16.04.2018: In der Nacht zu Samstag haben die USA gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien Luftangriffe auf Ziel in Syrien durchgeführt ++ Frankreich demonstriert seine neue Rolle in Syrien ++ internationale Reaktionen
Nach US-Angaben feuerten US-Zerstörer im Mittelmeer, U-Boote und britische Kampfjets 105 Marschflugkörper (Stückpreis 800.000 Euro) auf drei Ziele in Syrien ab.
Der Angriff richtete sich gegen zwei angebliche Giftgasfabriken und einen Militärflughafen. Die USA und ihre Verbündeten bezeichnen den Angriff als Vergeltung für den mutmaßlichen Giftgasangriff syrischer Truppen in Duma, bei dem 40 Menschen ums Leben kamen. Die syrische Regierung sowie Russland und Iran bestreiten einen Giftgaseinsatz durch die Regierungstruppen in Duma.
US-Verteidigungsminister James Mattis betonte, dass die Angriffsziele so gewählt wurden, dass dem syrischen Chemiewaffenprogramm maximaler Schaden zugefügt, gleichzeitig aber das Risiko minimiert wurde, russische Soldaten oder Zivilist*innen zu töten.
Die syrische staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtet, dass drei Zivilist*innen und sechs Militärangehörige verletzt worden seien. Todesopfer soll es demnach nicht gegeben haben.
Russland warnt vor weiteren Angriffen
Die russische Luftabwehr reagierte nicht auf den Raketenangriff. Dies deutet darauf hin, dass auch Moskau keine direkte militärische Konfrontation mit den USA will. Somit wurde – diesmal noch - ein direkter Zusammenstoß zwischen den USA und Russland vermieden.
Weitere Luftschläge gegen syrische Stellungen würden "unweigerlich Chaos in den internationalen Beziehungen verursachen", warnt Russlands Präsident Wladimir Putin. Er fordert eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. Russland verurteilt die Luftangriffe als Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen. Die Angriffe seien "ein Akt der Aggression gegen einen souveränen Staat, der an vorderster Linie gegen den Terrorismus kämpft", kämen zu einem Zeitpunkt, an dem Syrien gerade eine "Chance auf eine friedliche Zukunft" gehabt habe und hätten "die Aussichten auf eine politische Einigung in Syrien erheblich beeinträchtigt". Für den Einsatz chemischer Waffen durch die syrische Armee gebe es keine Beweise.
Frankreichs neue Rolle in Syrien
Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian erklärte: "Das Vorgehen ist proportioniert und gezielt." Die Luftschläge hätten sich nicht gegen Ziele von Verbündeten Syriens gerichtet. Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly erklärte, Russland sei vor der Intervention gewarnt worden.
Mit der Teilnahme Frankreichs an dem Angriff auf Syrien – vor einem Jahr handelten die USA alleine - wird unterstrichen, dass Frankreich eine neue und stärkere Rolle innerhalb der Internationalen Koalition gegen den IS und für die Nachkriegsordnung Syriens spielen soll.
Vor wenigen Wochen, am 29. März, hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Delegation der Demokratischen Föderation Nordsyriens/Rojava mit hochrangigen kurdischenr, arabischen und assyrischen Politiker*innen sowie Vertreter*innen der "Syrisch Demokratischen Kräfte" (SDF) und der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG/YPJ empfangen. In dem Gespräch sagte Macron militärische Unterstützung und die Entsendung französischer Truppen nach Minbic in Nordsyrien zur Verteidigung gegen einen türkischen Angriff zu.
Während die USA kein Interesse an Afrin zeigten und Deutschland Waffen an die Türkei für die Inavasion lieferte und das Zeigen der Symbole der YPG/YPJ strafrechtlich verfolgt, gab Frankreich ein Signal für die Anerkennung der Demokratischen Föderation Nordsyriens und versprach militärische Unterstützung sowie die Entsendung französischer Truppen nach Minbic in Nordsyrien zur Verteidigung gegen einen türkischen Angriff.
Politische Analyst*innen wiesen darauf hin, dass Frankreich und sein Präsident diesen Schritt nicht alleine und unabgesprochen machen würden, sondern dass Frankreich die Rolle des »Beschützers der Bevölkerung Nordsyriens« übernimmt, weil die anderen Staaten ihre Reputation verloren haben. Die USA, die Nato, die EU und die Internationale Koalition gegen den IS übertragen Frankreich eine führende Rolle, um ihren Einfluss auf eine Nachkriegsordnung in Syrien zu erhalten. (siehe z.B. "The meaning of the French landing in the region")
Dazu passt, dass Frankreich mit einer umfassenden Uno-Resolution einen neuen Anlauf zur Entschärfung des Syrienkonflikts unternehmen will: Das syrische Chemiewaffenprogramm soll nachweisbar beendet werden und es soll geklärt werden, wer für jüngsten Giftgasangriffe verantwortlich ist. Eine landesweite Waffenruhe und ein gesicherter Zugang für humanitäre Helfer sollen dann den Weg zu einer langfristigen politischen Lösung ebnen. Bei dem Gespräch Macrons mit den Vertreter*innen Rojavas bestand Einvernehmen, dass die Administration der Föderation Nordsyriens ein Beispiel für die Lösung der Probleme in Syrien sei. (siehe Interview mit Rêdur Xelil: "Worüber haben Macron und die Vertreter Nordsyriens gesprochen?")
Reaktionen auf den Militärschlag
Syrien: USA verstößt gegen internationales Recht
Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete: "Einmal mehr bestätigen die USA und die Achse zur Unterstützung des Terrors, dass sie gegen internationales Recht verstoßen, über das sie bei den Vereinten Nationen prahlerisch reden". "Die Aggression wird Syrien und die Syrer noch entschlossener machen, weiterzukämpfen und den Terror in jedem Teil des Landes zu zerschlagen", hieß es bei Sana.
Aus dem syrischen Außenministerium hieß es, dass der Militärschlag darauf abziele, die für Samstag geplante Untersuchungsmission der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) zu verhindern. Der Western würde damit "seine Lügen" hinsichtlich des angeblichen Chemiewaffenangriffs auf Duma zu verschleiern.
Kurz nach dem Angriff der Dreierkoalition übernahm die syrische Armee die volle Kontrolle über Ost-Ghouta. Die letzten Einheiten der terroristischen Dschihadmiliz »Jaish al-Islam« kapitulierten und verließen Ost-Ghouta in Richtung des von der Türkei kontrollierten Jarabulus.
Iran: ein Akt der Aggression
Das iranische Außenministerium verurteilte die Angriffe als "Akt der Aggression gegen Syrien". In einer Presseerklärung des Außenministeriums hieß es, die Militärschläge seien "ein klarer Verstoß gegen internationale Vorschriften und die territoriale Integrität Syriens". Der oberste iranische Führer und Assad-Verbündete Ali Khamenei sagte: "Die Angriffe waren ein Verbrechen und die drei an den Angriffen beteiligten Regierungschefs sind dementsprechend Verbrecher."
Türkei begrüßt Angriffe auf Syrien
In einer Erklärung des türkischen Außenministeriums hieß es: "Wir begrüßen den Einsatz, der das Gewissen angesichts des Angriffs in Duma erleichtert". Syrien habe Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, hieß es weiter aus Ankara. Die gemeinsamen Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs seien "angemessen".
Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan sagte: "Mit der gemeinsamen Operation der USA, UK und Frankreichs erhielt das syrische Regime die Botschaft, dass seine Massaker nicht unbeantwortet bleiben."
Die Türkei hat Ende Januar den nordsyrischen Kanton Afrin überfallen, wochenlang die Zivilbevölkerung bombardiert, besetzt gemeinsam mit dschihadistischen Terroristen den Kanton und vertreibt Kurd*innen und Jezid*innen.
Saudi Arabien: volle Unterstützung für den Angriff
"Saudi-Arabien unterstützt voll die von den USA, Frankreich und Großbritannien durchgeführten Schläge gegen Syrien, weil diese eine Antwort an die Verbrechen des Regimes darstellen", verlautbarte das Außenministerium in Riad. Das syrische Regime "würde "chemische Waffen gegen unschuldige Zivilist*innen einsetzen".
Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten finanzieren dschihadistische Terrorgruppen wie die »Jaish al-Islam«, die jahrelang Ghouta besetzte, Zivilist*innen als Geiseln hielt und Damaskus mit Artillerie und Raketen beschoss.
Syriens Außenminister erklärte am Samstag, dass ihn die Unterstützung Riads für den Angriff der USA, Frankreichs und UK nicht überrasche. "Es ist nicht überraschend, dass das Wahhabitenregime die Dreier-Aggression auf Syrien unterstützt, insbesondere nach der Kapitulation seines terroristischen Werkzeugs »Jaish al-Islam«."
Israel: gleiche Antwort an den Iran geben
Israels Premier Benjamin Netanyahu drückte am Samstag die Unterstützung seines Landes für das US-geführte Bombardement in Syrien aus und rief zu einer gleichen Aktion gegen den Iran auf. Netanyahu sagte, dass er der britischen Premierministerin Theresa May mit Bezug auf den Iran mitgeteilt habe, dass die gleiche Antwort an "andere terroristische Staaten und Organisationen" gegeben werden sollten. "Ich sagte ihr, dass die bedeutende internationale Botschaft dieses Angriffs ist, null Toleranz für den Gebrauch von nicht-konventionellen Waffen."
Die israelische Armee hat in den letzten Tagen mit gezielten, scharfen Schüssen auf unbewaffnete Demonstrant*innen auf »konventionell« Weise mehrere Menschen erschossen und um die 1.000 verletzt.
Irak: eine Bedrohung für die Sicherheit der Region
Der irakische Außenminister Ibrahim al-Jaafari drückte seine Sorge über den Angriff auf Syrien aus und reif alle Seite auf, eine politische Lösung zu suchen. Der Luftangriff sei "eine gefährliche Eskalation", die das "unschuldigen Zivilist*innen schadet". "Die Luftangriffe können die ganze Region ernsthaft erschüttern und ihre Sicherheit und Stabilität bedrohen - und eine Möglichkeit für die Ausweitung des Terrorismus geben", warnt das Außenministerium in Bagdad.
Merkel stellt sich hinter Militärschläge
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel befürwortet die Militärschläge gegen Syrien. "Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen", sagte Merkel. "Wir unterstützen es, dass unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in dieser Weise Verantwortung übernommen haben", erklärte die Bundeskanzlerin.
EU: "mit ihren Verbündeten auf der Seite der Gerechtigkeit"
Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, schrieb auf Twitter: "Die Schläge durch die USA, Frankreich und UK Machen klar, dass das syrische Regime zusammen mit Russland & Iran mit dieser menschlichen Tragödie nicht weitermachen können, zumindest nicht ohne eine Preis dafür zu bezahlen. Die EU steht mit ihren Verbündeten auf der Seite der Gerechtigkeit."
Als die Türkei Afrin überfallen oder den Nordirak bombardiert hat, war von der EU nichts zu hören.
Österreich will wieder Gespräche am großen Tisch
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz plädiert für eine Wiederaufnahme der syrischen Friedensgespräche. Der Konflikt könne nicht militärisch gelöst werden, deshalb müssten "alle verantwortlichen Akteure" die Verhandlungen fortsetzen, die es 2015 in Wien gegeben habe, erklärte Kurz. Damals waren 20 unterschiedliche Gruppen eingebunden.
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