12.10.2017: Während Frankreichs Staatspräsident Macron am Dienstag (10.10.) zusammen mit Kanzlerin Merkel bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse bemüht war, sein Image als staatsmännischer Europäer und Kenner der deutschen und europäischen Literatur aufzupolieren, wehen ihm zur Zeit im eigenen Land deutlich heftigere Herbstwinde ins Gesicht. Nach zwei Aktionstagen der Gewerkschaften im September erlebte das Land am vergangenen Montag (9.10.) mit dem landesweiten Streik im öffentlichen Dienst einen neuen Höhepunkt des sozialen Widerstands.
Rund 400.000 Beschäftigte in öffentlichen Diensten, Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen, Beschäftigte in „maternelles“ (Vorschuleinrichtungen, Kindergärten), Krankenhausbedienstete, Staatsangestellte in Verwaltungsdienststellen und Bedienstete von kommunalen Einrichtungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schul- und anderen Kantinen sowie zahlrieche „précaires“ (Aushilfsbeschäftigte mit Teilzeitverträgen) legten die Arbeit nieder und demonstrierten in mehr als 140 Städten ihren Unmut über Macrons Politik. Selbst das französische Innenministerium kam mit seinen Polizeischätzungen diesmal immerhin auf 209.000 Beteiligte. Nach Angaben der CGT wurde eine Streikbeteiligung von global etwa 30 Prozent festgestellt, mit Höhepunkten bis zu 50 %, zum Beispiel bei den Grundschullehrern und an einigen anderen Stellen. Viele Schulen und Verwaltungsdienststellen blieben geschlossen, in Krankenhäusern und Gesundheitszentren gab es vielfach nur Notdienste zur Versorgung von Bedürftigen oder Hilfesuchenden. Die Fluggesellschaften sahen sich infolge des Streiks der Angestellten der Zivilluftfahrt zur vorsorglichen Annullierung von etwa 30 Prozent ihrer Flüge gezwungen.
Anders als bei den September-Aktionen war diesmal eine Einheitsfront aller im öffentlichen Dienst relevanten Gewerkschaftsbünde zustande gekommen. Neben den linken Gewerkschaften CGT, „Solidaires“ und FSU riefen also auch die „Force Ouvrière (FO), die Angestelltengewerkschaft CFE-CGC und die „reformistischen“ Gewerkschaften CFDT und UNSA sowie der christliche Gewerkschaftsbund CFTC zur Beteiligung auf, was sich in den deutlich erhöhten Teilnehmerzahlen niederschlägt. Die von Macron betriebene „Reform des Arbeitsrechts“, die im September das Thema war, stand diesmal weniger im Vordergrund, nicht zuletzt, weil damit in erster Linie arbeitsrechtliche Verschlechterungen in der Privatwirtschaft eingeführt wurden, während der öffentliche Dienst davon weniger stark betroffen ist.
Stattdessen ging es diesmal vor allem um die Überwindung des seit mehreren Jahren aufrechterhaltenen Lohn- und Gehaltsstopps für die Beschäftigten der öffentlichen Dienste, also die Erhöhung ihrer Gehälter, um die Übernahme der Aushilfsbeschäftigten in Teilzeit in dauerhafte Arbeitsplätze, um die Rücknahme des erst kürzlich wieder eingeführten „Karenztages“ bei der Krankenversicherung, um die von der Macron-Regierung angekündigte Streichung von staatlichen Stellen in Höhe von 120.000 Arbeitsplätzen in den nächsten fünf Jahren, um die Erhöhung der öffentlichen Mittel für Bildungs-, Gesundheits- und andere staatliche und kommunale Einrichtungen, um die Verhinderung der angekündigten Erhöhung des „allgemeinen Sozialbeitrags“ (CSG) für öffentlich Beschäftigte um 1,7 % und generell die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, auch durch die Einstellung von mehr Personal.
Viele von Journalisten Befragte in den Demo-Zügen äußerten aber darüber hinaus auch ein generelles Gefühl des „Die-Schnauze-voll-Habens“. Sie haben genug davon, dass die Staatsbediensteten und in öffentlichen Ämtern und Einrichtungen tätigen Menschen in Politiker-Reden und Medien immer wieder als „Privilegierte“ und „Faulenzer“. als Menschen dargestellt werden, die in ihren Dienststellen „unterbeschäftigt“ die Arbeitszeit totschlagen und ohne größere Folgen eingespart werden können. Die Forderung nach mehr Respekt für den öffentlichen Dienst war in den Demo-Zügen weit verbreitet. „Der öffentliche Dienst – ein Reichtum für alle, nicht ein Kostenfaktor“ hieß es auf einem Spruchband. „Krankenhäuser im Notstand“ signalisierten andere. „Macron, schau in deine Rolex – das ist die Stunde der Revolte“, forderte ein originelles Transparent. „Es gibt schon jetzt nicht genug Personal, und da will man noch mehr abbauen“, äußerte Philippe Martinez, der Chef der CGT. [1]
Noch bevor der erste Demonstrant siene Schuhspitze auf die Straße gesetzt hatte, hatte Macrons Regierungschef in einer Morgensendung von „Europe 1“ am 10. Oktober versucht, dem Groll der öffentlich Beschäftigten entgegenzuwirken und die Beteiligung an den Gewerkschaftsaktionen durch besänftigende Erklärungen zu verringern. Er missachte sie keineswegs, sondern wisse um die „notwendige Rolle, die sie spielen“, verlautete er. Er versprach ihnen eine „komplette Neutralisierung“ der beschlossenen Erhöhung des Sozialbeitrags und „eine Erhöhung ihrer jährlichen Kaufkraft um insgesamt ungefähr 2 Prozent“. Doch die Betroffenen ließen sich von dem konzilianten Ton offensichtlich nicht täuschen, denn de facto bedeutete „Neutralisierung“ bestenfalls, dass zwar die Beitragserhöhung ausgeglichen, aber gleichzeitig der seit Jahren anhaltende Gehaltsstopp beibehalten wird. Und die angekündigte Erhöhung der „jährlichen Kaufkraft um insgesamt 2 %“ begriffen die meisten bloß als eine inhaltsleere Formel ohne fassbaren konkreten Inhalt.
Bei einem „organisationsübergreifenden Treffen“ („Intersnydicale“) am Vorabend des Aktionstags am 10. Oktober haben sich alle beteiligten Gewerkschaften und Verbände (CGT, CFDT, FO, CFTC, FSU, UNSA, Solidaires, die Studentengewerkschaft UNEF und die Schülerverbände UNL und FIDL) darauf verständigt, am 24. Oktober erneut zusammenzukommen, „um über die Gesamtheit der Reformen der Regierung Bilanz zu ziehen“, nämlich über die Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts durch das „loi travail“, die Senkung der Wohnungsbeihilfe (APL), die Erhöhung des Sozialbeitrags (CSG) und die kommenden Reformen im Bereich der Lehrlingsausbildung und Berufsausbildung und bei der Rente. Dabei könnte ein weiterer gemeinsamer Aktionstag aller Beteiligten im November vereinbart werden. Mit Blick darauf ruft die CGT ihrerseits aber bereits zu einer weiteren landesweiten Mobilisierung am 19. Oktober auf. Schließlich habe der von den Lkw-Fahrern mit ihren Aktionen Ende September errungene Erfolg gezeigt, dass diese Verschlechterungen zum Scheitern gebracht werden können.
Die Lkw-Fahrer hatten mit landesweiten Aktionen am 25. September in Form von Blockaden an Autobahnzahlstellen und auf einigen großen Straßen sowie „Aktionen Schneckentempo“ erreicht, dass ihnen von Unternehmern und Regierung eine Ausnahmegenehmigung vom neuen Arbeitsrecht zugestanden wurde. Darin wurde festgelegt, dass die Präsidentenerlasse für ihre Prämienregelungen (Verpflegungs- und Übernachtungsgeld, Prämie für lange Betriebszughörigkeit u.a.) nicht gelten und nicht durch „Betriebsvereinbarungen“ vom Branchentarifvertrag abgewichen werden kann, wie dies in anderen Wirtschaftszweigen durch die Macron-Erlasse ermöglicht wird.
txt: Georg Polikeit
foto: https://www.facebook.com/ConfederationGeneraleTravail
[1] Die CGT stellt in 13 Interviews Motive für die Teilnahme an der Demonstration vor:
https://www.facebook.com/pg/ConfederationGeneraleTravail/videos/?ref=page_internal
Épisode 1 - Épisode 13
siehe auch