14.07.2023: Am 17. und 18. Juli wird in Brüssel der Gipfel der CELAC-Länder und der EU stattfinden ++ Lateinamerikaner lehnen Teilnahme des ukrainischen Präsidenten Selenskyj ab ++ CELAC präsentiert eigenen Vorschlag für Abschlusserklärung und blockieren nicht nur ein klares Bekenntnis zur Ukraine, sondern fordern von Europa auch Reparationen für den Kolonialismus ++ EU-Diplomat: Gegenvorschlag zeigt, "dass wir nicht auf der gleichen Wellenlänge sind"
Am 17. und 18. Juli wird in Brüssel der dritte Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) und der Europäischen Union (EU) stattfinden, nachdem er acht Jahre lang nicht tagte.
Bereits im Vorfeld werden die Differenzen zwischen den beiden Staatenblöcken offensichtlich. So wirft der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez der EU vor, bei der Vorbereitung des Gipfeltreffens "intransparent und manipulativ" vorzugehen. Der kubanische Chefdiplomat warnte in einem Videobeitrag, dass die EU versuche, "restriktive, spaltende Formate durchzusetzen, die direkte und transparente Diskussionen unmöglich machen".
Dabei entscheide die europäische Seite einseitig, "wer unsere Region bei diesen Veranstaltungen vertritt", so Rodríguez. Die Kritik richtet sich gegen eine Veranstaltung im Vorfeld des Gipfels, die seit gestern stattfindet und zu der die EU ausgewählte Vertreter:innen der "Jugend, der Zivilgesellschaft und lokale Autoritäten" aus Lateinamerika und Europa eingeladen hat.
Die Regierung Venezuelas hat sich den Vorwürfen des kubanischen Außenministers angeschlossen. "Die bolivarische Regierung lehnt den Versuch der Europäischen Union ab, die Rolle der souveränen Staaten unserer Region herunterzuspielen".
Am deutlichsten werden die unterschiedlichen Position in einem 21-seitigen Gegenvorschlag der 33 lateinamerikanischen und karibischen Länder zu dem vom außenpolitischen Dienst der EU vorbereiteten Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels. Die lateinamerikanischen Staaten blockieren nicht nur ein klares Bekenntnis zur Ukraine, sondern fordern von Europa auch Reparationen für den Kolonialismus.
Reparationen für den Kolonialismus
In einem unerwarteten Schritt haben die CELAC-Mitglieder die EU aufgefordert, Reparationszahlungen für die durch die Sklaverei verursachten Schäden zu leisten, was zu einem potenziellen Streitthema werden dürfte.
"Wir erkennen an, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Würde der Opfer [des transatlantischen Sklavenhandels mit den Menschen aus Afrika] wiederherzustellen. Dazu gehören auch Reparationen und Entschädigungen, die dazu beitragen, unser kollektives Gedächtnis zu heilen und die Hinterlassenschaften der Unterentwicklung zu beseitigen", zitiert das Nachrichtenportal EURACTIV aus dem vorgeschlagenen Entwurf für eine Erklärung.
Der Entwurf berücksichtigt in diesem Zusammenhang insbesondere "Aspekte des Gesundheitswesens, der Bildung, der kulturellen Entwicklung und der Ernährungssicherheit."
"Wir erkennen an und bedauern zutiefst das unermessliche Leid, das Millionen von Männern, Frauen und Kindern durch den transatlantischen Sklavenhandel mit Menschen aus Afrika zugefügt wurde", heißt es in dem Text.
Gemeinsame Projekte sollen den Bedürfnissen der Entwicklungsländer entsprechen.
Als Reaktion auf das Global Gateway der EU, die weltweite Strategie der Union zur Investition in Infrastrukturprojekte und zum Aufbau von Wirtschaftspartnerschaften, erklären die Mittel- und Lateinamerikaner, dass sie den Vorschlag "zur Kenntnis nehmen", anstatt ihn, wie in der diplomatischen Sprache üblich, zu "begrüßen." Das Programm mit dem Namen "Global Gateway" gilt als Antwort der EU auf Chinas "Belt and Road"-Initiative und wird sich auf die Bereiche Digitalisierung, Gesundheit, Klima, Energie und Verkehr sowie Bildung und Forschung konzentrieren.
Der Plan der Europäische Kommission sieht vor, bis 2027 300 Milliarden Euro in Infrastruktur-, Digital- und Klimaprojekte auf der ganzen Welt zu investieren, um die europäischen Lieferketten zu stärken, den EU-Handel anzukurbeln und den Klimawandel zu bekämpfen. Bei ihrer Lateinamerikareise mit Juni diesen Jahres bot EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro für die gesamte Region an, insbesondere Energieabkommen im Zusammenhang mit grünem Wasserstoff und Lithium: zwei Milliarden Euro für Brasilien, 225 Millionen Euro für Chile und eine mit Argentinien unterzeichnete Absichtserklärung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock versuchten bei ihren Lateinamerikatrips ebenfalls, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und den lateinamerikanischen Ländern zu stärken und neue Partner in Energiefragen zu finden, insbesondere im Hinblick auf grünen Wasserstoff und Lithium. Zudem sollten die Regierungen des südamerikanischen Kontinents als Partner und Waffenlieferanten für den Krieg um die Ukraine gewonnen werden.
Bei dem Gipfeltreffen geht es der EU darum, die festgefahrenen Beziehungen mit dem südamerikanischen Kontinent wiederherzustellen, die lange stockenden Handelsabkommen mit dem Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) und mit Mexiko wieder in Gang zu bringen sowie ihre eigenen Interessen an der Region – sozioökonomische Entwicklung, Fachkräfte, Energie, Umweltschutz – zur Geltung zu bringen.
Die lateinamerikanischen Partner betonen, dass die Entwicklungsprojekte, die im Rahmen der Global-Gateway-Agenda in Angriff genommen werden, in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren ausgearbeitet werden. Die Projekte sollen den dringenden Bedürfnissen der Entwicklungsländer entsprechen.
Gestrichen wurden auch die Belehrungen der EU zur Korruptionsbekämpfung. Ist doch die EU mit ihren eigenen Korruptionsskandalen (Pfizer-Deal mit EU-Kommission, Marokkogate, Aserbaidschanconnection, ...) denn auch ein unglaubwürdiger Ratgeber für die Korruptionsbekämpfung.
Streitpunkt Ukraine-Unterstützung
Der ursprüngliche EU-Vorschlag für die Gipfelerklärung enthielt mehrere Absätze zur Unterstützung der Ukraine. Mit dem ursprünglichen Text, den die EU vor einem Monat an die CELAC-Vertreter schickte, erwartete Brüssel insbesondere, bei dem Gipfeltreffen die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und der Karibik voranzubringen, um eine, wie sie es nannten, "entschlossene Verurteilung" Russlands zu erreichen.
Der Text bezüglich der Ukraine war sehr ausgewogen", sagte ein EU-Diplomat gegenüber dem Nachrichtenportal EURACTIV. Dabei sei auf die Resolutionen der UN-Generalversammlung verwiesen worden. "Es gibt keine Besonderheiten im Text, den wir ihnen geschickt haben," fügte ein zweiter EU-Diplomat hinzu. Allerdings hätten die lateinamerikanischen Länder "alles über die Ukraine gestrichen", beschwerte sich ein dritter EU-Diplomat, nachdem er den Gegenvorschlag gesehen hatte.
Seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine betonen die EU und die Regierungen der Mitgliedsländer immer wieder, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse, und dass der Frieden nach dem Krieg gemäß den Bedingungen Kiews aufgebaut werden sollte. Im Vorschlag der CELAC findet diese Vorstellung keine Erwähnung.
Demgegenüber heißt es im CELAC-Vorschlag, die EU und die CELAC-Mitglieder würden sich gemeinsam für eine "ernsthafte und konstruktive diplomatische Lösung des gegenwärtigen Konflikts in Europa mit friedlichen Mitteln einsetzen, die die Souveränität und Sicherheit von uns allen sowie den regionalen und internationalen Frieden, die Stabilität und die Sicherheit gewährleistet".
Offen ist, inwieweit die EU-Mitglieder bereit sind, Kompromisse bei den Formulierungen einzugehen, um den Entwurf eines Kommuniqués zu retten. "Aber wir müssen auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Gipfel ohne eine gemeinsame Erklärung endet", äußerte ein EU-Diplomat gegenüber EURACTIV.
Ein weiteres Problem im Vorfeld des gemeinsamen Gipfels war das Hin und Her um die Teilnahme des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser hatte ursprünglich eine Einladung von Spanien erhalten. Die Einladung an Selenskyi wurde aber nach dem Widerstand der lateinamerikanischen Staats- und Regierungschefs fallen gelassen.
Lateinamerikanische Länder für Friedenslösung
Die meisten lateinamerikanischen Länder haben wiederholt erklärt, dass sie nicht in den Krieg hineingezogen werden wollen, den sie nach wie vor in erster Linie als "europäisches Problem" betrachten.
Während der brasilianische Präsident Lula da Silva hartnäckig an einem Friedensplan für die Ukraine arbeitet und Partner für diese Initiative sammelt, trafen sich im vergangenen Monat hochrangige brasilianische Beamte mit Kollegen aus der Ukraine, der G7, Indien, Saudi-Arabien, Südafrika und der Türkei. Sie diskutierten über die Zusammenführung verschiedener Perspektiven.
Der Gegenvorschlag, den die CELAC-Länder nach Brüssel schickten, zeige, "dass wir nicht auf der gleichen Wellenlänge sind oder dass die EU sich mehr anstrengen muss, um ihre Botschaften zu vermitteln und nicht nur dann, wenn es ihr passt", sagte ein EU-Diplomat.
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