02.05.2024: Am 25. April 1974 wurde in Portugal die älteste Diktatur Europas gestürzt. Mit der Nelkenrevolution begann in Portugal eine neue Epoche. Günther Stamer stellt ein paar Bücher aus dem Umfeld des "Portugiesischen Aprils" vor.
Es waren einmal Nelken in Gewehrläufen |
Curt Meyer-Clason. Portugiesische Tagebücher 1969-1976
"Bitte keinen 'Spiegel', keine progressive Literatur, keine 'edition suhrkamp', schon gar keine marxistische Literatur. Verwahren Sie Brecht und Grass unter Verschluss."
Mit diesen Worten empfing der scheidende Leiter des Lissaboner Goethe-Instituts im Jahr 1969 seinen Nachfolger Curt Meyer-Clason. Dieser war dann bis 1976 dessen Repräsentant der auswärtigen bundesdeutschen Kulturpolitik. In dieser Zeit schreibt er ein literarisches Tagebuch, berichtet und dokumentiert darin – konkret und poetisch – von Kultur und Politik einer Zeit, die in den "portugiesischen April" und der "Nelkenrevolution" münden sollte.
So z.B. vom November 1972: Das Goethe-Institut führt eine Veranstaltungsreihe zum "Deutschen Dokumentartheater" durch. Dort sollen Stücke von Hochhuth, Kipphardt, Enzensberger und Weiss vorgestellt werden. Es kommt zu einem kulturpolitischen Skandal.
Stein des Anstoßes ist natürlich der Verfasser des "Lusitanischen Popanz". Wer in Portugal über Peter Weiss veröffentlichte, umschrieb seinen Namen oder nannte ihn Pedro Blanco. Der Leiter des Goethe-Instituts beharrte darauf, Peter Weiss als einen der erfolgreichsten deutschsprachigen Gegenwartsdramatiker vorzustellen. Die Folge: Während der Veranstaltung werden Saal und Projektionskabinen durchsucht und der Chef der portugiesischen Zensurbehörde untersagt die Fortsetzung der Veranstaltungsreihe wegen "Missachtung der Zensurbestimmungen".
Daraufhin schalten sich Kultur-und Außenministerien Portugals und der BRD ein.
Im Ergebnis darf die Veranstaltungsreihe mit einem Kompromiss fortgesetzt werden: Bei einem Text aus der "Ermittlung" von Peter Weiss darf dessen Name nicht genannt werden, sondern es heiß dann immer "von jenem bekannten Dramatiker". Nur Heinar Kipphardt lehnt diesen Vorschlag ab und weigert sich seinen Vortrag zu halten.[1]
Peter Weiss. Gesang vom Lusitanischen Popanz
Peter Weiss hatte in seiner 1967 uraufgeführten politischen Revue mit Musik, Gesang und Pantomine, dem "Gesang vom Lusitanischen Popanz", die Kolonialpolitik Portugals und deren Unterstützung durch die NATO-Partner und Konzerne scharf angeprangert und zur Solidarität mit den um ihre Freiheit kämpfenden Ländern aufgerufen.[2]
Der "Popanz" (Salazar):
"Ich habe Sie, meine Herren Offiziere, zu einer Expedition zusammengerufen
bei der Sie das Wort Mitleid aus ihrem Gedächtnis streichen müssen.
Wir kämpfen nicht gegen Menschen
wir kämpfen gegen wilde Tiere.
Ich erhalte meine Befehle von Gott dem Herrn
Es ist Lusitaniens Aufgabe, die göttliche Botschaft auf Erden zu verbreiten.
Immer wieder hat die Geschichte gezeigt, dass der Mensch sich selbst nicht zu lenken vermag.
Es bedarf der Leitung einer Autorität, die ihn davor bewahrt,
dem Eigennutz und dem Materialismus u verfallen.
Mein Ziel ist, den Menschen von den Versuchungen des Abgrunds zu retten.
Besonders auf unsere schwarzen Mitbürger in den überseeischen Provinzen
zielen die Konspirationen des Feindes.
Auf Grund ihrer Unreife, ihrer kindlichen Zurückgebliebenheit sind sie anfällig
für die Aufwieglungsversuche jener Elemente,
die es auf die Zerstörung unserer Ideale abgesehen haben."
Die um ihre Befreiung Kämpfenden halten dem entgegen:
"Bauern Zwangsarbeiter Gefangene
Euer Gold hängt um Europas Hals
Die Masken eurer Vorfahren schmücken Europas Staatszimmer.
Das Wachstum eurer Erde wird von Europas Bauch verdaut.
Betrogene Ausgeplünderte Hungernde
Mit eurer Arbeit hat ihr Europas Reichtum begründet
Mit eurem Eisen bewaffnet sich Europa jetzt
gegen euch.
Schon viele sind in den Städten und in den Wäldern und Bergen
lagernd ihre Waffen und sorgfältig planend
die Befreiung die nah ist."
Antonio Lobo Antunes. Der Judaskuss
Ein Kriegsveteran redet sich in einem Monolog in einer Bar in Lissabon die Schrecken des Kolonialkrieges in Angola von der Seele.[3]
Er berichtet in assoziativen vielschichtigen Bildern von seinem bisherigen Leben: Beginnend von seiner Kindheit bis zu seinem Einsatz als Militärarzt in Angola. Dort, "in dem Land am Ende der Welt", waren Folter, Mord und Totschlag allgegenwärtig, um die christlich-abendländische Weltordnung zu verteidigen. "Als dem Guerillero von der MPLA, der gefangen genommen worden war, der verbrannte Schenkel amputiert werden mußte, haben die Soldaten sich voller Stolz auf die Trophäe auf einem Foto damit verewigt, der Krieg hat uns zu Tieren gemacht, zu grausamen, dummen Tieren, denen man das Töten beigebracht hat."
Die Umkehrung der Werte wird den dort kämpfenden Soldaten schnell vor Augen geführt: Zu offensichtlich sind die ökonomischen Interessen, die sie verteidigen sollen, nämlich die der Plantagenbesitzern, der Minenaktionäre und der Waffenhändler.
Das Buch von Antunes, der als Militärarzt selbst über zwei Jahre in Angola im Einsatz war, galt bei Veröffentlichung (1979) als Tabubruch, da er nicht nur die Kolonialtruppen und die staatlichen Institutionen sondern auch die Rolle der katholischen Kirche und deren Repräsentanten an den Pranger stellte.
Leseprobe hier
José Saramago. Hoffnung im Alentejo
Mit der realistischen bäuerlichen Familienchronik "Levantado do Chão", 1979 in Lissabon erschienen, 1985 unter dem Titel "Hoffnung im Alentejo" im Aufbau-Verlag in deutscher Sprache, wurde José Saramago auch in Deutschland einem breiteren Leser:innenkreis bekannt.[4]
Die Provinz Alentejo ist die Region des Weizens, der Olivenhaine und der Korkeichen – und das Land der Großgrundbesitzer und der Tagelöhner. José Saramago (Nobelpreis 1998) verfolgt hier das Schicksal einer Tagelöhnerfamilie über vier Generationen, von der Jahrhundertwende bis kurz nach der Revolution 1974. Er schildert darin die Schufterei auf den Latifundien, von ersten spontanen Aufbegehren und von organisierten Streiks gegen die Patrons, von Inhaftierung und Folter durch PIDE-Agenten. Saramago fand in den Bildern, Geschichten und Menschen, die er auf ähnliche Art und Weise aus seiner vom Landleben geprägten Kindheit und Jugend kannte, den Weg zu seiner ganz eigenen Sprache und Erzählweise.
Die Besetzungen der Latifundien durch die Landarbeiter:innen nach der Nelkenrevolution bilden zwar den hoffnungsvollen Schlusspunkt des Romans, doch die Landarbeiter:innen bleiben skeptisch:
"Man hatte so viel von Veränderungen und Hoffnungen verkündet, die Soldaten hatten die Kasernen verlassen, mit Eukalyptuszweigen hatten sie die Kanonen geschmückt und mit blutfarbenen Nelken. Im Radio und im Fernsehen reden sie ständig von Demokratie und sonstigen Gerechtigkeiten, ich aber will Arbeit und bekomme sie nicht, wer kann mir erklären, was das für eine Revolution ist."
siehe auch 21.11.2022: Am 16. November jährte sich der hundertste Geburtstag von José Saramago, und wer weiß, wie viele Werke er uns noch hätte schenken können, wenn er uns nicht am 18. Juni 2010 verlassen hätte. José Saramago muss man lesen und wieder lesen, denn seine Geschichten strahlen einen befreienden Kommunismus aus, den die Welt so nötig hätte. |
Manuel Tiago. Bis morgen, Genossen
Ein Jahr nach der Nelkenrevolution erschien im Verlag der Kommunistischen Partei Portugals ein Roman unter dem Titel "Bis morgen, Genossen"[5].
Als Autor dieser "literarischen Aufzeichnungen eines portugiesischen Kommunisten" (so der Untertitel des Buches) wurde Manuel Tiago genannt.
Der Roman schildert den Kampf portugiesischer Kommunist:innen in den Jahren ihrer Illegalität. Die Details des Romans legten nahe, dass er von einem "Insider" geschrieben worden war. Zwanzig Jahre später outete sich dann Alvaro Cunhal, langjähriger Generalsekretär der KP (von 1961 bis 1992) Autor dieses Buches zu sein. Im Jahr 2001 wurde der Roman von Luis Filipe Rocha, einem renommierten portugiesischen Regisseur, verfilmt und als sechsteilige Serie im Fernsehen ausgestrahlt.
Wer das Buch gelesen hat, gewinnt eine Vorstellung darüber, welchen opferreichen Kampf die portugiesischen Kommunist:innen in der Illegalität geführt haben und wie sie ihre "Parteiarbeit" so organisierten, dass sie ein entscheidender politischer Faktor vor, während und nach der Nelkenrevolution sein konnten.
Darin lässt er Paolo, einen der Protagonisten des Romans sagen: "Die Partei ist kein Selbstzweck. Es nützt wenig, wenn alles wohlgeordnet ist, alles an seinem Platz, alles nach einem bestimmten Schema abläuft, wenn diese Organisationen und diese Genossen ihr Augenmerk nur nach innen richten."
Alvaro Cunhal, im März 1949 verhaftet,verbrachte acht Jahre in völliger Isolation im Gefängnis von Lissabon. 1958 wurde er in die berüchtigte Peniche, dem Festungsgefängnis am Atlantik, verlegt. Eine seiner bemerkenswertesten Produktionen zur Zeit seiner Gefangenschaft war die Übersetzung und Illustration von Shakespeares König Lear und die Niederschrift des Romans "Bis morgen, Genossen". Am 3. Januar 1960 gelang Cunhal zusammen mit zehn weiteren Genossen, die berühmte Flucht aus der Peniche.
Alvaro Cunhal hat eine ganze Reihe weiterer Novellen und Romane unter seinem Pseudonym Manuel Tiago veröffentlicht, darunter den Roman über die Nelkenrevolution "Um Risco na Areia (Ein Strich im Sand)", der bisher nicht übersetzt wurde.
txt: Günther Stamer
aktuell zu Portugal: Rechter Wind weht über das enttäuschte Portugal. Das alte Alentejo der Kommunisten existiert nicht mehr |
Fußnoten
[1] Curt Meyer-Clason. Portugiesische Tagebücher 1969-1976. Verlag AutorenEdition im Athenäum Verlag, Königstein/Ts 1979, S. 174-178
[2] Peter Weiss, Gesang vom Lusitanischen Popanz, edition suhrkamp, Frankfurt/Main 1974
[3] Antonio Lobo Antunes, Der Judaskuss. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1989
[4] Jose Saramago, Hoffnung im Alentejo, Aufbau-Verlag Berlin (DDR) 1985
[5] Manuel Tiago, Bis morgen, Genossen, Dietz-Verlag, Berlin (DDR) 1979