20.02.2024: UN warnen vor Kindersterben in Gaza ++ Hunger als Waffe ++ Zerstörung der Infrastruktur als integraler Bestandteil der israelischen Strategie zur ethnischen Säuberung des Gazastreifens ++ Bomben, Hunger und Krankheiten: Fast ein Viertel der Bevölkerung Gazas vom Tod bedroht ++ Prof. Devi Sridhar: "Wir sind Zeugen eines Massenmordes"
"Was sich im Gazastreifen abspielt, ist kein Krieg, das ist ein Genozid", sagte Brasiliens Präsident Lula da Silva am Sonntag (18.2.) während des 37. Gipfels der Afrikanischen Union in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Er verglich Israels Tötung von Palästinenser:innen im Gazastreifen mit dem Völkermord der Nazis an den Juden während des Zweiten Weltkriegs.
"Das ist kein Krieg von Soldaten gegen Soldaten. Das ist ein Krieg zwischen einer hochgerüsteten Armee und Frauen und Kindern."
Lula da Silva, 18.2.2024
"Auch wenn Experten darüber streiten mögen, ob es sich um einen Völkermord handelt oder nicht, ist es doch so, dass wir Zeugen eines Massenmordes an einer Bevölkerung sind, sei es durch Bomben, Kugeln, Hunger oder Krankheiten", schreibt Prof. Devi Sridhar, Inhaberin des Lehrstuhls für globale öffentliche Gesundheit an der Universität von Edinburg.
Mehr als 29.092 Palästinenser:innen wurden seit dem 7. Oktober von der israelischen Armee in Gaza getötet, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium des Gazastreifens am Montag (19.2.) mit. Unter den Toten befinden sich mindestens 12.000 Kinder. Dazu kommen Tausende unter den Trümmern Verschüttete. Mehr als 69.028 Menschen sind verletzt. Mehr als zwei Millionen Palästinenser:innen wurden aus ihrer Heimat in den Süden des Gazastreifens an die Grenze zu Ägypten vertrieben.
Der Norden des Gazastreifens wurde durch die Bombardierungen und Sprengungen von Wohnhäusern sowie die Zerstörung von Infrastruktur - medizinische Versorgung, Bäckereien, Strom, Wasserleitungen, ... - unbewohnbar gemacht.
Video über die Zerstörung des Gazastreifens:https://twitter.com/UNRWA/status/1758156390684557777
Die Nahostexpertin Hafsa Halawa erklärte gegenüber Al Jazeera: "Der Rest des Gazastreifens ist praktisch unbewohnbar, es gibt keine Dienstleistungen, seit Monaten wird von einer Hungersnot gesprochen, und jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die israelische Regierung wirklich das umsetzt, was sie in der ersten Woche nach den Angriffen vom 7. Oktober versprochen hat, nämlich den Streifen platt zu machen."
Allein am Sonntag wurden mindestens 107 Palästinenser:innen bei israelischen Angriffen im Gazastreifen getötet, obwohl der Internationale Gerichtshof die israelische Regierung angewiesen hat, sicherzustellen, dass "sein Militär keine .. Handlungen vornimmt" die zu "Tötung von Mitgliedern der Gruppe" der Palästinenser:innen führen oder "schwere körperliche oder seelische Schäden" verursachen. (Entscheidung des IGH. siehe z.B. kommunisten.de: "Entscheidung des IGH stürzt Bundesregierung ins Dilemma: Völkerrecht oder Unterstützung Israels")
Doch Israel kümmert sich nicht um den Internationalen Gerichtshof, sondern führt seinen Ausrottungskrieg gegen die Palästinenser:innen in Gaza unvermindert fort.
Drehbuch für Völkermord und VertreibungIn einem 10-seitigen Dokument des israelischen Geheimdienstministeriums, datiert auf den 13. Oktober 2023, wird detailliert beschrieben, wie die Palästinenser:innen aus Gaza vertrieben werden. Die Anleitung für die ethnische Säuberung sieht vier Schritte vor, von denen jetzt der letzte mit dem Angriff auf Rafah eingeleitet wird.Wieder eine Nakba? Durchgesickerte Dokumente bestätigen israelischen Plan, Palästinenser:innen nach Ägypten zu vertreiben |
Videoanimation über die Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen:
https://twitter.com/trtworld/status/1760008514439991707
Zerstörung der medizinischen Versorgung
Internationale Regeln wie die Genfer Konventionen werden nicht beachtet, Krankenhäuser und Krankenwagen systematisch angegriffen und zerstört, medizinische Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF) und Save the Children werden angegriffen und haben Mitarbeiter verloren.
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat erklärt, die gesundheitliche Lage im Gazastreifen habe sich "unvorstellbar" verschlechtert, die Bedingungen in Gaza seien "die Hölle".
Am Sonntag (18.2.) musste nun auch noch das größte noch funktionsfähige Krankenhaus im Gazastreifen, das Nasser-Hospital in der Stadt Khan Younis im Süden von Gaza, seinen Betrieb einstellen, nachdem es von der israelischen Armee gestürmt wurde. Tagelang war es unter dem üblichen Vorwand, dass sich dort Hamas-Kämpfer und die von ihnen gefangen gehaltenen Israelis befinden, belagert und beschossen worden. Hunderte von Patient:innen und medizinischem Personal wurden von den israelischen Streitkräften zwangsumgesiedelt. "Die Besatzungstruppen haben eine große Anzahl medizinischer Mitarbeiter im Nasser Medical Complex festgenommen, den sie in eine Militärbasis verwandelt haben", erklärte Ashraf al-Qudra, Sprecher des palästinensischen Gesundheitsministeriums, am Samstag gegenüber Reuters. "In der Einrichtung kümmern sich derzeit nur vier medizinische Teams - 25 Mitarbeiter - um die Patienten", sagte er weiter.
Ein Sprecher der israelischen Armee musste eingestehen, dass die ersten Durchsuchungen des Krankenhauses keine Hinweise auf die Gefangenen ergeben hätten.
"Wir haben wiederholt erklärt, dass es die Politik unseres palästinensischen Widerstands war und bleibt, öffentliche und zivile Einrichtungen sowie den Gesundheitssektor von jeglichen militärischen Aktivitäten frei zu halten", erklärte die Hamas. "Wir haben die Vereinten Nationen und die einschlägigen Organisationen mehrfach gebeten, eine internationale Kommission einzusetzen, die die Krankenhäuser untersucht und beweist, dass die israelische Darstellung eine Lüge ist. Aber unsere Forderungen wurden nicht erhört."
Die Zerstörung der medizinischen Versorgung ist integraler Bestandteil der israelischen Strategie zur ethnischen Säuberung des Gazastreifens.
Das palästinensische Bildungswesen wurde ausgelöscht.
Das palästinensische Bildungswesen wurde ausgelöscht. Schulen der UN-Agentur UNRWA wurden zerstört, der Campus der Israa-Universität in ein Gefangenenlager verwandelt. Israelische Soldaten verbreiteten im Internet Videos, die sie bei der Begehung dieser Verbrechen und der Zerstörung der palästinensischen Hochschulinfrastruktur zeigten. Ein Beispiel dafür ist die Zerstörung der medizinischen Fakultät der Islamischen Universität im Dezember und in jüngerer Zeit die Zerstörung der Israa-Universität in Gaza-Stadt.
Die systematische Zerstörung palästinensischer Bildungszentren (ein Prozess, den der palästinensische Wissenschaftler Karma Nabulsi als "Scholastizid" bezeichnet hat) und die Angriffe auf palästinensische Räume für die Produktion und Verbreitung von Wissen und Kultur (was Wissenschaftler als "Epistemizid" bezeichnen) sind ein strukturelles Merkmal des kolonialen Regimes Israels.
Gaza, Krieg gegen Kinder
Der Krieg zwischen Israel und Gaza ist vor allem für Kinder tödlich, Berichten zufolge der tödlichste Konflikt für Kinder in jüngster Zeit: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden täglich mehr al 100 Kinder getötet. Zum Vergleich: Im jüngsten Konflikt in Syrien wurden drei Kinder pro Tag getötet, in Afghanistan zwei und in der Ukraine 0,7 pro Tag. Die Gesamtzahl der getöteten Kinder beläuft sich bereits auf mehr als 12.000.
Seit Beginn des Angriffs auf Gaza haben jeden Tag mehr als 10 Kinder ein oder beide Beine verloren. Amputation müssen oftmals ohne Narkose erfolgen, weil die Krankenhäuser systematisch zerstört und Lieferungen mit medizinischen Mitteln von Israel blockiert werden.
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) teilte mit, dass 17.000 palästinensische Kinder im Gazastreifen infolge des Krieges ihre Eltern verloren haben; entweder weil sie tot sind oder bei der Vertreibung getrennt wurden.
Mehrere UN-Organisationen haben wegen der Lage der Kinder im Gazastreifen Alarm geschlagen. Der Mangel an Lebensmitteln, die zunehmende Unterernährung und die rasche Ausbreitung von Krankheiten könnten zu einem massiven Anstieg der Todesfälle führen, teilten die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das UN-Kinderhilfswerk UNICEF und das Welternährungsprogramms (WFP) mit.
Der stellvertretende UNICEF-Direktor Ted Chaiban warnt, dass Kinder im belagerten Gazastreifen nicht nur von Bomben sondern auch von Hunger und Krankheiten bedroht sind. "Wir haben gesagt, dass dies ein Krieg gegen Kinder ist. Aber diese Wahrheit scheint nicht durchzudringen", sagte er in einer Erklärung. "Das wenige Essen, das zur Verfügung steht, entspricht nicht den besonderen Ernährungsbedürfnissen von Kindern. Die Folge ist, dass Tausende von Kindern unterernährt und krank sind."
90 Prozent der Kinder unter 23 Monaten in Gaza leiden unter schwerem Hunger
"Zunehmende Unterernährung im Gaza-Streifen bedroht das Leben von Kindern"
Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF
"Zunehmende Unterernährung im Gaza-Streifen bedroht das Leben von Kindern", schreibt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF in einer am Montag (19.2.2024) veröffentlichten Studie. [1]
UNICEF bezieht sich auf den von Global Nutrition Cluster veröffentlichten Bericht "Nutrition Vulnerability and Situation Analysis – Gaza"[2], aus dem hervorgeht, dass 90 Prozent der Kinder unter zwei Jahren und 95 Prozent der schwangeren und stillenden Frauen von schwerer Nahrungsmittelarmut betroffen sind - und die Nahrungsmittel, zu denen sie Zugang haben, sind von geringstem Nährwert.
Besonders ernst ist die Lage im nördlichen Gazastreifen, der seit Wochen fast vollständig von der Versorgung abgeschnitten ist. 15,6 Prozent - oder eines von sechs Kindern unter zwei Jahren – sind akut unterernährt. Fast 3 Prozent leiden an der lebensbedrohlichsten Form der Unterernährung, die bei Kleinkindern das höchste Risiko für medizinische Komplikationen und den Tod birgt, wenn sie nicht dringend behandelt werden.
"Da die Daten im Januar erhoben wurden, dürfte die Situation heute noch ernster sein", warnt UNICEF. Aufgrund des alarmierenden Mangels an Nahrungsmitteln, Wasser sowie Gesundheits- und Ernährungsdiensten besteht ein hohes Risiko, dass die Unterernährung im gesamten Gazastreifen weiter zunehmen wird.
Nach Angaben des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, sind alle 335.000 Kinder unter fünf Jahren in Gaza stark vom Hunger bedroht.
"Der Gazastreifen steht kurz vor einer Explosion vermeidbarer Todesfälle bei Kindern, die das ohnehin schon unerträgliche Ausmaß der Kindersterblichkeit im Gazastreifen noch verschlimmern würde", alarmiert der stellvertretende UNICEF-Direktor Ted Chaiban. "Wir warnen schon seit Wochen davor, dass der Gazastreifen am Rande einer Ernährungskrise steht. Wenn der Konflikt jetzt nicht beendet wird, wird sich die Ernährungslage der Kinder weiter verschlechtern, was zu vermeidbaren Todesfällen oder Gesundheitsproblemen führen wird, die die Kinder im Gazastreifen für den Rest ihres Lebens beeinträchtigen und möglicherweise generationsübergreifende Folgen haben werden."
Hunger als Waffe
Die UN-Agentur für die Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) berichtet, dass Hilfskonvois der Zugang zum Norden des Gazastreifens verweigert wird: Im Januar wurde mehr als der Hälfte der Hilfslieferungen der Zugang verweigert. Hilfskonvois wurden sogar von der israelischen Luftwaffe bombardiert; so am 5. Februar ein Konvoi mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln im Zentrum des Gazastreifens, dessen Route vorher zwischen den Vereinten Nationen und dem israelischen Militär vereinbart worden war. [3].
Israelische Streitkräfte beschossen am 5. Februar einen Konvoi der Vereinten Nationen mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln im Zentrum des Gazastreifens und hinderten die Lastwagen schließlich daran, in den nördlichen Teil des Gebiets vorzudringen, wo die Palästinenser am Rande einer Hungersnot stehen. Dies geht aus Dokumenten hervor, die ausschließlich von den Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt wurden, sowie aus einer eigenen Analyse von CNN.
CNN hat Einblick in die Korrespondenz zwischen den Vereinten Nationen und dem israelischen Militär, aus der hervorgeht, dass die Route des Konvois vor dem Angriff von beiden Parteien vereinbart wurde.
Die UNICEF-Sprecherin Tess Ingram sagte, dass die Organisation zwar einen gewissen Zugang zum südlichen Gazastreifen hat, um Hilfsgüter zu liefern, es aber nahezu unmöglich ist, Hilfsgüter im Norden zu verteilen.
"Seit Anfang des Jahres ist der Zugang zu Hilfsgütern in den Norden praktisch nicht mehr möglich. Wir haben nicht die Sicherheitsgarantien erhalten, die wir brauchen, um in den Norden zu gelangen und dort Hilfe zu leisten", erklärte sie gegenüber Al Jazeera. "Was wir von Familien vor Ort im Norden hören, ist, dass der Hunger katastrophal ist und die Menschen auf nichtmenschliche Nahrungsmittel zurückgreifen, um zu überleben."
Krankheiten breiten sich aus
Hungrig, durstig und geschwächt werden immer mehr Menschen im Gazastreifen krank. Dem Bericht von Global Nutrition Cluster zufolge sind mindestens 90 Prozent der Kinder unter 5 Jahren von einer oder mehreren Infektionskrankheiten betroffen. Siebzig Prozent hatten in den letzten zwei Wochen Durchfall, eine 23-fache Zunahme im Vergleich zum Basisjahr 2022.
"Hunger und Krankheit sind eine tödliche Kombination"
Dr. Mike Ryan, Exekutivdirektor des WHO-Programms für Gesundheitsnotfälle
Infektionskrankheiten wie Hepatitis A und Gelbsucht breiten sich aus, da der Zugang zu sauberem Wasser stark eingeschränkt ist, warnt der Chef der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebreyesus. "Die unmenschlichen Lebensbedingungen - fast kein Trinkwasser, saubere Toiletten oder die Möglichkeit, die Umgebung sauber zu halten - werden eine weitere Ausbreitung von Hepatitis A ermöglichen", schreibt Ghebreyesus und bezeichnet die Gesundheitskrise als "explosiv".
Die WHO-Sprecherin Dr. Margaret Harris erklärte, dass die Durchfallrate bei Kindern in flüchtlingsähnlichen Lagern im Gazastreifen bereist Anfang November mehr als das Hundertfache des Normalwerts betrug, und da keine Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die Kinder dehydrieren und schnell sterben können. Durchfallerkrankungen sind weltweit die zweithäufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren und werden durch verunreinigtes Wasser bzw. fehlendem Zugang zu sauberem Trinkwasser verursacht. Infektionen der oberen Atemwege, Windpocken und schmerzhafte Hautkrankheiten haben ebenfalls zugenommen, und es wird befürchtet, dass die jüngsten Überschwemmungen dazu führen könnten, dass sich unbehandelte Abwässer mit dem zum Trinken und Kochen verwendeten Frischwasser vermischen und einen Choleraausbruch verursachen.
Fast ein Viertel der Bevölkerung Gazas vom Tod bedroht
"Der Mangel an Wasser, Nahrung, Medikamenten und Schutz ist eine größere Bedrohung für das Leben Tausender Menschen in Gaza als Bomben."
James Elder, Sprecher von UNICEF
"Es geht nicht nur um Kugeln und Bomben. Es ist tragisch, dass die nahezu beispiellose Zahl von Toten und Verletzten, die wir bisher gesehen haben, wahrscheinlich nur der Anfang ist", schreibt Prof. Devi Sridhar, Inhaberin des Lehrstuhls für globale öffentliche Gesundheit an der Universität von Edinburg. "Ein Viertel der Bevölkerung könnte innerhalb eines Jahres an den durch diesen beispiellosen Konflikt verursachten Krankheitsausbrüchen sterben", so Devi Sridhar in einem Artikel im britischen Guardian.[4]
"Wir müssen damit rechnen, dass fast ein Viertel der Bevölkerung Gazas – fast eine halbe Million Menschen – innerhalb eines Jahres sterben werden. Größtenteils Todesfälle aufgrund vermeidbarer Gesundheitsursachen und Zusammenbruch des medizinischen Systems. Es ist eine grobe Schätzung, aber eine, die auf Daten basiert."
Prof. Devi Sridhar, Inhaberin des Lehrstuhls für globale öffentliche Gesundheit an der Universität von Edinburg.
Und weiter:
"Aus ähnlichen Konflikten in der ganzen Welt wissen Gesundheitsexperten, dass wahrscheinlich mehr Kinder an vermeidbaren Krankheiten als an Kugeln und Bomben sterben werden. Die israelische Regierung hat zwar von sicheren Zonen gesprochen, in die sich die Familien flüchten können, doch diese sind nicht annähernd so sicher, wie wir es als Zonen der öffentlichen Gesundheit ansehen würden. Es gibt dort kein sauberes Wasser, keine funktionierenden sanitären Anlagen und Toiletten, nicht genügend Nahrungsmittel und kein geschultes medizinisches Personal mit Medikamenten und Ausrüstung. Dies sind die Grundbedürfnisse, die jeder Mensch, insbesondere Babys und Kinder, braucht, um gesund und am Leben zu bleiben.
Prof. Devi Sridhar verweist darauf, dass Krankheiten seit Jahrhunderten eine Rolle im Krieg spielen. Während des amerikanischen Bürgerkriegs wurden zwei Drittel der geschätzten Todesfälle unter den Soldaten durch Lungenentzündung, Typhus, Ruhr und Malaria verursacht. Im Juni 1994 starben in Ruanda in nur drei Wochen mehr als 12.000 Flüchtlinge an Cholera und Ruhr, die mit unsauberem Wasser und Konfliktgebieten in Verbindung gebracht werden.
Nach Angaben des UN-Hilfswerks sind schätzungsweise 85 % der Einwohner des Gazastreifens bereits vertrieben worden. Experten, die frühere Vertreibungen von Flüchtlingen analysiert haben, schätzen im Wissenschaftsjournal Lancet, dass die durchschnittliche Sterblichkeitsrate (d. h. die Zahl der Todesfälle pro 1.000 Menschen) mehr als 60 Mal höher war als zu Beginn des jeweiligen Konflikts.
Wenn man dies auf die aktuelle Situation im Gazastreifen überträgt, wo die Sterblichkeitsrate vor dem Konflikt im Jahr 2021 bei 3,82 lag (was aufgrund der jungen Bevölkerung relativ niedrig ist), könnte die Sterblichkeitsrate im Jahr 2024 bei 229,2 liegen, wenn der Konflikt und die Vertreibung in der derzeitigen Intensität weitergehen und die Bewohner des Gazastreifens weiterhin keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen, medizinischen Einrichtungen und dauerhaften Wohnungen haben.
"Wenn sich nichts ändert, muss die Welt damit rechnen, dass innerhalb eines Jahres fast ein Viertel der 2 Millionen Einwohner des Gazastreifens - fast eine halbe Million Menschen - sterben werden. Dies wären größtenteils Todesfälle aufgrund vermeidbarer gesundheitlicher Ursachen und des Zusammenbruchs des medizinischen Systems. Es handelt sich um eine grobe Schätzung, die sich jedoch auf Daten stützt und die erschreckend realen Zahlen der Todesfälle in früheren und vergleichbaren Konflikten zugrunde legt", schlussfolgert Devi Sridhar und schließt:
"Ich arbeite seit 20 Jahren im Bereich der globalen öffentlichen Gesundheit und habe noch nie gehört, dass Gesundheits- und Hilfsorganisationen so offen und besorgt über das Ausmaß des Leidens und der Todesfälle in Gaza sind wie sie es sind. Es handelt sich um einen beispiellosen Konflikt, der die tragischsten Rekorde bricht, und auch wenn Experten darüber streiten mögen, ob es sich um einen Völkermord handelt oder nicht, ist es doch so, dass wir Zeugen eines Massenmordes an einer Bevölkerung sind, sei es durch Bomben, Kugeln, Hunger oder Krankheiten."
Anmerkungen
[1] UNICEF, 19. Februar 2024: Children’s lives threatened by rising malnutrition in the Gaza Strip
https://www.unicef.org/press-releases/childrens-lives-threatened-rising-malnutrition-gaza-strip
[2] Global Nutrition Cluster, February 2024: Nutrition Vulnerability and Situation Analysis / Gaza
https://reliefweb.int/attachments/17a291a9-578f-47b3-ad85-02272090d3a0/GAZA-Nutrition-vulnerability-and-SitAn-v5.pdf
[3] CNN Exclusive: Israeli forces fired on food convoy in Gaza, UN documents and satellite analysis reveals
https://amp.cnn.com/cnn/2024/02/21/middleeast/un-food-convoy-gaza-israel-strike-cmd-intl/index.html
[4] The Guardian, 29. Dez. 2023: It’s not just bullets and bombs. I have never seen health organisations as worried as they are about disease in Gaza
https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/dec/29/health-organisations-disease-gaza-population-outbreaks-conflict
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