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05.05.2023: Die israelischen Behörden setzen ein automatisches Gesichtserkennungssystem ein, um Palästinenser:innen zu verfolgen, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken und um zu entscheiden, ob eine Person einen Kontrollpunkt passieren kann. ++ ein System, "um die Segregation zu verstärken und die Apartheid zu automatisieren", so Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard

 

"Es gibt keine andere Möglichkeit, als dieses System als biometrische Apartheid zu beschreiben", heißt es in einem redaktionellen Leitartikel der in Tel Aviv herausgegeben Zeitung Haaretz.[1] Es geht um ein Gesichtserkennungssystems an Kontrollpunkten, mit dem die Gesichter von Palästinenser:innen ohne deren Wissen oder Zustimmung gescannt werden. Das System mit dem Namen Red Wolf wurde entwickelt, um automatisch biometrische Daten von Palästinenser:innen zu speichern.

"Es gibt keine andere Möglichkeit, als dieses System als biometrische Apartheid zu beschreiben"
Redaktioneller Artikel in der israelischen Zeitung Haaretz

Wenn Palästinenser*innen einen Kontrollpunkt passieren, an dem Red Wolf im Einsatz ist, werden ihre Gesichter ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung gescannt und mit biometrischen Einträgen in Datenbanken verglichen, die ausschließlich Informationen über Palästinenser:innen enthalten. Jedes neu gescannte Gesicht wird automatisch erfasst und in die Datenbank eingetragen.

Die israelischen Behörden setzen das automatisches Gesichtserkennungssystem ein, um Palästinenser:innen zu verfolgen, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, um zu entscheiden, ob eine Person einen Kontrollpunkt passieren kann.

Ein israelischer Kommandant, der in Hebron stationiert ist, sagte gegenüber Breaking the Silence aus, dass Soldat:innen damit beauftragt sind, den Gesichtserkennungsalgorithmus von Red Wolf zu trainieren und zu optimieren, damit er Gesichter ohne menschliches Zutun erkennen kann.

Dies geht aus einem am Dienstag (2.5.) von Amnesty International veröffentlichten Bericht mit dem Titel "Automated Apartheid"[2] hervor. Amnesty hat bereits am 1. Februar 2022 in einem Bericht belegt, "dass Israel gegen die Palästinenser ein System der Apartheid verhängt hat". (siehe kommunisten.de, 2.2.2022: Amnesty: Israels Apartheid gegen die Palästinenser, ein grausames System der Unterdrückung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit)

In dem neuen Bericht wird aufgezeigt, wie Israel Technologie und Überwachung einsetzt, um ein System der Kontrolle über die Palästinenser:innen zu intensivieren und zu festigen, oder, um es mit den Worten von Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard zu sagen, "um die Segregation zu verstärken und die Apartheid zu automatisieren".

"Neben der ständigen Bedrohung durch Gewalt und willkürliche Verhaftungen müssen Palästinenser:innen nun auch mit dem Risiko rechnen, von einem Algorithmus verfolgt zu werden oder aufgrund von Informationen, die in diskriminierenden Überwachungsdatenbanken gespeichert sind, vom Betreten ihres eigenen Viertels ausgeschlossen zu werden."
Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

"Neben der ständigen Bedrohung durch Gewalt und willkürliche Verhaftungen müssen Palästinenser:innen nun auch mit dem Risiko rechnen, von einem Algorithmus verfolgt zu werden oder aufgrund von Informationen, die in diskriminierenden Überwachungsdatenbanken gespeichert sind, vom Betreten ihres eigenen Viertels ausgeschlossen zu werden.  Dies ist das jüngste Beispiel dafür, dass Gesichtserkennungstechnologie, wenn sie zur Überwachung eingesetzt wird, mit den Menschenrechten unvereinbar ist, so Agnès Callamard weiter.

Der Bericht "Automated Apartheid" zeigt, dass diese Überwachung Teil eines bewussten Versuchs der israelischen Behörden ist, feindliche Rahmenbedingungen für Palästinenser:innen zu schaffen, mit dem Ziel, sie aus strategischen Gebieten des jüdischen Nationalstaates Israel zu vertreiben.

"Israelischen Behörden verstärken parallel zu den illegalen Siedleraktivitäten auch die Überwachungsausrüstung"
Dr. Matt Mahmoudi

In einem Interview mit dem Magazin +972 sagt Dr. Matt Mahmoudi, ein Forscher und Berater bei Amnesty, über den bahnbrechenden Bericht:

"Die Art und Weise, wie die Gesichtserkennung die Bewegungseinschränkungen verstärkt, indem sie es den Palästinensern noch schwerer macht, den Kontrollpunkt zu passieren, ist eine Möglichkeit, wie wir sehen, dass dieser Pfeiler der Apartheid verschärft und verstärkt wird. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Kontrollpunkt nur von Palästinensern benutzt wird und die Gesichtserkennungssoftware in Datenbanken mit ausschließlich palästinensischen Gesichtern eingreift. Das hat einen diskriminierenden Charakter, der dem entspricht, was wir unter Apartheid gegen eine bestimmte Rassengruppe verstehen.

Der andere Aspekt ist die Art und Weise, wie die Überwachung Teil des Zwangsumfelds ist, dem die Palästinenser ausgesetzt sind, insbesondere um sie aus Gebieten von strategischem Interesse für die israelischen Behörden zu vertreiben. Zum Beispiel nach den Razzien in Sheikh Jarrah, an Orten wie dem Damaskustor und an Orten von religiöser Bedeutung wie der Al-Aqsa-Moschee.

Wir haben gesehen, dass die israelischen Behörden parallel zu diesen illegalen Siedleraktivitäten auch die Überwachungsausrüstung verstärkt haben ... wenn Palästinenser auch nur daran denken, sich gegen diese [Siedler-]Entwicklungen zu wehren, müssen sie mit einem noch höheren Risiko rechnen, verhaftet, entfernt zu werden usw. Die Überwachung dieser illegalen Siedleraktivitäten erzeugt also Überwachung, die wiederum weitere Siedleraktivitäten hervorruft.

Die Art und Weise, wie die Gesichtserkennung die Bewegungseinschränkungen verstärkt, indem sie es den Palästinensern noch schwerer macht, den Kontrollpunkt zu passieren, ist eine Möglichkeit, wie wir sehen, dass dieser Pfeiler der Apartheid verschärft und verstärkt wird. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Kontrollpunkt nur von Palästinensern benutzt wird und die Gesichtserkennungssoftware in Datenbanken mit ausschließlich palästinensischen Gesichtern eingreift. Das hat einen diskriminierenden Charakter, der dem entspricht, was wir unter Apartheid gegen eine bestimmte Rassengruppe verstehen.

Der andere Aspekt ist die Art und Weise, wie die Überwachung Teil des Zwangsumfelds ist, dem die Palästinenser ausgesetzt sind, insbesondere um sie aus Gebieten von strategischem Interesse für die israelischen Behörden zu vertreiben. Zum Beispiel nach den Razzien in Sheikh Jarrah, an Orten wie dem Damaskustor und an Orten von religiöser Bedeutung wie der Al-Aqsa-Moschee."[3]

Das System Red Wolf

Der neue Amnesty-Bericht konzentriert sich insbesondere auf den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien in Hebron und Ostjerusalem - den beiden Städten in den besetzten Gebieten, in denen illegale israelische Siedlungen innerhalb palästinensischer Stadtgebiete bestehen und weiter ausgebaut werden.

Im Rahmen eines Abkommens zwischen den israelischen Behörden und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aus dem Jahr 1997 wurde Hebron in zwei Teile geteilt, die als H1 und H2 bekannt sind. H1, das 80 Prozent der Stadt ausmacht, wird von den palästinensischen Behörden verwaltet, während Israel die volle Kontrolle über H2 behält, zu dem auch die Altstadt gehört. In H2 leben rund 33.000 Palästinenser*innen und etwa 800 israelische Siedler:innen, die sich in mindestens sieben illegalen Siedlungsenklaven aufhalten.

Die palästinensischen Bewohner:innen von H2 unterliegen drakonischen Bewegungseinschränkungen. Der Zugang zu bestimmten Straßen ist ihnen verwehrt, ein Netz von militärischen Kontrollpunkten und anderen Hindernissen behindert ihr tägliches Leben erheblich. Israelische Siedler:innen in Hebron fahren auf anderen Straßen als Palästinenser:innen und müssen keine Kontrollpunkte benutzen. 

Israel Kontrollposten

Der Bericht "Automated Apartheid" enthüllt, dass Red Wolf vom israelischen Militär an den Kontrollpunkten in Hebron eingesetzt wird. Eyad, ein Bewohner des Viertels Tel Rumeida in der Nähe des schwer ausgerüsteten Checkpoint 56, beschrieb, wie die israelischen Soldat:innen Red Wolf nutzen, um die Bewohner:innen daran zu hindern, in ihre Häuser zurückzukehren: "Sie [die israelischen Soldat:innen] können dir sagen, dass dein Name nicht in der Datenbank steht, so einfach ist das, und dann darfst du nicht zu deinem Haus gehen."

Vieles deutet darauf hin, dass Red Wolf mit zwei anderen vom Militär betriebenen Überwachungssystemen, Wolf Pack (Wolfsrudel) und Blue Wolf, verbunden ist. Wolf Pack ist eine riesige Datenbank, die alle verfügbaren Informationen über Palästinenser:innen aus den besetzten Gebieten enthält, einschließlich Angaben über Wohnort, Familienangehörige und der Angabe, ob sie von den israelischen Behörden zur Vernehmung gesucht werden. Blue Wolf ist eine App, auf die die israelischen Streitkräfte über Smartphones und Tablets zugreifen können und die sofort die in der Wolf Pack-Datenbank gespeicherten Informationen abrufen kann.

Zudem setzt Israel verstärkt Gesichtserkennungstechnologien gegen Palästinenser:innen im besetzten Ostjerusalem ein, insbesondere nach Protesten und in der Umgebung illegaler Siedlungen. Sowohl in Hebron als auch im besetzten Ostjerusalem unterstützt die Gesichtserkennungstechnologie ein dichtes Netz von CCTV-Kameras (Closed-Circuit Television), mit denen Palästinenser:innen nahezu ständig überwacht werden.

Im besetzten Ostjerusalem hat Amnesty International in einem Gebiet von 10 Quadratkilometern, einschliesslich der Altstadt und Sheikh Jarrah, eine Kartierung der Überwachungskameras vorgenommen und festgestellt, dass alle fünf Meter ein bis zwei Überwachungskameras vorhanden sind. Die israelischen Behörden haben mit den neuen Überwachungsinstrumenten gezielt Orte von kultureller und politischer Bedeutung ins Visier genommen, wie z. B. das Damaskustor am Eingang zur Altstadt, das seit langem ein Ort ist, an dem sich Palästinenser:innen treffen und Proteste abhalten.

Israel Jerusalem Ueberwachungskameras

Diese Massenüberwachung verstößt gegen das Recht auf Privatsphäre, Gleichheit und Nichtdiskriminierung. Sie hat auch eine abschreckende Wirkung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht, sich friedlich zu versammeln, da sie die Palästinenser:innen davon abhält, zu protestieren, und ein Klima der Angst und Repression verschärft.

Ein palästinensischer Journalist erklärte gegenüber Amnesty International: "Diejenigen, die demonstrieren, wissen, dass ihre Gesichter von den Kameras aufgenommen werden und sie später verhaftet werden können, selbst wenn sie nicht an Ort und Stelle festgenommen werden."

Besatzung beenden, Apartheidsystem abschaffen

Dr. Matt Mahmoudi hofft, dass die Menschen nach Veröffentlichung dieses Berichts "den Bedingungen der Apartheid mehr Aufmerksamkeit schenken und sich darüber empören, was in diesen Zusammenhängen geschieht. Dies ist nur ein Bruchteil der Erfahrungen in diesem Bericht. Ich wage nicht daran zu denken, wie die Gesamtsumme des Gebietes aussehen könnte, wenn wir diese Analyse auf breiterer Basis anwenden würden."[3]

Amnesty International fordert die israelischen Behörden auf, die massenhafte und gezielte Überwachung von Palästinenser:innen zu beenden und die willkürlichen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in den besetzten Gebieten aufzuheben. "Dies ist ein notwendiger Schritt zum Abbau der Apartheid", so Amnesty. Zudem fordert Amnesty International ein weltweites Verbot der Entwicklung, des Verkaufs und des Einsatzes von Gesichtserkennungstechnologie zu Überwachungszwecken.

Für Haaretz legt der Amnesty-Bericht einen "weiteren Aspekt des Giftes" offen, mit dem "die Besatzung die grundlegendsten moralischen Werte korrumpiert und verzerrt". "Red Wolf, Blue Wolf und Wolf Pack sind die Namen, die den Technologien gegeben wurden, aber in Wirklichkeit sind sie ein anderer Name für die Besatzung. Neben der Notwendigkeit, diesen bösartigen Praktiken sofort ein Ende zu setzen, müssen wir erkennen, dass Israel, solange es eine Besatzung gibt, weiterhin ein zerstörerisches Überwachungs- und Spionagesystem betreiben wird", resümiert die Haaretz-Redaktion in ihrem Leitartikel.[1]

 

 

Anmerkungen

[1] Haaretz, 3.5.2023: Leitartikel | Israels biometrische Apartheid
https://www.haaretz.com/opinion/editorial/2023-05-03/ty-article-opinion/israels-biometric-apartheid/00000187-de31-d9b4-abaf-febfa60c0000

[2] Amnesty International, 2.5.2023: AUTOMATED APARTHEID. HOW FACIAL RECOGNITION FRAGMENTS, SEGREGATES AND CONTROLS PALESTINIANS IN THE OPT
https://www.amnesty.de/sites/default/files/2023-05/Amnesty-Untersuchung-Gesichtserkennungstechnologie-Hebron-Ost-Jerusalem-Mai-2023.pdf

[3] Magazin +972, 2.5.2023: ‘The system learns to recognize you’: Amnesty calls out automated apartheid
https://www.972mag.com/amnesty-automated-apartheid-mahmoudi/


 

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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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