Wirtschaft

19.07.2023: Seit 2013 wird bei Amazon Deutschland für einen Tarifvertrag gekämpft ++ Streik am Amazon Prime Day an zehn Verteilzentren ++ repressive Maßnahmen gegen aktive Gewerkschafter*innen ++ Verbindung von Kämpfen bei Amazon mit Tarifkämpfen im Einzel- und Versandhandel

 

2013 wurde bei Amazon in Deutschland erstmals für einen Tarifvertrag gestreikt. Das 10jährige Jubiläum wurde im Mai 2023 in Bad Hersfeld mit einer Streikdemo durch die Innenstadt gewürdigt.

Amazon verdi 1Vor 10 Jahren war es ein Erfolg mit insgesamt 1.700 Streikende auf die Straße zu gehen, nun wurde für die zehn Standorte festgestellt:
"Im vergangenen November haben wir zehn Standorte gleichzeitig zum Streik aufrufen können, und wir arbeiten daran, diese Zahl noch zu erweitern. In jedem Betrieb gehen dann jeweils zwischen 300 und 1.000 Beschäftigte in den Ausstand", sagt Monika Di Silvestre von ver.di-Handel Rheinland-Pfalz. Erkannt wird die Notwendigkeit eines Tarifvertrags "Sonst ist das doch nur kollektives Betteln.", so Di Silvestre.

Diesen Worten lassen die gewerkschaftlich Organisierten bei Amazon Taten folgen. Zum Amazon Prime Day werden Zeichen gesetzt. Der Konzern macht sein Geschäft mit Sonderangeboten und die weltweite Schnäppchenjagd treibt den Profit in immer wieder neue Höhen. Dabei bleiben die Arbeitsbedingungen und die Löhne der Beschäftigten auf dem Boden und weit hinter den Möglichkeiten, die dieser Konzern geben kann. 470 Milliarden US-Dollar Umsatz und 33 Mrd. Gewinn haben die Amazon-Workers laut Forbes in 2022 erarbeitet! [1]

Grund genug auch 2023 zum Prime Day (11. und 12. Juli) für drei Tage nicht nur auf den Widerspruch zwischen dem Profit des Konzerns und den Arbeits- und damit auch Lebensbedingungen der Beschäftigten hinzuweisen, sondern dabei in erster Linie die Forderungen nach höherem Lohn und besseren Arbeitsbedingungen öffentlich zu machen.

Die Beschäftigten in den zehn Verteilzentren Bad Hersfeld (zwei Standorte), Leipzig, Werne, Graben, Rheinberg, Koblenz, Dortmund, Achim und in Winsen wurden von ver.di aufgerufen zu streiken: Für die Anerkennung der Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels sowie für den Abschluss eines Tarifvertrages 'Gute und gesunde Arbeit'!

Auch wenn die Amazon-Konzernzentrale nicht müde wird darauf hinzuweisen, dass die mehr als 36.000 Beschäftigten in Deutschland mindestens 13 Euro Stundenlohn bekommen und es automatische Steigerungen gibt, so wissen doch inzwischen viele Kolleginnen und Kollegen, dass sie mit einem Tariflohn finanziell besser dastehen würden. Denn: "Tatsächlich blieben die Einkommen der Beschäftigten durch längere Arbeitszeiten und niedrige oder fehlende Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld oft um mehrere hundert Euro unter denen ihrer Kolleginnen und Kollegen in tarifgebundenen Unternehmen. Das Geschäftsmodell von Amazon sei auf einer 'Hire&Fire'-Mentalität aufgebaut und missachte die Bedürfnisse der in dem Unternehmen arbeitenden Menschen" kritisiert die Gewerkschaft ver.di.[2]

Und wirklich setzt Amazon (immer noch) auf repressive Maßnahmen gegen aktive Gewerkschafter*innen. Versuchte Entlassungen und Gerichtsprozesse wurden gerade gegen Betriebsratsmitglieder und Kolleg*innen in Achim, Winsen und Wunstorf vom Konzern angestrengt. Der ver.di-Gewerkschaftssekretär Nonni Morisse sagt dazu: "Wenn wir an jedem Standort in Niedersachsen, an dem wir organisierte, gewerkschaftliche orientierte Betriebsräte haben, solche Kündigungsverfahren vorfinden, dann hat das System."[3]

Amazon möchte den Eindruck erwecken, dass es keine Auswirkungen durch die Streiks auf die Abläufe in den Verteilzentren und für die Kundschaft gibt. Die ver.di Streikleiterin Monika Di Silvestre ist jedoch überzeugt: "Amazon sind unsere Aktionen nicht egal, denn sie versuchen immer zu intervenieren. Und es hat auch ökonomische Wirkungen, wenn sie Leistungen beispielsweise nach Polen verschieben müssen. Zudem stellt das Unternehmen gezielt Aushilfen ein für streikgefährdete Zeiträume beispielsweise rund um den sogenannten Black Friday. Auch das kostet."

Die Ankündigung des Konzerns Ende Juni, die Einstiegslöhne ab September 2023 auf mindestens 14 Euro pro Stunde zu erhöhen sieht Di Silvestre ebenfalls als Beleg dafür, dass der Kampf wirkt: "Das hätte die Unternehmensleitung aber niemals ohne den Druck der Streiks freiwillig getan". Die Einkommen der Beschäftigten blieben durch längere Arbeitszeiten und niedrige oder fehlende Sonderzahlungen oft um mehrere hundert Euro unter denen in tarifgebundenen Unternehmen, kritisiert die Gewerkschaft.

Gespräche über einen Tarif oder die Tarifanbindung lehnt der Konzern nach wie vor ab. Denn auch die Amazon-Manager wissen: Tarif ist mehr als der Stundenlohn! Hinzu kommen Regelungen zu Arbeitszeit und Pausen, Urlaub, oft gibt es inzwischen auch in den Tarifverträgen Vereinbarungen für einen gesunden Arbeitsplatz.

Mit der "freiwilligen" Ein-Euro-Erhöhung des Einstiegslohns will Amazon, wie andere Unternehmen im inzwischen überwiegend nicht mehr tarifgebundenen Handel, von dem gewerkschaftlich organisierten Arbeitskampf für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen abhalten.

Die Kolleg*innen bei Amazon sagen jedoch "5 % Erhöhung sind zu wenig!" und stellen der "Amazon-freiwilligen" Erhöhung von 13 Euro auf 14 Euro etwas entgegen. Sie fordern ein Plus von 2,50 Euro auf ihren Stundenlohn.

Das ist ein Teil der Forderung für die aktuell laufenden Flächentarifverhandlungen im Einzel- und Versandhandel. Mit dieser Übernahme mindestens von Teilen der Tarifforderung wird nicht nur deutlich die Forderung nach Tarifanbindung unterstrichen, es werden gleichzeitig die streikenden Kolleg*innen in ihrem Tarifkampf unterstützt.

Diese Verbindung, die die Streikenden bei Amazon zu den aktuell gerade stattfindenden Tarifkämpfen im Einzel- und Versandhandel aufbauen, sind ein notwendiger und vielleicht längst überfälliger Schritt, um noch erfolgreicher die Forderungen zu vertreten.

Gemeinsamkeit wird auch entwickelt durch leicht abgewandelte inhaltliche Aussagen des Streiks. Aus dem ver.di-Handelsslogan "Ohne uns kein Geschäft!" wird für Amazon "Ohne uns kein Paket!"

Wie wichtig in sozialen Kämpfen das Voneinander-und-miteinander-lernen ist, kann hier deutlich werden: wenn ein Konzern als Big Player permanent gegen die Interessen der Belegschaften auftritt, wenn sich dagegen in den Belegschaften global Widerstand entwickelt und so Stück für Stück und mit Unterstützung anderer Aktivist*innen erfolgreich Forderungen durchgesetzt werden, dann wird dies (hoffentlich) Eingang finden in die Kämpfe der Beschäftigten anderer Global-Player, auch über die Branche des Online-Handels hinaus.

Andererseits werden Amazon-Beschäftige erkennen, dass es selbst in kleineren Konzernen und Unternehmen eine bessere Ausgangsposition zur Durchsetzung von Forderungen gibt, wenn es Verträge mit Gewerkschaften, die Tarifbindung gibt. Von den größten Klassenorganisationen, den Gewerkschaften, entwickelte Kämpfe können mit langem Atem geführt werden.

Amazon make pay

Noch immer weigert sich Amazon Gespräche mit den Gewerkschaften über die Arbeitsbedingungen und einen Tarif zu führen. Aber auch in den Chefetagen ist bekannt, dass die nächsten Streiks bereits in den Köpfen der kampfbereiten Kolleg*innen stecken. Schon der "Black Friday" kann wieder zu einem globalen Aktionstag der Amazon-Beschäftigen werden. Dann heißt es erneut: Make Amazon Pay!

Dieser Kampf wird an vielen Standorten und international geführt. Die inzwischen weltweit gut vernetzten Amazon-Beschäftigen führen Streiks und Kundgebungen in verschiedenen Ländern, mit ähnlichen Forderungen und an gemeinsamen Aktionstagen durch.

Zum Prime Day wurden in Spanien an vier Amazon-Standorten in Murcia, Madrid, Toledo und in Barcelona Kundgebungen am 11. und 12. Juli von den Gewerkschaften mit den Beschäftigen durchgeführt. In Murcia wurden besonders die krankmachenden Arbeitsbedingungen kritisiert, verbunden mit der Solidarität für einen Kollegen, der an seinem Arbeitsplatz einen Schlaganfall bekommen hatte und entlassen wurde.

In Großbritannien wurde das Amazon-Lager in Coventry vom 11. - 13. Juli von 900 Kolleg*innen stundenweise bestreikt. Die Gewerkschaft GMB fordert mindestens 15 Pfund Lohn pro Stunde. Aktuell erhalten sie zwischen 11 bis 12 Pfund pro Stunde. [4]

In den USA wurde in Norwood bereits am 8. Juli für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen gestreikt mit der Aufforderung an Amazon endlich bessere Verträge zu verhandeln.

Das Wort von ver.di-Streikenden gilt:
Es kann und darf nicht sein, dass Amazon seine Überlegenheit auf dem Markt buchstäblich auf dem Rücken der Beschäftigten ausbaut! #MakeAmazonPay

txt: Bettina Jürgensen  

Anmerkungen

[1] https://www.handelsblatt.com/politik/ranking-die-zehn-groessten-unternehmen-der-welt/24452302.html 

[2] https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++39d8eb40-1f3f-11ee-8a1d-001a4a160129 

[3] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/amazon-betriebsraete-101.html 

[4] https://www.gmb.org.uk/news/amazon-coventry-strike-1000-gmb-members-after-prime-week-action 


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