Im Interview

EP Manon Aubry11.06.2021: Europäische Parlament befürwortet zum zweiten Mal vorübergehende Aussetzung des Patentschutzes für COVID-Impstoffe ++ Manon Aubry, Abgeordnete von La France Insoumise und Ko-Vorsitzende der Fraktion The Left (GUE/NGL): "Das setzt die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten zusätzlich unter Druck."

 

Am Mittwoch (9.6.) hat das Europäische Parlament mit 355 zu 263 Stimmen bei 71 Enthaltungen eine Entschließung angenommen, mit der das Parlament fordert, Verhandlungen über eine vorübergehende Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens der WTO zu Patenten aufzunehmen, um den weltweiten Zugang zu erschwinglichen medizinischen Erzeugnissen im Zusammenhang mit COVID-19 zu verbessern und globale Produktionseinschränkungen und Versorgungsengpässe anzugehen.

"VICTORY! Das Parlament der Europäischen Union bekräftigt mit knapper Mehrheit (eine Stimme!) seine Unterstützung für die Aufhebung von Patenten.Der Druck der Pharmalobbys & der Kommission ist gebrochen. Es ist nun an der Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen und den Vorschlag Indiens und Südafrikas bei der WTO zu unterstützen!"
Manon Aubry, 9. Juni, Twitter

Bereits 20. Mai 2021 hat sich das Europaparlament in einer Debatte über AIDS auf Antrag der Linksfraktion für eine vorübergehende Aussetzung der Patente für Corona­-Impfstoffe ausgesprochen. Die Abgeordneten forderten in einer verabschiedeten Entschließung die EU auf, entsprechende Initiativen Indiens und Südafrikas bei der Welthandelsorganisation WTO zu unterstützen. Von Pharmaunternehmen wird darin gleichzeitig verlangt, "Wissen und Daten" zur Impf­stoffherstellung über die WTO zur Verfügung zu stellen.

Das Votum sei "eine klare Aufforderung an die EU-Kommission, endlich ihren Widerstand in der WTO aufzugeben", erklärte die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini. Die Freigabe der Patente könne "Leben retten und Mutationen des Virus verhindern".

"Nach Monaten intensiver Kampagnenarbeit hat die Linksfraktion im Europäischen Parlament einen entscheidenden Sieg im weltweiten Kampf um die Beseitigung von Patentschranken und die Bereitstellung von Impfstoffen als Gemeingut errungen. Dank unseres Änderungsantrags unterstützt das Europäische Parlament nun offiziell die TRIPS-Ausnahme. Das Parlament sendet damit eine klare Botschaft an den Rat und die Kommission, die sich in der WTO hartnäckig gegen den Vorschlag Indiens und Südafrikas gewehrt haben. Es ist nun an der Zeit, dass sie aufhören, die Profite von Big Pharma über das Leben der Menschen zu stellen. Untätigkeit ist tödlich und die Welt schaut uns zu", sagte Manon Aubry, Ko-Vorsitzende der Fraktion The Left (GUE/NGL), 

Aus Sicht der Linken im Europäischen Parlament (EP), die den Änderungsantrag eingebracht hatten, war es ein Etappensieg auf dem Weg zur vorübergehenden Aussetzung der relevanten Patentschutzansprüche während der Pandemie. "Wir fordern eine solche Aussetzung schon seit einem Jahr", unterstrich Herlmut Scholz, EP-Abgeordneter der Linken. Scholz erklärte, seine Fraktion hoffe, mit dem knappen Votum ein Signal gesetzt zu haben, hinter das das Parlament nicht mehr zurückgehen werde. Am Mittwoch hat dann das Europäische Parlament tatsächlich für die vorübergehende Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens der WTO zu Patentenfür Corona­-Impfstoffe ausgesprochen.

 

"Als wir das Europäische Parlament letzten Monat dazu brachten, die Kommission aufzufordern, den Verzicht zu unterstützen, wussten wir, dass die Pandemie-Profiteure zurückschlagen würden. Aber die Bewegung für die Impfgerechtigkeit erweist sich als stärker und wir haben diese Forderung heute dank kolossaler und leidenschaftlicher öffentlicher Unterstützung untermauert. Die Kommission ist jetzt die einzige Institution, die Patente und Big Pharma-Profite verteidigt. Sie muss jetzt das Votum des Parlaments respektieren und befolgen und sich bei der WTO für den TRIPS-Waiver einsetzen."
Manon Aubry, 10. Juni, https://www.guengl.eu/we-can-win-this-big-pharma-on-backfoot-as-parliament-bolsters-vaccine-equality-call/

Nach der Abstimmung im Mai hat Pressenza mit Manon Aubry, Abgeordnete von La France Insoumise und Ko-Vorsitzende der Fraktion The Left (GUE/NGL) im Europäischen Parlament gesprochen.

Interview mit Manon Aubry: "Globale Gesundheit ist kein Markt"

Frage: Das Europäische Parlament hat mit 293 zu 284 Stimmen einen Änderungsantrag gebilligt. In diesem wird "die EU aufgefordert, die von Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereichte Initiative zu unterstützen, die eine vorübergehende Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte an Impfstoffen, Geräten und Therapien zur Bekämpfung von COVID-19 fordert." Die Abstimmung im Europäischen Parlament hat die pro-Multi Front gebrochen. Was sind Ihre Meinung und Ihr Empfinden dazu?

EP Manon Aubry GeheimverträgeManon Aubry: Die Abstimmung über unseren Änderungsantrag, der eindeutig die Unterstützung des indischen und südafrikanischen Vorschlags bei der WTO fordert, ist ein großer Sieg gegen die großen Pharmalobbys. Es ist das Ergebnis eines unerbittlichen Kampfes, den wir seit Monaten im Europäischen Parlament (wo wir zunächst allein waren) zusammen mit NGOs und Bürger:innen geführt haben. Wir können jetzt sagen, dass das Europäische Parlament offiziell auf der Seite der Aufhebung von Patenten auf Impfstoffe steht: Das setzt die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten zusätzlich unter Druck. Sie werden sich nicht länger vor ihrer Verantwortung drücken können: Wollen sie die Einzigen auf der Welt sein, die das blockieren, was es uns ermöglichen würde, aus der Knappheit herauszukommen und den ganzen Planeten zu impfen, nur um die Gewinne einiger weniger Aktionäre zu schützen?

Frage: Was sind die nächsten Schritte, innerhalb und außerhalb des Parlaments?

Manon Aubry: Es gibt eine Menge Heuchelei in den europäischen Institutionen und Regierungen in der Frage der Patentaufhebung. Bidens überraschende Kehrtwende zwang Macron, in dieser Frage einen Rückzieher zu machen. Er sagte, er sei "sehr dafür", obwohl er bei der WTO und seine Fraktion in der Nationalversammlung und im Europäischen Parlament immer dagegen gestimmt hatte. Merkel reagierte sofort, um ihren entschiedenen Widerstand gegen jede Infragestellung von Patenten zu bekräftigen, und seither ist Frankreichs Position unklar. Wir haben heute zwei Ziele: Erstens, weiterhin Druck auf das Europäische Parlament auszuüben, das im Juni über eine spezielle Resolution zu diesem Thema abstimmen wird, um die Kommission und den Rat zu zwingen, bei den nächsten WTO-Treffen eine klare Position zu beziehen. Und dann das Thema ausweiten, damit die Debatte um die COVIS-Impfstoffpatente zu einem Präzedenzfall wird: Die globale Gesundheit kann nicht als Markt betrachtet werden, wenn Millionen von Leben auf dem Spiel stehen!

Frage: Innerhalb der Bewegung "Kein Profit mit der Pandemie" gab es unterschiedliche Reaktionen auf Bidens Aussagen. Was meinen Sie dazu?

Manon Aubry: Wir lassen uns nicht täuschen: Biden ist nicht über Nacht zum großen Revolutionär geworden, der jeglichen Profit an der Pandemie verhindern und eine für jeden zugängliche Medikamentenversorgung schaffen will! Wir müssen Bidens Sinneswandel als Chance sehen, die es zu ergreifen gilt, und das haben wir im Europäischen Parlament erfolgreich getan. Allerdings müssen wir vorsichtig sein: Wir wollen eine sofortige, vollständige und dauerhafte Aufhebung der Patente auf Impfstoffe, keinen Kompromiss auf Pump. Und wir wollen auch eine faire Aufteilung der notwendigen Rohstoffe sowie einen verpflichtenden Technologie- und Know-how-Transfer von den großen Konzernen. Diese Maßnahmen stehen nicht im Widerspruch zueinander, wie die EU behauptet: Im Gegenteil, sie ergänzen sich gegenseitig! So werden wir in der Lage sein, alle heute ungenutzten Produktionskapazitäten der Welt zu mobilisieren.

 


Logo GUE The Left"Von Beginn der Pandemie an war The Left eine der ersten Stimme, die forderte, dass Covid-19-Impfstoffe und -Behandlungen zu einem öffentlichen Gut gemacht werden. Die Verabschiedung dieser Entschließung, die den Willen des Parlaments zum Ausdruck bringt, ist der Höhepunkt beeindruckender Graswurzel-Mobilisierungen in ganz Europa - in Solidarität mit dem Globalen Süden - bei denen die Linke eine wichtige Rolle spielte. Sie sendet eine klare Botschaft an die EU, dass das Leben der Menschen vor den Profiten der multinationalen Konzerne kommen muss. Jeder Tag, an dem der Zugang zu Impfstoffen verzögert wird, kostet 9.946 Menschen das Leben. Untätigkeit ist tödlich."
https://www.guengl.eu/lifted-parliaments-vital-vote-to-waive-covid-19-vaccine-patents/

 

 

Frage: Die Zeit läuft uns davon. Hoffen wir, dass es uns gelingt, den Ländern, die sie am meisten brauchen, Impfstoffe zur Verfügung zu stellen?

Manon Aubry: Wir haben ein Jahr verloren, weil wir uns von Anfang an geweigert haben, Impfungen als globales Thema und den Impfstoff als gemeinsames Gut der Menschheit zu betrachten. Wir zahlen jetzt einen hohen Preis mit Ländern, die von der Pandemie und dem Auftreten neuer Varianten heimgesucht werden. Die Europäische Union ist für diese Sackgasse direkt verantwortlich, und wir werden weiterhin eine Untersuchungskommission fordern, um ihre Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Aber es ist noch nicht zu spät, um zu reagieren und die Politik zu ändern. Wenn wir die Aufhebung der Patente und den verpflichtenden Technologietransfer erreichen, können wir innerhalb weniger Monate neue Produktionslinien erwarten. Wir haben keine Sekunde zu verlieren, denn Untätigkeit ist tödlich. Mindestens 15 bis 20 Milliarden Dosen werden im nächsten Jahr benötigt, vielleicht sogar mehr, wenn reguläre oder variantenangepasste Booster erforderlich sind. Es ist immer noch möglich, aber wir müssen jetzt anfangen und aufhören, höflich darauf zu warten, dass die große Pharmaindustrie damit beginnt.

Frage: Die Pandemie überschattet viele andere soziale Notlagen. Woran muss in den kommenden Monaten gearbeitet werden?

Manon Aubry: Die Pandemie ist ein noch nie dagewesenes Ereignis in der jüngeren Geschichte und hat alle überrascht. Es ist normal, dass die Gesundheitskrise ein Jahr lang im Mittelpunkt stand, aber es ist jetzt an der Zeit, über die vierte Welle zu sprechen, die sozial ist und sein wird. Die Armut explodiert in ganz Europa. Junge Menschen stehen in den Suppenküchen Schlange. Selbstständige haben Schulden angesammelt und riskieren über Nacht den Bankrott. Die Situation ist äußerst ernst und erfordert sofortige Notmaßnahmen. Zuallererst muss der haushaltspolitische Spielraum wiederhergestellt werden: Streichung der öffentlichen Schulden, die von der Europäischen Zentralbank gehalten werden, und Einführung von Steuern auf die Profiteure der Krise, sowohl auf Milliardäre als auch auf multinationale Unternehmen. Damit ließe sich die soziale Komponente des Konjunkturprogramms finanzieren, die von der Europäischen Union völlig ignoriert wird! Was Biden in den USA kann, das können wir auch in Europa.

Interview übernommen vpn Pressenza, veröffentlicht am 28.5.2021
https://www.pressenza.com/de/2021/05/interview-mit-manon-aubry-globale-gesundheit-ist-kein-markt/

 Europäische Bürgerinitiative: "Jeder verdient Schutz vor Covid-19! Kein Profit durch die Pandemie!"
hier unterzeichnen: https://noprofitonpandemic.eu/de/


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