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Julian Assange the world is watching Banner05.01.2021: überraschende Entscheidung des britischen Gerichts: Julian Assange wird nicht an die USA ausgeliefert ++ Richterin Vanessa Baraitser folgt inhaltlich der Argumentation der US-Ankläger*innen ++ Urteil mit "Hintertür für die Verfolgung von Journalist*innen" ++ USA legen Berufung ein ++ der Kampf um Julian Assanges Freiheit geht weiter

 

 

In einem weitgehend menschenleeren Gerichtssaal verkündete Richterin Vanessa Baraitser gestern (4.1.) das Urteil in dem von der US-Regierung angestrengten Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange. Die US-Regierung verlangt die Auslieferung des Wikileaks-Gründers wegen Vergehens gegen den "Espionage Act", der den unbefugten Besitz und die Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen unter Strafe stellt. Im Fall einer Auslieferung drohen Assange in den USA bis zu 175 Jahre Haft. Mit dem Verfahren in London wird aber nicht nur über die Auslieferung von Julian Assange entschieden, sondern über die Möglichkeiten der Medien, weiter über Staatsgeheimnisse zu berichten.

Julian Assange Free Assange
Historischer Schauprozess gegen die Pressefreiheit
  

 

Wie schon die Verhandlungen fand auch die Urteilsverkündung nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So wurde der Antrag der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagedelen als parlamentarische Beobachterin teilnehmen zu dürfen, von Richterin Vanessa Baraitser ohne Begründung abgelehnt. Auch Amnesty International und anderen Parlamentariern wurde die Teilnahme an der Urteilsverkündung verwehrt.

Schon von Beginn an fand das Verfahren in einem Saal statt, der nur wenige Plätze für Medienvertreter bot. Mit Beginn der Corona-Pandemie wurden diese komplett gestrichen. Prozessbeobachter und Presse konnten die Verhandlungen nur von einem anderen Raum aus über Video verfolgen.

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, die weltweit Prozesse gegen Journalisten beobachtet, zählte zu den wenigen Organisationen, die den Prozess vor Ort verfolgen konnten. Allerdings unter "erschütternden Umständen", wie der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, gegenüber der Deutschen Welle sagte.[1] Die britischen Behörden versuchten "internationale Prozessbeobachter systematisch herauszuhalten", zugesagte Videozugänge seien kurzfristig wieder entzogen worden, so Christian Mihr.

Assanges Verteidiger*innen beklagten von Anfang an, dass sie kaum Zeit bekommen hätten, um mit Assange zu reden. Er habe nicht einmal Zugang zu den Akten seines Falles erhalten.

Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter zu Folter, sagte: "In diesem Prozess sind Julian Assanges Verfahrensrechte systematisch verletzt worden. Zeugen wurden nicht zugelassen. Die Öffentlichkeit hatte keinen angemessenen Zugang zu den Anhörungen. Und es war immer die Verteidigung, die Einschränkungen hinnehmen musste, nie die Staatsanwaltschaft. Das war eindeutig kein faires Verfahren. Daher muss ich leider davon ausgehen, dass die erste Instanz die Auslieferung durchwinken wird."[2]

Entgegen dieser Befürchtung entschied Richterin Vanessa Baraitser, dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert wird. Wie bei den Verhandlungen saß Julian Assange in einem gläsernen Käfig, während Richterin Vanessa Baraitser auf der anderen Seite des getäfelten Saales das 134 Seiten lange Urteil zusammenfasste.

Londoner Richterin folgt der Argumentation der US-Ankläger*innen

Inhaltlich folgte sie in vollem Umfang der Argumentation der US-Kläger*innen. Fast eine Stunde lang listete sie auf, was für das Ansuchen der USA spreche, Assange auszuliefern. Baraitser negierte das Argument von Assange und seinen Anwält*innen, er habe als Journalist gehandelt und deshalb Anspruch auf den Schutz, den der erste Zusatz zur US-Verfassung gewähre. Assange habe innerhalb der Grenzen des verantwortungsvollen Journalismus" agiert, so seine Anwält*innen. Vanessa Baraitser wies dies zurück.

Sie warf Assange u.a. vor, dass Wikileaks im Unterschied zu traditionellen Medien Daten ungeschützt veröffentlicht und die Sicherheit von Informant*innen gefährdet habe. Er habe sich mit der Veröffentlichung auch das Recht angemaßt, über das Schicksal von Menschen zu entscheiden, über deren Lebensumstände oder Gefährdung er nichts wissen konnte - und all das im Namen der freien Rede. Assange habe, so Baraitser, nicht als Journalist agiert, sondern letztlich als eine Art skrupelloser Datenhändler. Auch Whistleblower, so die Richterin, hätten jedoch die Pflicht, Menschen bei der Preisgabe von Informationen zu beschützen. Die Londoner Richterin ignoriert mit dieser Behauptung, dass WikiLeaks die Depeschen ursprünglich geschwärzt veröffentlicht hatte, gerade um eine solche Gefährdung zu verhindern. Es waren andere Medien, die die Informationen ungefiltert veröffentlichten und so u.a. die Aufdeckung der Informantin Chelsea Mannings ermöglichten. Für Baraitser ist zudem die Sorge unbegründet, dass Assange in den USA kein faires Verfahren erwarten könnte.

Assange wird nicht ausgeliefert

Obwohl sie in ihren Ausführungen weitgehend den US-Kläger*innen zustimmte, lehnte sie überraschenderweise eine Auslieferung an die USA ab. Assange leide unter Autismus, klinischer Depression und habe ein erhöhtes Risiko, sich selbst zu verletzen. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in der zu erwartenden Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis in Florence, Colorado, wo er im Falle einer Überstellung an die USA inhaftiert würde, das Leben nehmen werde.

Dass Assange psychisch krank und depressiv ist, ist seit langem bekannt. Jahre andauernde Zersetzungsmaßnahmen (konstruierte Vergewaltigungsvorwürfe, mediale Verleumdungskampagnen, Morddrohungen aus den USA), Folter im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh (Isolationshaft, Hot-Box, entwürdigende Behandlung) und ein Schauprozess, an dessen Ende ihm 175 Jahre Haft in den USA oder die Todesstrafe drohen, fordern ihren Tribut. Nicht zuletzt UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer hatte nach einem Besuch im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo Assange einsitzt, festgestellt, Assange sei in einem lebensbedrohlichen Zustand; er zeige Anzeichen psychischer Folter. Inzwischen leide Assange auch an Herzproblemen, so seine Verteidiger*innen.

All das hatte aber bislang nicht dazu geführt, dass die Haftbedingungen in irgendeiner Form erleichtert wurden, obwohl inzwischen sogar die Sorge besteht, er könnte die Haft in Belmarsh nicht überleben. Seit seiner Festnahme im April 2019 ist Julian Assange in dem Hochsicherheitsgefängnis für Mörder und Terroristen nahezu vollständig abgeschottet. Er sitzt in einer Einzelzelle und darf diese nur für eine halbe Stunde pro Tag verlassen.

Ein Urteil gegen die Pressefreiheit

Dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert wird, ist auch ein Erfolg der großen internationalen Solidaritätsbewegung und war nach dem Verlauf des gesamten Verfahrens nicht zu erwarten. Doch das Beunruhigende ist, dass das Londoner Gericht die US-Anklagepunkte stützt. Damit wird investigative journalistische Arbeit grundsätzlich kriminalisiert. Mit dem Urteil werden andere Journalist*innen von dem abgeschreckt, was er getan hat.

 

"Das wirklich Erschreckende an diesem Fall ist der rechtsfreie Raum, der sich entwickelt hat: Mächtige können straflos über Leichen gehen, und aus Journalismus wird Spionage. Es wird ein Verbrechen, die Wahrheit zu sagen."
Prof. Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter

Durch die ihm zu verdankenden Enthüllungen von Korruption und Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan - darunter ein Video, das zeigt, wie us-amerikanische Helikopterbesatzungen unschuldige Zivilist*innen erschossen und dabei Witze rissen - geriet er ins Visier der US-Regierung. Die Täter*innen sind noch immer auf freiem Fuß: Jene Soldat*innen, die in Bagdad unschuldige Zivilisten niedergemetzelt haben. Jene Geheimdienstler*innen, die in Guantanamo gefoltert haben. Und jene Politiker*innen, die über die Tötung von Zivilisten in Afghanistan die Unwahrheit sagten. Julian Assange aber sitzt in Haft und die Richterin folgte der Argumentation der Täter*innen. Mit dem Urteil wird ein gefährlicher Präzendenzfall gegen den investigativen Journalismus geschaffen, während die eigentlichen Kriegsverbrecher sowie korrupte Akteure ungestraft bleiben.

Die Botschaft ist eindeutig, sie lautet: Wer Dinge veröffentlicht, die Regierung und Armee geheim halten wollen, der wird dafür büßen und leiden, egal wie wichtig es ist, Menschenrechtsverstöße und Verbrechen aufzudecken.

"eine Hintertür für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten weltweit"
Christian Mihr, Reporter ohne Grenzen

So ist die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zwar erleichtert über das Urteil, sieht die Begründung der Richterin aber kritisch. Teile der Ausführungen Baraitsers seien "Anlass zu großer Sorge", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. "Ihre Ansicht, dass es sich nicht um ein politisches Verfahren handelt und dass es sich nicht um grundlegende Fragen der Pressefreiheit dreht, teilen wir in keiner Weise." Dass Baraitser dem Auslieferungsantrag nur deshalb nicht stattgab, weil Assange in schlechter gesundheitlicher Verfassung sei, lasse "eine Hintertür offen für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten weltweit, die geheime Informationen von großem öffentlichem Interesse veröffentlichen, wie es Assange getan hat", erklärte Mihr.

US-Regierung kündigt Berufung an

Unmittelbar nach Bekanntgabe der Urteils, teilte das US-Justizministerium mit, dass die US-Regierung "extrem enttäuscht" über die Entscheidung des Gerichts in London sei. Man werde sich weiter um die Auslieferung von Julian Assange an die Vereinigten Staaten bemühen und deshalb in Berufung gehen, hieß es aus Washington.

Der Kampf um Julian Assanges Freiheit geht weiter

Damit wird sich die endgültige Entscheidung über Assanges Schicksal möglicherweise noch jahrelang hinziehen, da der Fall letztlich bis vor den Obersten Gerichtshof in Großbritannien gehen könnte. Sind die Instanzen in Großbritannien ausgeschöpft, könnte zuletzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg über die Auslieferung entscheiden.
Umso wichtiger ist, dass Assange endlich aus der Haft entlassen wird. Die Anwält*innen von Assange haben angekündigt, dass sie jetzt erneut einen Antrag auf Freilassung gegen Kaution stellen werden.

Bundesaußenminister Maas (SPD) schweigt

In Deutschland gibt es zahlreiche Stimmen, die sich für Assange einsetzen. Sogar mehrere Bundestagsabgeordnete verschiedener Fraktionen drängen auf eine Freilassung Assanges.[3] Eine Auslieferung von Assange an die USA "würde dessen Leben gefährden" und hätte "Präzendenzcharakter für andere Journalisten", erklärte die Gruppe, der unter anderem die Abgeordneten Sevim Dagdelen (DIE LINKE), Heike Hänsel (DIE LINKE), Gyde Jensen (FDP), Bijan Djir-Sarai (FDP), Frank Heinrich (CDU), Frank Schwabe (SPD) und Margit Stumpp (Bündnis 90/Die Grünen) angehören.

Für die deutsche Bundesregierung ist das aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht hochproblematische Verfahren in London aber nicht Anlass genug, die überhand nehmenden Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien anzuprangern und den Bündnispartner Großbritannien zur Einhaltung der Menschenrechte zu ermahnen – wie sie es doch so gerne bei Russland, Venezuela, Cuba oder China tut. In diesem Fall aber schweigt die Bundesregierung eisern und duckt sich weg.

"Das Auswärtige Amt hat keine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit britischer justizieller Verfahren. Weiterhin ist es grundsätzlich nicht die Aufgabe der Bundesregierung, die Verhältnismäßigkeit der von britischen Gerichten verhängten Strafen zu bewerten", antwortete Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf eine Anfrage der Grünen.[4]

Mexiko bietet Asyl

Anders Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. Er macht sich stark für eine Begnadigung von Assange und hat erklärt, dass Mexiko dem Wikileaks-Gründer politisches Asyl anbieten wolle. "Ich begrüße die Tatsache, dass das Vereinigte Königreich auf diese Weise gehandelt hat, denn Assange ist ein Journalist und verdient eine Chance. Ich bin dafür, dass er begnadigt wird", sagte er. López Obrador verwies auf Mexikos Tradition, politisch Verfolgten Schutz zu bieten. Das Außenministerium solle das entsprechende Prozedere einleiten und die britische Regierung über das Asylangebot informieren.[5]  

 

Anmerkungen

[1] https://www.dw.com/de/assange-prozess-testfall-f%C3%BCr-die-pressefreiheit/a-56045839
[2] https://www.dw.com/de/un-folterberichterstatter-julian-assanges-rechte-systematisch-verletzt/a-56018562
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/julian-assange-deutsche-politiker-fordern-freilassung-des-wikileaks-gruenders-a-e25c75ba-53e3-458e-ad11-43ec410bfe19
[4] https://margit-stumpp.de/wp-content/uploads/2016/12/200107_Schreiben-von-BM-Maas-Assange.pdf
[5]https://www.jornada.com.mx/notas/2021/01/04/politica/ofrece-mexico-asilo-politico-a-assange-anuncia-lopez-obrador/


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