaftlich anerkannte, tariflich geschützte und bezahlte Arbeit sowie nicht nur die Verteidigung, sondern der Ausbau des öffentlichen Sektors in den Bereichen Erziehung, Bildung, Pflege sind unverzichtbar für eine Gesellschaft mit mehr Geschlechtergerechtigkeit.
These 5
Die junge Generation ist geprägt von den Niederlagen der Arbeiterbewegung und durch neoliberale Gesellschaftsverhältnisse, die die eigene Lebenspraxis bestimmen. Die ideologische Verhältnisse und sozialen Erfahrungen haben eine junge Generation - die „Generation Praktikum“ - mit tiefgehender Verunsicherung über die Lebensperspektive und gleichzeitiger Spaß- und Eventkultur geprägt.
Beginnend mit ersten Protesten der Gewerkschaftsjugend gegen das Leben als „Generation Praktikum“, mit den Protesten in Heiligendamm, der Studierenden gegen Studiengebühren über die Aktionen der SchülerInnen und Studierenden im Juni 2009 bis zu den Bildungsstreiks im November 2009 haben sich immer mehr Jugendliche an den Protesten beteiligt. Sie haben die neoliberale Ideologie und Praxis des Egoismus und der Verantwortungslosigkeit durchbrochen und soziale Erfahrungen des gemeinsamen Handelns gemacht. Die Kapital-Lesebewegung an Hochschulen zeigt das wiedererwachte Interesse von Jugendlichen an Kapitalismuskritik und an Marx.
Mit den Aktionen des „Bildungsstreiks“ haben Jugendliche den Kampf um eine bessere Bildung, gegen überfüllte Studiengänge, soziale Ungleichheiten im Bildungswesen und die Unterfinanzierung der Bildung aufgenommen. Der europaweite Protest - „Bildung ist keine Ware .. und wir sind kein Produkt“ - richtet sich gegen den „Bologna-Prozess“ und damit gegen einen Kapitalismus, der Bildung zur Ware macht.
Schulen und Universitäten sind der Bereich und die Lebensphase, in der junge Menschen geprägt werden. Jugendliche organisieren sich spontan und projektbezogen. Jetzt ist es nötig, Strukturen aufzubauen, die diesen Aufbruch auffangen, stabilisieren und weitertreiben können.
These 6
Der moderne Kapitalismus hat die soziale Basis der Arbeiterbewegung zersetzt und aufgelöst. Mit der Folge, dass „die“ Arbeiterbewegung als klassenautonome politische, gewerkschaftliche und kulturelle Bewegung nicht mehr existiert.
Die Arbeiterbewegung ist erst dabei, sich unter neuen Bedingungen zu rekonstruieren. Angesichts der Fragmentierung der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse wird es immer schwieriger, die allgemeinen und gemeinsamen Interessen der Klasse zu artikulieren und zu vertreten. Das zu vereinigen, was der Kapitalismus trennt, ist die schwierige Herausforderung. Dabei können wir uns nicht auf die „objektive Einheit“ der Arbeiterklasse beziehen, die von Gewerkschaften oder von der Partei „nur“ abgerufen werden muss, sondern die Einheit entsteht erst aus der politischen Aktion von Teilen der Klasse, die nicht nur eigene partikulare Interessen zu verfolgt, sondern an wesentliche, von breiteren gesellschaftlichen Schichten unmittelbar empfundene Probleme und Konflikte anknüpft.
Dies können Kämpfe um höhere Löhne, gegen die Verlängerung der Arbeitszeit, gegen Entlassung und Betriebsschließung, gegen Hartz IV oder gegen Privatisierung sein. Mindestlohn, Alters- und Gesundheitsschutz sowie der Erhalt der Arbeitskraft sind Themenfelder, die die Interessen der gesamten Klasse betreffen. Wesentlich ist, dass nicht nur partikulare Vorteile verteidigt werden, sondern Interessen der gesamten Klasse und sogar der Mehrheit der Gesellschaft. Dies ist die Voraussetzung, damit die Arbeiterklasse eine hegemoniale Rolle gewinnen kann.
Auf Grund ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Produktion und ihrer gewerkschaftlichen Organisationskraft nehmen die Kernbelegschaften der Konzernbetriebe immer noch eine Schlüsselstellung bei den sozialen Auseinandersetzung ein. Aber gegenwärtig verlaufen deren Kämpfe noch weitgehend vereinzelt und zielen vor allem auf die Verteidigung partikularer Interessen. Diese defensive Verteidigung eröffnet keine Perspektiven, sondern birgt die Gefahr, dass Gewerkschaften und Kernbelegschaften selbst zu Trägern einer konservativen Ideologie werden. Die Gewerkschaften würden ihre Funktion und Bedeutung verlieren.
Neu sind Arbeitskämpfe der ErzieherInnen, GebäudereinigerInnen, Wanderarbeiter auf Baustellen, im Einzelhandel oder in Call-Centern, die mit neuen Kampf- und Aktionsformen für ihre Interessen streiten. Diese Kämpfe repräsentieren die Interessen der wachsenden Schicht der Prekären und sind Vorboten von sozialen und politischen Konflikten, die für die Entwicklung der Löhne und Arbeitsbedingungen und für die Zukunft der Gewerkschaften und die Entwicklung von Gegenmacht immer wichtiger werden.
These 7
Unter dem Druck von Betriebsschließungen und Massenentlassungen haben Belegschaften und Betriebsräte bereits in der Vergangenheit alle möglichen Zugeständnisse gemacht, um Entlassungen zu verhindern oder zumindest zu begrenzen. In der Krise erhöhen die Kapitalvertreter den Druck auf Belegschaften und Gewerkschaften „Betriebsgemeinschaften“ zwischen Unternehmen bzw. Management, Belegschaft, Betriebsräten und Gewerkschaft mit dem Ziel der „Rettung“ oder „Sanierung“ von Betrieben zu bilden.
Im Ergebnis führt dies jedoch nur dazu, dass die sozialen Standards, Löhne und Arbeitsbedingungen deutlich abgesenkt und die Gewerkschaften weiter geschwächt werden.
These 8
Die Gewerkschaften waren von der neoliberalen Offensive überrascht worden. Sie haben den Übergang auf Seiten des Kapitals vom Konsens zur Konfrontation nicht nachvollzogen, sondern sie verharrten in ihren sozialpartnerschaftlich orientierten Verhaltensweisen. Notwendigerweise mussten die Gewerkschaften mit dieser Orientierungslosigkeit herbe Niederlagen einstecken.
Mit einer entpolitisierten Basis und einer Führung, die den ernsten Konflikt mit den politischen und ökonomischen Eliten scheut, haben sich große und einflussreiche Gewerkschaften schnell der neoliberalen Agenda angepasst und sich auf eine Politik konzentriert, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärken soll. Wettbewerbsfähigkeit wurde als einziger Weg zur Sicherung von Arbeitsplätzen konstruiert. Die Illusion der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit wurde zugunsten der offenen Unterordnung unter die Kapitalinteressen aufgegeben. Dieser Wechsel wurde begleitet von einem wachsenden Einfluss der Betriebsratsvorsitzenden der großen Konzerne in den Gewerkschaften, der Verbetrieblichung gewerkschaftlicher Politik und Organisation und der Orientierung der Gewerkschaftsapparate auf die beitragszahlenden Mitglieder.
Diese Entwicklung führte zu weiterer Schwächung der Gewerkschaften und Entpolitisierung. In einer Situation, in der eine Dachorganisation der Gewerkschaften mit politischem Mandat nötig wäre, ist der DGB bedeutungslos geworden.
Selbst in der Krise hängen Teile der Gewerkschaften immer noch der Illusion an, Lohnverzicht gegen Arbeitsplätze tauschen zu können. Mit Lohnverzicht sollen Exportfähigkeit und Arbeitsplätze gesichert werden. Diese Politik wird zur weiteren Schwächung der Gewerkschaften führen.
Auch wenn diese Konfliktlinie nicht ignoriert werden darf, kann darüber das Wesentliche nicht aus dem Blick geraten: Die Gewerkschaften bleiben die wichtigste Organisationsform der kollektiven Interessen der Lohnarbeiter. Nicht gegen die Gewerkschaften agieren, nicht Spalterlisten bei Betriebsratswahlen, sondern in den Gewerkschaften um eine autonome Klassenorientierung und eine konsequente, an den Interessen der arbeitenden Klasse orientierte Politik ringen, das ist die Herausforderung. Dabei kann darauf gebaut werden, dass in den vergangen Jahren die Streikbereitschaft und die gewerkschaftliche Diskussion um die kapitalistische Ökonomie wieder zugenommen haben; an der Basis der Gewerkschaften wurden Lernprozesse angestoßen.
Unter den Bedingungen der Krise sind rein betrieblichen Handlungsmöglichkeiten noch engere Grenzen gesetzt, als dies unter den Bedingungen der kapitalistischen Globalisierung und der Macht der Transnationalen Konzerne ohnehin der Fall ist. Die Stärke der Gewerkschaften in den Betrieben kommt erst zur Wirkung, wenn betriebliche und tarifliche Auseinandersetzungen mit politischen Forderungen und Perspektiven verknüpft werden. Gewerkschaftliche Positionen würden eine höhere Wirkung erzielen, wenn sie mit grundlegender Kapitalismuskritik und einer gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus verbunden wären. Damit die Gewerkschaften ihrer ureigenen Aufgabe nachkommen können, müssen sie dafür kämpfen, die Macht des Kapitals einzuschränken und das Prinzip der Demokratie in Gesellschaft und Wirtschaft hineinzutragen. Insofern verkörpern die Gewerkschaften das allgemeine Interesse; allerdings nur, wenn sie gegen die Macht des Kapitals kämpfen.
Zu einer Überlebensfrage für die Gewerkschaften wird die Entwicklung innergewerkschaftlicher Demokratie, die aktive Beteiligung der Mitglieder an Entscheidungsprozessen und die Überwindung der Kluft zwischen der jungen Generation und den Gewerkschaften; ebenso der Brückenschlag zu den prekär Beschäftigten wie auch zu Intellektuellen.
Die jüngsten Erfahrungen im Kampf gegen Entlassungen und Standortschließungen zeigen, dass der Standortkonkurrenz nur begegnet werden kann, wenn sich die Gewerkschaften über die Grenzen hinweg vernetzten, um entlang den globalen Entwicklungs- und Produktionsketten Gegenmacht innerhalb der Transnationalen Konzerne aufzubauen und gemeinsames Handeln für gemeinsame Interessen zu organisieren. Ansonsten bleiben alle Aufrufe zu Solidarität nur wirkungslose Appelle.
Mit der neoliberalen Wandlung der SPD ist auch die alte Arbeitsteilung zwischen Gewerkschaften und SPD hinfällig geworden. Die Gewerkschaften müssen sich aus der engen Verbindung mit der SPD lösen und selbst ein politisches Mandat wahrnehmen, um die sozialen Interessen der Lohnabhängigen verteidigen zu können. Aber auch wenn die Gewerkschaften das politische Mandat wahrnehmen, können sie eine politische Arbeiterpartei nicht ersetzen.
In den Gewerkschaften wird gegenwärtig heftig um diese Fragen gerungen. Wenn die Schlussfolgerungen der IG Metall aus dem Ergebnis der Bundestagswahl – Entwicklung der eigenen Mobilisierungsfähigkeit und von sozialem Widerstand, Bildung von gesellschaftlichen Allianzen, Schaffung eines politischen Linksblocks - zum gemeinsamen Nenner und Handeln von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und politischen Linkskräften wird, dann würde dies zu einer Revitalisierung der Gewerkschaften führen und könnten die Kräfteverhältnisse in diesem Lande verändern.
These 9
Die sozialen Bewegungen in Deutschland sind ein wichtiger Faktor für die Neuformierung einer Arbeiterbewegung und die Herausbildung eines gesellschaftlichen und politischen Blockes der Veränderung.
- Soziale Bewegungen sind einem zyklischen Prozess der Selbstveränderung unterworfen. Dies gilt auch für die globalisierungskritische Bewegung. Da die durch den neoliberalen Kapitalismus hervorgerufenen gesellschaftlichen Zerstörungen zunehmen, bleibt der Anlass für das Entstehen der globalisierungskritischen Bewegung - bei allen Schwankungen in ihrer Dynamik und strategischen Orientierungssuche - bestehen. Mit der Krise hat die globalisierungskritische Bewegung neue Dynamik erhalten, antikapitalistische Positionen wurden stärker. Die globalisierungskritische Bewegung ist ein wichtiger Akteur im Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten.
- Das Scheitern des Weltklimagipfels in Kopenhagen hat zum einen die Unfähigkeit der Repräsentanten des kapitalistischen Systems gezeigt, auf die existenzielle Herausforderung in der erforderlichen Weise zu antworten, zum anderen wurde Kopenhagen zur Geburtsstätte einer globalen Bewegung gegen den Klimawandel. „Verändern wird das System, nicht das Klima“ - diese Losung vereint UmweltaktivistInnen, GlobalisierungskritikerInnen, GewerkschafterInnen, VertreterInnen indigener Völker, Kleinbauernorganisationen, ChristInnen, KommunistInnen und RegierungsvertreterInnen aus Entwicklungs- und Schwellenländer.
- Über die wechselnden Konjunkturen hinweg führt die Friedensbewegung seit Jahrzehnten Menschen unterschiedlicher Weltanschauung und sozialer Herkunft im Kampf um den Frieden zusammen. Die vielfältigen Proteste richten sich vor allem gegen die Konzeption einer „globalen Nato“ und gegen den intensivierten und ausweitenden Krieg in Afghanistan. Obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Krieg in Afghanistan ist, ist es der Friedensbewegung bisher nicht gelungen, diese Meinungsmehrheit in aktives Handeln der Mehrheit für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan umzusetzen. Dies bleibt die zentrale Herausforderung für die nächste Zeit. Die Erfahrungen aus den Protesten gegen den Nato-Gipfel in Strasbourg haben in der Friedensbewegung eine kontroverse Debatte über ihre Aktionsformen ausgelöst. Die Aktionen der Friedensbewegung sollten vielfältige Formen - von Mahnwachen über Aktionen des zivilen Ungehorsams bis zu Großdemonstrationen - einschließen. Aber unabhängig von der konkreten Aktionsform, müssen alle Aktionen so angelegt sein, dass sie motivieren selbst mitzumachen, Hunderttausende zur Teilnahme anregen und im Namen von Millionen handeln.
- Nazi-Aufmärsche - sanktioniert von den Gerichten und geschützt durch die Polizei - stoßen in allen Städten auf breite antifaschistische Proteste mit vielfältigen Aktionsformen.
- Online-Überwachung und Vorratsdatenspeicherung haben innerhalb kurzer Zeit eine starke und vielfältige Bewegung zur Verteidigung der Demokratie gegen den Ausbau des Sicherheitsstaates hervorgerufen.
- Die Absicht der Bundesregierung, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern, hat die Anti-Atomkraftbewegung wieder aufleben lassen. Mit der Forderung nach Vergesellschaftung der Energiekonzerne wird auch in diesem Spektrum eine antikapitalistische Position deutlich sichtbar.
These 10
Gegenwärtig ist offen, ob es dem herrschenden Block auf längere Zeit gelingt, Zustimmung zu seinen Formen der Krisenbearbeitung zu erhalten. Wenn jedoch keine sanfte Abfederung der Krisenfolgen für die Arbeiter mehr möglich ist, dann kann sich die angestaute Wut und der angesammelte Frust, die sich bereits jetzt über die Nutznießer und Manager der Krise aufgestaut haben, schnell in die Bereitschaft zu massivem sozialem und politischen Protest umsetzen.
Auf diese möglichen Veränderungen des Protestverhaltens und der Kampfbereitschaft müssen sich die Gewerkschaften und die politische Linke - und damit auch die DKP - einstellen.
Damit Proteste nicht in Verzweiflungsaktionen versanden oder nach rechts gewendet werden können, müssen vor allem die Gewerkschaften die Auseinandersetzungen politisieren und den Protest organisieren. Jetzt gilt es, in den Betrieben, auf Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen politische Themen, Krisenursachen und Wege aus der Krise zu diskutieren. Dies ist auch der beste Weg für die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, das einen politischen Streik möglich macht.
Der politische Streik ist ein legitimes Mittel, um die Angriffe auf die sozialen und Arbeitsrechte zu stoppen und den Weg für eine demokratische und soziale Lösung der Krise zu eröffnen. Politische Streiks müssen in einem breiten Prozess der Debatte und Mobilisierung vorbereitet werden und breite gesellschaftlicher Schichten einbeziehen, die Interessen und Vorstellungen breitester Teile der Bevölkerung aufgreifen und einen demokratischen Ausweg aufzeigen. Politische Streiks sind ein äußerstes Mittel, zu dem die Arbeiterklasse greift, mit dem sie aber auch eine hegemoniale gesellschaftliche Rolle erringen kann.