02.07.2021: "Ich stelle fest, dass das Volksbegehren der Trägerin 'Deutsche Wohnen & Co enteignen' zustande gekommen ist. Die für das Volksbegehren geltenden Vorschriften wurden beachtet", erklärte die Landesabstimmungsleiterin von Berlin, Petra Michaelis am gestrigen Donnerstag (1.7.). Damit kommt es am 26. September 2021 in Berlin zum Volksentscheid über die Enteignung von Wohnungskonzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen.
Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" reichte am 25. Juni insgesamt 359.063 Unterschriften ein. Dies ist die höchste jemals bei einem Berliner Volksbegehren gesammelte Zahl an Unterschriften. Die Berliner Bezirksämter prüften 272.941 Unterschriften; 183.711 davon sind gültig – das sind mehr als die erforderliche Anzahl. Nach der Regelung im Abstimmungsgesetz mussten die Bezirksämter nur so viele Unterschriften prüfen, bis das Quorum erreicht ist. Weitere vorliegende Unterstützungserklärungen wurden lediglich gezählt..
Die Landesabstimmungsleiterin, Petra Michaelis, erklärte: "Ich stelle fest, dass das Volksbegehren der Trägerin 'Deutsche Wohnen & Co enteignen' zustande gekommen ist. Die für das Volksbegehren geltenden Vorschriften wurden beachtet."
Demokratiedefizit: Zehntausende Stimmen ungültig
Die Initiative problematisiert, dass Zehntausende der Unterschriften von der Landeswahlleitung für ungültig erklärt werden, weil sie von Berliner*innen ohne deutschen Pass stammen. "Berliner*innen ohne deutschen Pass sind ein wichtiger Teil unseres Gemeinwesens und haben ihr Leben in dieser Stadt aufgebaut. Es ist ein Skandal, dass diese Berliner*innen nicht mitentscheiden dürfen", kritisiert Jane Plett, aktiv in der Right to the City-Arbeitsgruppe der Initiative.
Berliner*innen wollen radikale Veränderung auf dem Wohnungsmarkt
"Die Rekordzahl an gesammelten Unterschriften macht eines deutlich: Die Berliner*innen wollen eine radikale Veränderung auf dem Wohnungsmarkt. Das Sammeln der Unterschriften war für uns nur der Auftakt. Dank der massiven Unterstützung kommen Politike*:innen, egal welcher Partei, nicht mehr an uns vorbei. Jetzt holen wir uns die Stadt zurück!", sagt Moheb Shafaqyar, Sprecher der Initiative.
Leonie Heine, aktiv in der Sammel-Arbeitsgruppe der Initiative, sagte bei der Übergabe der Unterschriften an die Landeswahlleitung Berlin: "Bei den zahlreichen Sammelgesprächen merkte ich: Der Volksentscheid trifft den Nerv der Stadt. Fast alle Gespräche waren sehr positiv und es wurde unterschrieben. Ich bin sehr glücklich, dass wir trotz der schwierigen Bedingungen mit Corona erfolgreich waren."
Die Initiative bereitet sich nun auf die kommende Abstimmung vor: "Aufgrund der desaströsen Lage auf dem Wohnungsmarkt wird Wohnen eines der bestimmenden Themen des Wahlkampfs sein. Wir werden die Berliner*innen informieren, dass sie mit einem "Ja" für langfristig bezahlbaren Wohnraum in der Stadt stimmen können", so Shafaqyar. "Mit Haustürgesprächen und auf der Straße informieren wir ganz Berlin, wie wir durch Vergesellschaftung von profitorientierten Unternehmen langfristig guten und bezahlbaren Wohnraum für zahlreiche Berliner*innen sichern, als eine Säule neben den Genossenschaften", äußerte Leonie Heine.
Enteignung per Gesetz
Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. Enteignen" fordert in ihrem Volksentscheid den Senat auf, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz erforderlich sind. Obwohl nach einem erfolgreichen Volksentscheid also letztendlich der Senat aufgefordert ist, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, hat die Initiative bereits jetzt einen eigenen Gesetzesvorschlag in Debatte eingebracht. Es gehe darum, die "öffentliche und juristische Fachdebatte" anzustoßen, sagte eine Sprecherin der Initiative. Zudem biete der Entwurf die Möglichkeit, nach einem erfolgreichen Entscheid "direkt mit der Umsetzung starten" zu können.
Die Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" setzt sich für die Enteignung von Wohnungskonzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin ein. Dabei sollen – gemäß der Vorlage der Initiative – mehr als 240.000 Wohnungen in den Besitz einer Anstalt des öffentlichen Rechts namens "Gemeingut Wohnen" überführt und demokratisch, transparent und gemeinwohlorientiert verwaltet werden. In Umkehrung der neoliberalen Logik der Freihandelsverträge wie CETA oder TTIP, nach denen eine einmal vorgenommene Privatisierung nicht mehr umgekehrt werden darf, legt der Gesetzesvorschlag fest, dass die vergesellschafteten Wohnungen nie wieder privatisiert werden dürfen.
Vergesellschaftet werden sollen nicht die Unternehmen selbst, sondern die ihnen gehörenden zu Wohnzwecken dienenden Grundstücke. Ziel der Vergesellschaftung sind privatrechtliche Unternehmen, die zum Stichtag 26. September, dem Tag der möglichen Volksabstimmung, 3.000 und mehr Wohnungen in der Stadt besitzen. Bei der Erfassung der Bestände sollen die Konzerne unter Androhung von hohen Strafen bei Zuwiderhandlung mitwirken. Explizit ausgenommen sind Genossenschaften und landeseigene Wohnungsunternehmen.
Mit der Stichtagsregelung soll verhindert werden, "dass sich Unternehmen durch Umstrukturieren und andere Tricks der Vergesellschaftung entziehen", erklärte Sebastian Schneider, der für die Initiative maßgeblich den Gesetzentwurf erarbeitet hat. Auch gegen die Aufsplitterung eines Konzerns in kleine Untereinheiten wappnet sich das Gesetz, in dem es all jene Unternehmen zu einem Konzern rechnet, auf die dieser einen "bedeutenden Einfluss" ausübt, also mindestens 20 Prozent der Anteile oder Stimmrechte hält. Konzerne sollen sich somit nicht hinter "verschachtelten Unternehmenskonstruktionen" verstecken können.
Kein Pardon bei der Entschädigung
Auch bei der Frage der Entschädigung geben die Macher*innen des Berliner Volksbegehrens kein Pardon. Sie legen eine neue Idee zur Frage der Entschädigung auf den Tisch. Anders als bislang angedacht, sollen die Konzerne nicht auf einen Schlag und durch Geldzahlungen entschädigt werden, sondern durch übertragbare Schuldverschreibungen, die sie Entschädigungsbonds nennt. Die zu Beginn festgeschriebene Gesamtentschädigungssumme soll gestreckt über 40 Jahre getilgt werden. Unternehmen können die Bonds jedoch handeln und weiterverkaufen, um sich frühzeitig die gesamte Summe zu sichern.
In diesem Modell würde die Anstalt öffentlichen Rechts die Entschädigungen aus den jährlichen Mieteinnahmen begleichen ohne Kredite aufzunehmen. Auswirkungen auf den Landeshaushalt und damit auch auf die Kapazitäten für Wohnungsneubau ergäben sich nicht. Die Kampagne reagiert damit auf die weit verbreitetsten Gegenargumente: Die Vergesellschaftung sei zu teuer und würde nicht zu mehr Wohnungsneubau führen. Letzteres ist dabei jedoch auch gar nicht Ziel des Unterfangens.
Die Initiatoren rechnen mit einer Entschädigungshöhe von etwa zehn Milliarden Euro. Der Senat war in seiner Kostenschätzung dagegen von 28 Milliarden ausgegangen. Kritiker*innen nennen auch immer wieder die Summe von 36 Milliarden Euro, die dem Marktwert der Wohnungen entspricht. Laut dem Grundgesetz jedoch ergibt sich keine Notwendigkeit in dieser Höhe zu entschädigen, stattdessen solle diese nach der vom Grundgesetz vorgegebenen "gerechten Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten" erfolgen.
Selbst wenn die Entschädigungssumme in politischen Prozessen noch steigen sollte, kann man der Enteignungsinitiative nicht vorwerfen, den klassischen Fehler der SPD gemacht zu haben, bereits mit einem Kompromiss in die Verhandlungen gegangen zu sein. Der radikale Wohnungsmarkt braucht radikale Maßnahmen.
Am 26. September haben die Berlinerinnen und Berliner die Möglichkeit darüber abzustimmen, wem die Stadt gehören soll: Investoren oder den Menschen, die hier wohnen - soll die Stadt eine Anlagesphäre für das internationale Kapital sein oder schlicht ein Wohnort, in dem man gut und günstig leben kann?
verwendete Quellen: u.a. https://www.dwenteignen.de/
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