03.02.2021: Gestern (2.2.) traf Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) ihren türkischen Amtskollegen in Berlin. Zeitgleich bombardierte die türkische Luftwaffe zivile Wohngebiete in den kurdischen Autonomiegebieten im Irak (Südkurdistan) ++ Das Treffen ist Teil der diplomatischen Vorbereitung eines neuen Angriffskrieges, erklären kurdische Verteter*innen.
Hintergrund des Treffens sollen die Vermittlungsbemühungen Deutschlands im Gasstreit zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer sein. Die Bundesverteidigungsministerin führte bereits vergangene Woche Gespräche mit ihren zyprischen und griechischen Kolleg*innen.
Kundgebung in Berlin gegen den Besuch des türkischen Verteidigungsministers | |
Ministerin Kramp-Karrenbauer hat das Treffen mit ihrem Amtskollegen Akar als "besonderes und gutes Signal unter Verbündeten" bezeichnet. ″Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger NATO-Partner″, hob die Ministerin hervor. Dialog und der Ausgleich zwischen den beiden NATO-Verbündeten Deutschland und Türkei seien essenziell für das Bündnis. ″Beide haben ein gemeinsames Interesse an einer stabilen Südost-Flanke der NATO. Ankara ist ein verlässlicher und enger Partner, der substantielle Beiträge zur europäischen Sicherheit leistet″, heißt es in der Presserklärung des Bundesverteidigungsministeriums.
Kramp-Karrenbauer erklärte: ″Natürlich habe ich heute im persönlichen Gespräch auch schwierige Themen angesprochen.″ Welche Themen Kramp-Karrenbauer schwierig findet, geht aus der offiziellen Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums nicht hervor. Benannt wird der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland im östlichen Mittelmeer. Ergänzend heißt es: ″Darüber hinaus erörterten die Gesprächspartner sicherheitspolitische Aspekte u.a. zu den Regionen Schwarzes Meer, Libyen und Irak.″
Dass Hulusi Akar gerade einmal zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus Südkurdistan mit Kramp-Karrenbauer lediglich über den Gasstreit mit Griechenland sprechen wollte, schien von Beginn an wenig glaubwürdig - insbesondere mit Blick auf die Drohungen von Erdoğan, eine weitere Invasion in Nordostsyrien und Südkurdistan beginnen zu wollen. Akar war vor seinem Deutschlandbesuch zuerst nach Bagdad und anschließend nach Hewlêr (Erbil), der Hauptstadt der kurdischen Autonomieverwaltung im Nordirak, gereist. Das Hauptthema der Gespräche war das ″gemeinsame Vorgehen im Kampf gegen den Terror″ – gemeint sind damit die kurdische Arbeiterpartei PKK und die Selbstverwaltungsstrukturen in der ezidischen Şengal-Region.
″Das Gespräch zwischen den beiden Verteidigungsministerien reiht sich ein in eine widerwärtige Appeasement-Politik der europäischen Staaten gegenüber der Türkei und ist Teil einer Reihe von diplomatischen Gesprächen türkischer Regierungsvertreter zur Vorbereitung des Angriffskrieges.″
Kurdische Frauenbüro für Frieden – Cenî
Die Türkei plant, ihre besetzten Gebiete in Nord- und Ostsyrien auszuweiten und einen Streifen bis zur ezidischen Region Şengal im Nordirak zu besetzen, äußert Dr. Abdulkarim Omar, der Ko-Vorsitzende des Büros für Außenbeziehungen der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Zur Vorbereitung der Invasion betreibt die türkische Regierung momentan eine diplomatische Offensive sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene. In den vergangenen Wochen versuchte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die zahlreichen Konflikte mit der EU beizulegen. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte ein freundschaftliches Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen. Die Türkei versuche derzeit mithilfe schöner Worte und praktischer Zugeständnisse in Libyen und dem östlichen Mittelmeer die Unterstützung der EU und der USA für etwas sehr Konkretes zu gewinnen: eine großangelegte Militäroperation in Südkurdistan. In diesem Kontext ist auch der Deutschlandbesuch des türkischen Verteidigungsministers Hulusi Akar zu betrachten, erklärt Dr. Abdulkarim Omar.
Sowohl die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien / Rojava als auch die Jesiden im angrenzenden Irak rechnen mit baldigen neuen Angriffen der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Hilfstruppen – und damit, dass Ankaras Offensive weiteren IS-Schergen zur Flucht und den besiegt geglaubten IS-Dschihadisten zum Aufstand verhelfen könnte.
Wladimir Woronkow, Chef des UN-Anti-Terror-Gremiums, bezeichnete die Lage in Nordsyriens IS-Camps als eines der ″dringendsten Probleme der heutigen Welt″. In der Zelt- und Containerstadt Al-Hol leben circa 60.000 Männer, Frauen und Kinder aus der ganzen Region - und zugereiste IS-Anhänger, darunter Deutsche. Sie waren nach dem Zerfall des IS als Territorialmacht von den kurdisch geführten Syrisch Demokratischen Kräften SDFgefangen genommen worden. Doch die Selbstverwaltung, der auch muslimische und christliche Araber*innen angehören, ist angesichts der Massen überfordert.
″Sollte das türkische Regime erneut losschlagen, werden wir alle Kräfte zur Verteidigung brauchen″, sagte Khaled Davrisch, der offizielle Vertreter der Selbstverwaltung von Nord-und Ostsyrien in Berlin .
In Sorge vor einem türkischen Angriff sind auch die Jesid*innen in Shengal (auch Sindschar oder Shingal). Nach UN-Angaben ermordete der IS im Jahr 2004 in Nordirak 5.000 Jesid*innen, versklavte 7.000 Frauen sowie Kinder und vertrieb 400.000 Jesid*innen. YPG- und PKK-Kämpfer*innen hatten damals Tausende Jesid*innen vor dem IS gerettet. Jetzt werden sie wieder von ehemaligen IS-Terroristen, die als dschihadistische Hilfstruppen Ankaras agieren, bedroht. Als Begründung muss herhalten, dass Erdoğan die jesidischen Widerstandseinheiten Schingal (YBS) der PKK zurechnet.
″Wenn diese Bundesregierung, insbesondere in Person von Annegret Kramp-Karrenbauer, Heiko Maas und Angela Merkel, es wirklich zulässt, dass die Türkei einen weiteren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg losbricht, macht sie sich mit ihren schmutzigen, menschenverachtenden und hinterlistigen Deals zu Mittätern!″, erklärt das Kurdische Frauenbüro für Frieden – Cenî.
Bundesaußenminister Heiko Maas zu Besuch in Ankara: Zweierlei Maß |